Petra Piuk: Frau mit kurzgeschorenem Haar vor Roter Wand schaut einen schräg von der Seite an

Petra Piuk lädt ins neue Hotel Love

Petra Piuk im Interview.

7 Min.

© Minitta Kandlbauer

„Entromantisiert euch“, titelte Bea­trice Frasl ihr kürzlich erschienenes Buch (Haymon Verlag). Die Kulturwissenschaftlerin und Geschlechterforscherin Petra Piuk nennt ihr Werk im Untertitel einen „Weckruf“ und zerlegt das Märchen von der großen Liebe.

Petra Piuk könnte quasi ihre Komplizin sein. Sie ist die Schöpferin von „Hotel Love“, wo Männer ihre Roboterfrauen ganz nach ihrem Geschmack programmieren, um sie heiraten und mit ihnen eine Familie gründen zu können.

Auch Roman verschlägt es in diesen patriarchalen KI-Himmel. Seine menschliche Julia gibt’s nicht mehr, im „Hotel Love“ will er sich eine Julia-­Androidin zimmern. Eine, die ihm gehorcht, deren Mission sein Glück sein soll.

Dafür nützt er die Frauenerschaffungsapp „Wifey“, selbst der Zungengeschmack lässt sich individuell bestimmen. Nach einer Nacht voller Albträume weckt ihn die virtuelle Hotelzimmer-Assistentin mit den Worten: „Der Spruch des Tages lautet: Liebe muss nicht echt sein, sondern perfekt. – Die Tageshöchstwerte liegen bei sonnigen 45 Grad.“

Petra Piuk: Frau mit sehr kurzen Haaren sitz nachdenklich auf einem Sofa
© Minitta Kandlbauer

Das Problem ist nicht die KI, sondern wer sie entwickelt: oft reiche weiße Männer.

Petra Piuk, Autorin

Ah, eine dystopische Vision, möchte ich gerne erleichtert beim Lesen des Romans denken. Aber noch am selben Tag in der ZIB: Seit Tagen über 40 Grad Celsius in weiten Teilen Spaniens und Waldbrände. Nicht einmal die Roboterfrauen sind so sehr Science Fiction: Die niederländische Künstlerin Alicia Framis heiratete vor wenigen Monaten in einem Rotterdamer Museum Ailex Sibouwlingen – einen Hologramm-Mann, den sie mit künstlicher Intelligenz erschuf.

Aber zurück zu „Hotel Love“: ­Petra Piuk liebt das Spiel mit Sprache und Formen. Es poppen (geschriebene) Werbeeinschaltungen auf, im Chat werden User-Fragen gestellt. Das Mosaik, das sie kunstvoll für die Leser*innen legt, ist aber nicht der Tanzboden für eine lustige Lovestory, es werden hier Liebesmärchen seziert. Die Autorin und Filmemacherin Jovana Reisinger bringt es prima auf den Punkt: „Dieses Buch ist eine schonungslose Antithese zum klassischen Liebes­roman.“

Das Interview

Dein „Hotel Love“ ist fesselnd, deine Fantasie echt spektakulär …

Petra Piuk: Das Lustige ist: Ich höre das immer wieder. Dabei habe ich viel aus der Realität „abgeschrieben“: aus Parteiprogrammen, Nachrichten, Kommentaren, die Leute posten. Einiges kann passieren, einiges passiert in vielen Teilen der Welt schon:

Es gibt einen Backlash in den USA, in Ungarn, in Polen, das ist Tatsache. Ich habe mir vorgestellt, wie es bei uns wäre, wenn zunächst queere und dann Frauenrechte abgeschafft würden. Vielleicht habe ich es etwas zugespitzt, aber oft nur den Sound. Es kommt im Roman eine Kunstausstellung mit lauter Originalzitaten vor, da ist vieles nicht erfunden. „Sexy ist das neue Smart“ – das war kürzlich der Artikeltitel in einer Frauenzeitschrift zum Thema Bürolook.

Petra Piuk: Buch in gelb, schwarz und pink mit dem Schriftzug: Hotel Love
© Minitta Kandlbauer

Was war die Initialzündung für deinen Roman?

Ich war an einem naturwissenschaftlichen Gymnasium, Robotik und virtuelle Realität haben mich schon Anfang der 1990er fasziniert. Ich hatte in einer technischen Buchhandlung einen Nebenjob und habe die Bücher dort verschlungen. Ich hielt sogar ein Referat über Staubsauger-Roboter, Spiele in der virtuellen Realität und Datenhandschuhe, damals alles noch Zukunftsmusik.

Am Roman selbst habe ich – parallel zu anderen Projekten, wie den Kinderbüchern oder dem Theaterstück („Talkshow 1933. Und welche Augenfarbe haben Sie?“, uraufgeführt im Offenen Haus Oberwart, Anm.) – neun Jahre gearbeitet. Ich habe mich noch nie so lange mit einem Projekt befasst. Was mich dabei auch interessiert hat, ist das Zusammenspiel von Kapitalismus und Patriarchat sowie von KI und rechten Ideen.

Wie siehst du die aktuellen Entwicklungen?

