Que(e)r Beet

Körper, Kunst, Cartoons: Doris Schamp lebt an vier Orten und arbeitet künstlerisch in zwei Welten.

7 Min.

FEIERT DIE KÜNSTLERISCHE FREIHEIT. Doris Schamp wuchs in Oberpullendorf mit drei Geschwistern in einer Ärztefamilie auf – und ist heute Cartoonistin alias „La Razzia“ und vielseitige bildende Künstlerin. © Vandehart Photography

Ein kleiner Reiseführer bzw. eine Einführung in ihre Pullenale-Show.

Schon einmal was von den Bonobo-Affen gehört? Sie gehen vorbildlich friedlich miteinander um und sollen sieben Mal häufiger Sex haben als ihre Artverwandten – und zwar sehr kreativ, homo- und heterosexuell. Wenn sie sich nach Liebe oder Stress­abbau sehnen, ist auch vielen Giraffen das Geschlecht wurscht und schwule Flamingos wurden schon dabei beobachtet, wie sie Eier stahlen und ausbrüteten.

Weshalb sich manche Menschen noch immer starr an Schubladen klammern, ist Doris Schamp schleierhaft. Das bringt die Künstlerin mit ihrer Arbeit „Queerreich“ zum Ausdruck, für die sie sich mit Queerness in der Tier- und Pflanzenwelt auseinandersetzte. Resultat ist ein großformatiges Ornament inklusive eines Mobiles, das die abgebildeten Phänomene beschreibt – und das sich zuletzt bei der Ausstellung „Queer Art Spaces Vienna 2023“ in der Wiener Kunsthalle Exnergasse neben anderen Werken mehr als 3.000 Menschen ansahen.

Gegen die Schubladen-Mania zeichnet und malt die Oberpullendorferin auch aus persönlichem Interesse an: Seit Beginn ihrer schöpferischen Laufbahn will man ihr eine Entscheidung abringen: Cartoonistin oder Malerin? „Ich pfeif’ mir nix mehr. Ich bin und bleibe beides, also sozusagen auch queer. Queer ist für mich jegliches Out-of-the-box-Denken. Mich interessiert alles abseits von: Das macht man immer schon so.“

© Vandehart Photography

Mich interessiert alles abseits von: Das macht man immer schon so.

Doris Schamp, Künstlerin

In Oberpullendorf stellte sie beinahe vor zehn Jahren das letzte Mal aus, die Einladung zur Pullenale im September nahm sie gerne an. „Endlich wieder Home­town“, triumphiert die Künstlerin, die zudem im Pinzgau, in Wien und Los Angeles lebt und arbeitet. Darum geizt sie auch nicht mit Werken: Sie spannt den Bogen von pointierten Cartoons und deren Entstehung bis hin zu zwei- und dreidimensionalen künstlerischen Arbeiten zum Thema „Körper und queer“. Garniert wird zudem das Rathaus mit „einer Crazyness an Installationen und Lichtern, inspiriert durch meine Lieblingsstadt L.A.“.

Du hast schon für viele Magazine gezeichnet, auch für uns, kürzlich beauftragte dich der Red Bulletin Innovator mit „Ideen für eine bessere Zukunft“ – geht so etwas auf Knopfdruck?

Doris Schamp: Mittlerweile ja. Ich lege mich ins Bett und denke nach, dann kommen die Ideen. Viele! Dann muss ich sie natürlich aufschreiben und zeichnen, sonst sind sie futsch. Mein Humor ist böse; über die schärfsten Jokes trauen sich viele nicht drüber (lacht). Aber das verstehe ich, die verwende ich dann für mich weiter.

Wieso wurdest du Künstlerin?

Ich habe mit 13 eine Salvador­-Dalí-Ausstellung in Venedig gesehen und gesagt: Ich werde Künstlerin, das ist in Stein gemeißelt. Mit 17 habe ich die Aufnahmeprüfung an der Akademie der bildenden Künste versucht, mit 18 an der „Angewandten“ – ich kam nicht rein und war stinksauer. Dazu kam der Gegenwind daheim: Mein Vater, der später stolz meine Bilder in seiner Ordination aufhängte, war nicht begeistert, der Opa hat gesagt: „Kunst?! Kunst ma net a Göd gebn?“ Ich hab’ dann zuerst in St. Pölten Produkt- und Möbeldesign studiert – und habe es danach auf die „Angewandte“ geschafft.
Viele in meiner Familie wünschten sich für mich etwas „Stabileres“ und hatten auch nicht Unrecht: Dass ich auch Lehramt studiert habe, ist schon eine gute Basis.

Wie hast du das Kunst-Studium an der „Angewandten“ erlebt?

Ich war im Himmel, wir konnten uns voll austoben. Danach hab’ ich mich für ein Praktikum in den USA beworben – und es auch gekriegt. Ich war dann in L.A. bei der bekannten Agentur Kast­ner und Partner, hab’ Red-Bull-Figuren für Newsletter gezeichnet, Musik für den Flugtag recherchiert und mir Shop-in-Shop-Systeme ausgedacht, also Regalkonzepte, damit das Produkt im Geschäft möglichst schnell sichtbar wird. Das hat mir sehr gefallen! Dass ich jetzt wieder für ein Red-Bull-Magazin zeichne, ist aber eigentlich ein Zufall.

