
Katharina Köller: Heimlich durchs Dickicht – ein Interview
Die Autorin und Schauspielerin Katharina Köller, schlägt ein neues Lebenskapitel auf.
Katharina Köller ©www.peterrigaud.com
„Obwohl ich so ausgezehrt bin, fühl ich mich stärker. Wacher. Durchbluteter. Sauerstoffdurchzogener. Da ist eine ganz neue Kraft in mir drinnen, eine urige Kraft. Ganz plötzlich ist alles so einfach, so klar und eindeutig. Ästhetik ist wurscht. Es geht nur noch um Sinnhaftigkeit.“, Katharina Köller
Handy weg, Computer abdrehen – kennen Sie die Sehnsucht, mal alles sein zu lassen? Geben Sie ihr nach? Gehen Sie dann beispielsweise in den Wald?
Ich tue es öfter, bewusster, seit ich Katharina Köllers fesselndes „Wild wuchern“ gelesen habe. Dabei ist es alles andere als eine esoterische Liebe-die-Natur-Anleitung, es ist ein fesselnder Roman: Marie flüchtet vor ihrem gewalttätigen Mann zu Johanna auf eine Tiroler Alm. Wiedersehensfreude? – Im Gegenteil. Ihre Cousine fühlt sich gestört, sie hatte die Menschen nicht vermisst.

Mir gefällt der Gedanke, davon wegzugehen, dass die Menschen allein die Welt beherrschen.
Katharina Köller, Autorin und Schauspielerin
Inspiriert hatte die gebürtige Eisenstädterin eine enge Freundin. „Mir machen die Lockdowns nichts aus, ich hasse die Menschen“, hatte sie ihr während der Pandemie unverblümt gestanden.
Katharina Köller begann zu recherchieren. Wo und wie leben Eremitinnen?
Sie fand etwa Nonnen, die der Zivilisation den Rücken kehrten, und eine Frau, die ihr Leben in der Tundra verbrachte. „Aber in der Literatur begegnet man ständig Eremiten, mich hat ein weibliches Pendant interessiert“, sagt sie. Eine Figur, die ganz allein irgendwo fernab von Menschen mit Tieren lebt. Sie mag die Betrachtungen der amerikanischen Wissenschaftsphilosophin Donna Haraway, die die starke Trennung zwischen Mensch und Tier hinterfragt.
„Mir gefällt der Gedanke, davon wegzugehen, dass wir die Welt beherrschen, weil wir doch koexistieren“, beschreibt Katharina Köller und blickt beim Interview im Eisenstädter Schlosspark lachend um sich. „Schön, darüber zu reden, während wir hier von Enten, Fischen, Hunden und Libellen umgeben sind.“
„Wild wuchern“ ist keineswegs ein misanthropischer Roman, er ist einer, der viele menschliche Fragen anstoßt.
Eine Location, zwei Frauen – und eine Geschichte, bei der ich nie das nächste Geschehen vermutet habe. Was möchtest du verraten?
Katharina Köller: Ich wollte die Welt auch aus der Perspektive einer Person betrachten, die nicht findet, dass Menschen besser, wichtiger oder interessanter sind – die ihr soziales Leben mit Tieren aufbaut. Johanna ist zufrieden, bis ihre Cousine Marie kommt und ihre Mitbewohner verscheucht: die Mäuse, den Kauz … Ich glaube, Menschen, die sich mit Sprache schwertun, mit unserer Gesellschaft, dem hohen Druck, mit dem wir leben, finden vielleicht andere Zugänge zum Leben. Johanna eine Antagonistin gegenüberzustellen war eine Herausforderung. Marie wurde einmal (in einer Rezension, Anm.) als Tussi beschrieben, das stört mich irgendwie. Sie ist auch zäh und hartnäckig. Sie kämpft, rennt nachts allein durch den Wald.
Diese Passage habe ich mit schwitzenden Händen gelesen.
Das ist gruselig! Wenn es kein Licht gibt, siehst du schlecht und hörst sehr viel, eine stressige Situation.
Marie nähert sich später wieder der Natur an. Die beiden sind Cousinen, aber weil ihre Mütter Zwillinge sind, wuchsen sie fast wie Schwestern auf und wurden ständig verglichen.
… etwas, das man als Eltern eigentlich zu vermeiden versucht.
Was die Mütter damit auslösten, war ihnen nicht bewusst. Es gibt Bereiche, die Marie „gehören“, und solche, die Johanna „gehören“. Marie eignet sich während der Geschichte zwar gewisse Elemente an, aber ohne Johanna etwas wegzunehmen. – Ich kenne das aus meiner Kindheit:
Meine Mutter sagt, meine Schwester und ich haben nie konkurriert. Ich habe aber lange meine künstlerischen Ambitionen geheim gehalten, weil meine Schwester als die Künstlerin galt. Sie konnte wahnsinnig gut zeichnen, war an einer Grafik-HTL (sie wurde Psychiaterin, Anm.). Meine Kunst habe ich mir später erkämpft – und zwar auch gegen meine eigenen Vorstellungen, dass ich das darf.

