Michaela Dorfmeister: Nie 08/15
Knapp 20 Jahre nach dem Ende ihrer Skikarriere sprechen wir mit Michaela Dorfmeister darüber, warum sie schon immer anders war.
© Michelle Dmitrovic
An einem grauen Herbstnachmittag öffnet eine gut gelaunte Michaela Dorfmeister uns die Tür zu ihrem Reich im Mostviertel. Wir machen Fotos im Garten mit Hündin Luna und spazieren danach zu den Schafen, besonders Spiky zeigt sich heute gar nicht fotoscheu. Dann sitzen wir gut gelaunt in der Küche der Ausnahme-Skifahrerin und plaudern über das Leben.
Warum gerade Purgstall – was bedeutet dir dieser Ort?
Ich bin wegen dem Vater meiner Tochter hierhergekommen. 2005 haben wir hier zu bauen begonnen. 2006 – genau am Ende meiner Karriere – sind wir eingezogen. Es war mir wichtig, dass es abgelegen ist. Ich mag die Privatsphäre. Ich war als Skifahrerin ständig unterwegs, da wollte ich privat das genaue Gegenteil: keine Siedlung, keine Nachbarn, die reinschauen.
Du hast vor knapp 20 Jahren deine aktive Skikarriere beendet. Wie hat sich dein Lebenstempo seither verändert?
Ich kann’s selbst steuern – früher war alles fremdbestimmt. Essen, schlafen, trainieren, reisen, Termine … Ich wusste ein Jahr im Voraus, wo ich am 20. Oktober sein werde. Die Umstellung danach, plötzlich selbst zu entscheiden, war groß. Doch die Aktivität ging weiter, denn hier gab’s und gibt’s genug zu tun: ein Hektar Grund mit Wald und Tieren. Und meine 16-jährige Tochter – auch wenn sie heute in Wien lebt – bleibt doch noch Verantwortung.
Viele Spitzensportler*innen fallen nach dem Karriereende in ein Loch. Wie war das bei dir?
Ich hatte das Glück, den Schlussstrich selbst zu ziehen. Ein Jahr habe ich mich darauf vorbereitet. Und dann war da ja auch die Baustelle daheim. Während andere feierten, bin ich nach meinem letzten Rennen direkt dort hingefahren. Ich wollte wissen, wie alles gebaut wird. Das zahlt sich bis heute aus. Ich weiß, wo Leitungen liegen, und repariere vieles selbst. Keilriemen beim Rasenmähertraktor, Pumpen entlüften … One-Woman-Show (lacht).

Du hast nach doppeltem Olympiagold 2006 aufgehört – ist es wirklich am schönsten, zu gehen, wenn es am schönsten ist?
Mit 33 war es für mich im Spitzensport einfach Zeit … Ich war seit meinem zehnten Lebensjahr unterwegs: Internat, Auto, Hotelzimmer, Piste. Im letzten Jahr hat mir schon die Motivation gefehlt, wieder einen Koffer zu packen. Ich habe mich von jedem Ort bewusst verabschiedet, von jedem harten Trainingstag. Das hat den Abschied leicht gemacht. Selbst entschieden, gesund rausgegangen, mit einem Höhepunkt am Ende – da kann man nicht traurig sein.
Wusstest du damals, was du danach machen willst?
Eigentlich nicht. Ich wollte meine Erfahrungen weitergeben – an junge Sportler*innen oder Leute aus der Wirtschaft. Vorträge habe ich probiert, aber das hat sich nicht richtig angefühlt. Dann wurde ich Vizepräsidentin im Landesskiverband, inzwischen bin ich sportliche Leiterin. Das taugt mir, aber es kommen neue Generationen, neue Trainer, neues Material … Ich bin ehrlich: Ich weiß nicht, wie lange ich das noch mache.
Du machst heute auch Skitage, Kaminabende, Mindset-Workshops. Was reizt dich daran?
Die Mischung aus Bewegung, Austausch und Weiterentwicklung. Und das Persönliche. Firmen buchen mich für Wandertage oder Skitage, kombiniert mit Gesprächen. Es geht ums Mindset – und darum, gemeinsam etwas zu erleben. Das kommt sehr gut an.
Wie gehst du mit Tiefs um – beruflich oder privat?
Ein Ziel braucht man immer. Und einen Plan, wie man dorthin kommt. Und dann gibt’s diese innere Stimme, die zweifelt. Ich nenne sie „Charly“. Früher hat er laut geredet, der Charly. Mit Argumenten bekommt man ihn ruhig. Je öfter du das übst, desto leiser wird er.
Welche Opfer musstest du bringen, um so weit zu kommen?
Konsequenz und Durchhaltevermögen. Und ja, ich hatte keine normale Jugend. Keine Freundschaften, weil ich nie da war. Das hat mir manchmal gefehlt, aber ich wollte es damals genau so.
Du hattest viele auch nicht so schöne Zuschreibungen: Flachländerin, Ostblock, Mundl, Rattenliebhaberin … Was hat das mit dir gemacht?
Es hat mich nur motiviert. Ich war immer stolz darauf, nicht aus einer Hoteliersfamilie mit Skilift vor der Tür zu stammen. Ich war anders – und das war gut so. Ich war nie 08/15 und bin es bis heute nicht.