Ich sehe nicht das Problem in der Technologie, sondern im Umgang damit bzw. darin, wer die KI entwickelt: Das sind bis heute oft reiche weiße Männer. Manchmal auch Männer, die ein bisschen Gott spielen wollen. Somit ist die KI nicht neutral, sie ist beispielsweise oft sexistisch und rassistisch. Es gibt gute Anwendungsgebiete, wie in der Medizin, aber sie soll auch kein Ersatz für den Menschen sein, sondern eine Ergänzung.

„Hotel Love“ ist keine Science-­Fiction-Geschichte, sie ist erfunden, basiert aber auf vielen realen Fakten. Ich habe viel recherchiert, war auf einer Robotik-Messe, wo ich Fachleute gehört habe, die teilweise davon ausgehen, dass KI ein Bewusstsein entwickelt. Das glaube ich nicht. Sie kann es simulieren, auch Gefühle, aber sie braucht Vorgaben, wonach sie handelt. Die Gefahr liegt darin, wer das in der Hand hat. Wenn man der KI nur sagt, sie soll den Klimawandel stoppen, und man trifft keine Sicherheitsvorkehrungen …

… rottet sie die Menschen aus?

Genau, weil keine Menschen bedeutet: kein CO2 – Problem gelöst.

Was die KI (nicht) kann

Wie geht es dir damit, dass KI Musik komponiert, Bücher schreibt?

Ich sehe das ambivalent. Technisch ist es faszinierend, was KI kann. Und die Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Wir müssen halt lernen, damit umzugehen. Und uns auch mit Themen wie dem Urheber*innenrecht beschäftigen. Ein Gruselszenario für dich? In meinem Buch gibt ja eine KI vor, den Roman zu schreiben, weil es keine Schriftsteller*innen mehr gibt. So weit wird es, glaube ich, nicht kommen. Es wird immer Menschen geben, die Literatur schreiben und Literatur von Menschen lesen wollen.

Verwendest du ChatGPT?

Ja, zur Inspiration oder um Ideen zu sammeln. Kürzlich habe ich mit ChatGPT eine Fotolocation gesucht.

Die feministische Plattform „Sorority“ hat kürzlich in einem Interview gesagt, es handle sich aktuell um die „letzten Zuckungen des Patriarchats“. Wie siehst du das?

Eine schöne Vorstellung! Ich sehe ein Zusammenspiel von Patriarchat und Rechtsextremen, die die „traditionelle“ Familie propagieren; ich sehe, wer die Care-Arbeit macht und wie das dem Kapitalismus dient. Frauen verdienen noch immer so viel weniger als Männer.

Leider bedeutet Feminismus noch immer für viele: Frauen gegen Männer. Das ist es aber nicht. Es geht darum, gemeinsam das Patriarchat zu überwinden, weil es keinem Geschlecht guttut, weil auch Männer in ihren Rollenbildern, stark und leistungsfähig sein zu müssen, gefangen sind.

Dein Roman ist auch pointiert, aber das Ausgangsszenario doch sehr dystopisch. Bist du eine Pessimistin?

Nein, Realistin. Ich sehe alles ziemlich nüchtern. Wir leben in unsicheren Zeiten, wir haben den Klimwandel, Kriege, viele suchen Halt in traditionellen Werten.

Schreiben mit Jugendlichen

Du hattest viele Jobs, seit exakt zehn Jahren bist du hauptberuflich Autorin. Gratuliere, du hast Jubiläum! Wie geht es dir damit? War das eine gute Entscheidung?

Ach ja, stimmt! Die Zeit ist schnell vergangen. Ja, es war definitiv eine gute Entscheidung. Ich mag das Schreiben und die Lesungen, ich mag Workshops, arbeite sehr gerne mit jungen Menschen zusammen. Ein Herzensding ist im Rahmen der Initiative „mitSprache“ gelaufen: Gemeinsam mit Barbara Mayer und dem Literaturhaus Mattersburg haben wir für Jugendliche in herausfordernden Lebenssituationen Schreibwerkstätten auf die Beine gestellt. Zuerst waren sogar einige ihrer Betreuer*innen skeptisch, ob es klappt.

Wir haben mit WhatsApp-Nachrichten und einem gemeinsamen Chat angefangen, später haben sie seitenweise Geschichten geschrieben. Ich kriege jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Unser Ziel war der Prozess, sie sollten keinen Druck haben, aber sie wollten selbst eine Aufführung machen. Wir haben dann eine Bühne aufgebaut, die Jugendlichen haben sich schön angezogen, manche haben sogar Abendkleider angehabt, um ihre Werke vorzutragen. Wir haben das drei Jahre lang gemacht, so etwas möchte ich gerne wieder starten.

Du wurdest 2018 für einen Kurztext aus „Toni und Moni“ mit einem der höchstdotierten Preise ausgezeichnet, der Roman behandelte häusliche Gewalt, Familiendramen und mehr – und war sehr erfolgreich. Gleichzeitig hast du Hassmails bekommen. Wie blickst du darauf zurück?

Ich wurde als Nestbeschmutzerin bezeichnet, damit konnte ich gut leben.

… weil es bedeutet hat, dass du aufgewühlt hast?

Genau. Die Zeiten haben sich aber geändert. Damals waren es Hassmails, was jetzt mit „Hotel Love“ via Social Media passiert, kann ich nicht voraussagen. Aber das Buch ist geschrieben, jetzt gehört es mir nicht mehr (lacht).

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