© Vandehart Photography

Wie kamst du auf Cartoons?

Den Humor habe ich von meinem Großvater; er war sehr gescheit, aber auch ein Kindskopf (lacht). Irgendwann habe ich ein Cartoon-Zeichenbuch geschenkt bekommen und wusste sofort: Das will ich auch können. Alle bekannten Cartoonisten haben Standard­figuren, also bin ich verschiedene Tiere durchgegangen – und bei den Hühnern hängen geblieben. Ich fand die immer schon witzig und ich wollte Menschen zum Lachen bringen. Die schlimme Erkenntnis war irgendwann: Es gibt zwar beispielsweise das tolle Karikaturmuseum in Krems, aber als Cartoonistin kann ich nicht in einer renommierten Galerie ausstellen. Im Gegensatz zu Belgien oder Frankreich gibt es bei uns quasi zwei Türen. Das finde ich schade.

Wo es doch so schwer ist, auf diese Bild-Text-Pointen zu kommen …

Man muss filmisch denken.

Ich bin oft neidisch: Wie toll, wenn man mit einem Bild und einer Textzeile komplexe Dinge witzig auf den Punkt bringen, kritisieren kann.

Ja, das ist eine Kunst.

Konntest du dich in L.A. auf die Cartoons fokussieren?

Ja, mit der ersten Ausstellung habe ich das Showbusiness aufs Korn genommen. Als mein Visum ablief, musste ich nach Hause und kam wieder zurück, um an einer deutsch-amerikanischen Schule zu unterrichten. L.A. wurde meine Stadt und ich wäre geblieben, hätte damals meine Gesundheit mitgespielt.

Ein schmerzvoller Abschied?

Ja, aber der Plan, da und dort tätig zu bleiben, lebt! Corona war schrecklich, weil ich nicht hinfliegen konnte. Seither tue ich das mehrmals im Jahr – auch gemeinsam mit meinem Mann Chris. Auch er liebt es dort: die Wärme, die Nationalparks, den Lifestyle. Das liegt auch am Strand, ich bin eine Surferin. Nach L.A. ziehen nur Leute, die Träume haben, die Stadt ist voller Fantast*innen und Paradisvögel, sie ist meine Inspiration. Wobei ich auch die Kehrseite sehe: die vielen Obdachlosen, weil es kein Sozialsystem gibt. Du hast dort viele Möglichkeiten – solange du funktionierst.

Womit beschäftigst du dich aktuell und was zeigst du noch in Oberpullendorf?

Ich habe zuletzt begonnen, viel Akt zu zeichnen und zu malen. Das mochte ich immer: Ich habe früher viel getanzt; Körper und Mensch waren für mich immer wichtig. Diesmal fing ich an, Menschen abstrahiert zu zeichnen, auch mit Accessoires, die verstörend sein können. Ich wollte zudem keine Profis malen, sondern bat alle möglichen Leute, die das freiwillig machen; das ist noch spannender, sie nehmen keine klassischen Posen ein. Doris Schamp scrollt durch ihren Insta-Account und erklärt: Das ist Cliff, ein Texaner, den ich mit Colt und in Unterhose gezeichnet habe, Don schläft – und das hier ist ein guter Freund, der mir immer zu ärgeren Posen rät (lacht).

Zugegeben, ganz schön gewagt. Ist dir das nicht unangenehm?

Nein, ich habe selbst auch kein Problem damit, nackt zu sein. Wenn eine Person angezogen ist, während die andere nackt posiert, ergibt sich natürlich eine Hierarchie. Nackt bist du verwundbarer, unter der Kleidung kann man sich verstecken. Wenn es einem Aktmodell unangenehm ist, würde ich mich auch nackt hinsetzen, damit beide nackt sind. Ich habe mit drei Jahren mit Ballett begonnen; auch wenn du tanzt, ist der Körper nur Werkzeug. Bis heute ist es aber so: Wenn ich Aktmodelle suche, kriege ich von Männern manchmal Antworten wie „du bist für jeden Spaß zu haben“. – Nein, ich brauche nur jemanden nackt für meine Arbeit.
Bei der Pullenale zeige ich auch eine dreiteilige Pappmaché-Serie, bei der ich einen positiven Zugang zur Lust der Frau gesucht habe. Während der Pandemie habe ich mit einem Freund auch ein total witziges Corona-Tarot fotografiert; das Thema war Körper und Maske. Aber ich glaube, das hänge ich nicht auf, es sollen ja auch möglichst viele Schulklassen kommen … (lacht).

Oberpullendorfer Kulturtage „Pullenale“:
Ausstellung Doris Schamp/Cartoons und Malerei;
15. September, 19 Uhr, Rathaus (bis 5. Oktober).

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