Was fühlst du, wenn du heute alte Rennen siehst?
Es ist lange her – aber bei guten Rennen werde ich immer noch emotional. Dann denke ich: Wahnsinn, du hast geschafft, was Tausende probiert haben. Heute schätze ich das viel mehr, es ist ein Privileg.
Was hat dich am stärksten geprägt?
Mein Elternhaus. Zu Hause war ich nie der Skistar – sondern einfach die Michi. Bodenständig. Und natürlich die zwei Schulen: Lilienfeld und Schladming. Mit zehn habe ich gelernt, selbstständig zu sein. In Schladming mit 14 war ich 250 Kilometer von daheim entfernt. Heimweh, Schulprobleme – meine Eltern haben mich trotzdem bestärkt, dranzubleiben. Das war hart, aber richtig.
Du hast auch eine schwere private Zeit hinter dir: Dein Ex-Partner musste vor neun Jahren ins Gefängnis, die Beziehung ging in die Brüche. Wie hat dich das verändert?
Da habe ich die Learnings aus dem Sport am meisten gebraucht. Scheitern, Neuanfang, Fokus. Ich habe mich geschämt, obwohl ich gar nichts dafürkonnte. Irgendwann war der Punkt erreicht, wo ich verstanden hatte: Das ist nicht meine Last. Ich habe alle negativen Gedanken aufgeschrieben, in eine Kiste gepackt und hinten am Grundstück verbrannt. Das war mein Abschluss. Für meine Eltern war es schwerer, sie haben das lange nicht verdaut. Aber ich habe gelernt, Abstand zu gewinnen.
Wie ist deine Tochter Lea mit der Situation umgegangen?
Sie war sieben – und wurde dadurch viel zu schnell erwachsen. Aber wir haben extrem viel geredet. Sie hat schon damals viel verstanden, aber natürlich auch Scham gespürt. Wir hatten professionelle Begleitung von den Rainbows, das war wichtig. Und die Situation hat uns aber auch zusammengeschweißt.

Inwiefern hat sich der Skisport verändert?
Die Jungen haben viel mehr Ablenkung. Ich war vor Kurzem für zwei Wochen mit Nachwuchstalenten in Schweden unterwegs – und dort merkt man wieder, wie gut es tut, sich nur aufs Fahren zu konzentrieren. Bei den Jungen ist das Handy überall dabei, sogar am Sessellift. Da solltest du den Lauf im Kopf durchgehen, nicht scrollen. Das beeinflusst Reaktionsfähigkeit und Fokus – das ist wissenschaftlich belegt.
Wenn du auf alles zurückblickst – wer und wie bist du heute?
Bodenständig, ehrlich, manchmal zu ehrlich. Ich hab lernen müssen, mich manchmal diplomatischer auszudrücken (lacht). Zielstrebig, aber auch ab und zu planlos – was okay ist. Wichtig ist nur, dass man sich wieder fängt.
Welche Rolle spielen für dich deine Wurzeln?
Ich bin ein Dreiländereck: in Wien geboren, Papa Burgenländer, Mama Niederösterreicherin. Und in der Steiermark habe ich fünf wichtige Jahre meiner Jugend verbracht. Und eigentlich passt das ganz gut zu mir – ich war immer ein bissl von überall und doch ganz ich selbst.
Michaela Dorfmeister

Geboren am 25. März 1973 in Wien
2 x Olympiagold, 1 x Olympiasilber, 2 x Weltmeisterin, 1 x Gesamtweltcupsiegerin, 2 x Siegerin Super-G-Weltcup, insgesamt 25 Einzel-Weltcup-Siege. Beendete ihre aktive Skikarriere 2006 nach dem 2-fachen Gold-Erfolg bei den Olympischen Spielen in Turin.
www.sportpeak.at
www.skiprofit.at
Hier das Wordrap-Video bei Michi daheim!
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