Du bist in einer Winzerfamilie aufgewachsen, wie fing es mit der Kunst bei dir an?
Ich war in der Schule ziemlich g’schreckt und nerdig. Ich habe stapelweise Comics gezeichnet, bin nachts wach gelegen, habe mir Plotlines überlegt. Dann habe ich beschlossen: Das Beste ist, ich studiere Schauspiel, dann werde ich mutig (lacht). Ich habe mich sehr heimlich für die Aufnahmeprüfung am Max Reinhardt Seminar angemeldet.
Wie hast du den Mut aufgebracht?
Ich weiß es nicht, ich wollte unbedingt Künstlerin sein. Ich habe auch dort gesagt: Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich auf einer Bühne spiele. Ich wurde zwar nicht angenommen, kam aber von rund 500 Leuten in die zweite Runde mit 20 Kandidat*innen.
Ich bin dort vor Brandauer und anderen Kapazundern gestanden – und die haben mich ermutigt weiterzumachen. Ich habe später – parallel zum Philosophie-Studium – die Schauspielschule Krauss gemacht, eine der schönsten Zeiten meines Lebens. Ich hatte auch gleich ein paar gute Jobs – und dann plötzlich keine mehr. Es kam ein Loch. Da dachte ich mir: Okay, dann schreibe ich mir selbst ein Stück, aber das hat gedauert.
Du blickst auf viele schöne Erfolge zurück, aber der Anfang war also hart?
Ich war sehr lange eine sehr arme Künstlerin. Viele Kolleg*innen sind abgebogen, weil sie ein sicheres Einkommen wollten, für mich kam das nicht infrage. Es hätte vieles erleichtert, wenn ich Kontakte im familiären Umfeld gehabt hätte, so musste ich mir allein einen Weg durchs Dickicht schlagen.
Am Theater hilft es sehr, wenn dir jemand sagt: Falsche Richtung, mach’s anders. Ich habe bei der Max-Reinhardt-Aufnahmeprüfung zum Beispiel einen Monolog eines Mannes gespielt, damals ein No-Go. Ein Satz von Samuel Beckett prägt mein Leben sehr – auch als Autorin: „Try again. Fail again. Fail better.“ (Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern, Anm.)
Du bist offenbar zäh wie Marie.
Jedes Mal, wenn ich mir gedacht habe, ich mag nicht mehr, kam etwas Cooles. – Zwischen meinen Theaterjobs habe ich immer geschrieben und so ist – wieder heimlich – mein erster Roman „Was ich im Wasser sah“ entstanden.
Du hast schnell eine Agentin gefunden, das Buch erschien bei der Frankfurter Verlagsanstalt und wurde mit dem „Phantastikpreis“ ausgezeichnet. Da ging es mit dem Schreiben gut los.
Denkste (lacht). Ich habe danach eineinhalb Jahre am nächsten Buch geschrieben, das mir zurückgehaut wurde – und nach dem aufwendigen Umschreiben noch einmal. Da habe ich gespürt: Mir geht bald die Kraft aus. Wenn man viele Jahre Energie und Zeit hineinsteckt, ist das eine niederschmetternde Niederlage, das tut sehr weh.
Ich wurde dann schwanger, wir hatten gerade mein Theaterstück „Windhöhe“ abgespielt und ich habe beschlossen: Ein Mal noch und wenn das nicht klappt, lasse ich es bleiben. Ich habe meinen Roman auf Basis des Theaterstücks geschrieben und meiner Agentin „Wild wuchern“ vorgelegt – und sie hat gesagt: „Wie hast du das gemacht? Das geht sicher gut.“ – Und sie hatte recht.

„Wild wuchern“ erschien beim Penguin Verlag. Wenn du jetzt zurückschaust: Verstehst du, dass dein anderes Werk – vorerst – abgelehnt wurde?
Vielleicht komme ich noch einmal auf den Text zurück. Aber es ist eben so, dass auch Dinge scheitern. Ich will diesen Geniekult brechen, das ist ein politischer Ehrgeiz von mir. Dass einige Menschen Genies sind, denen einfach so etwas einfällt, und die anderen, die sich plagen, nicht berufen wären, ist eine dumme veraltete Vorstellung davon, wie Kunst entsteht. Ich plage mich, ich scheitere auch, und dann schreibe ich ein Buch, das so vielen gefällt.
Du lebst mit deinem Partner, der Musikwissenschaftler in Innsbruck ist, in Tirol und Wien und bist seit Kurzem Mama. Wie hat dich das verändert?
Das hat mein Gefühlsspektrum und mein Vorstellungsvermögen um ein Vielfaches erweitert – und ich hoffe, dass ich das in ein paar Jahren noch mehr zu schätzen weiß, zur Zeit bin ich stilldement, ich hab’ seit 20 Monaten nicht geschlafen (lacht). Es ist eine sehr fordernde Zeit.
Wenn mein Sohn in der Krippe ist, will ich schreiben, aber ich falle fast vom Stuhl, weil ich so müde bin. Manchmal vermisse ich die Möglichkeit, dem Flow zu folgen. Das Schreiben ist für mich wichtig, ich fühle mich elend, wenn ich’s nicht machen kann. Wenn es mir gelingt, etwas zu produzieren, von dem ich denke, dass es gut ist, gibt mir das sehr viel Energie.
Ich nehme an, woran du arbeitest, ist geheim?
Ich überlege, wie ich mich auch wieder zum Theater zurückbewegen kann, aber abends möchte ich noch nicht so viel vom Kleinen weg sein. Ich reise zu Lesungen und schreibe – so viel verrate ich – an einem Roman (lacht).
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