Vier Personen sitzen an einer Backsteinmauer auf einem Friedhof

Feminismus am Friedhof

In der Oper „Umgraben“ steigen zwei Frauen auf die Barrikaden. Wie das gehen soll und was das mit der Realität zu tun hat – eine Spurensuche in Gols.

6 Min.

© Victoria Herbig

Die Nebeltristesse reißt auf, die Sonne beleuchtet an diesem Oktobersonntag die bunten Blätter, der Wind verstummt, als wir uns am Friedhof in Gols treffen: mit vier Frauen – und Paul Wendelin, der seit 16 Jahren in Pension ist und noch immer sehr glücklich darüber, dass er sich um die Ruhestätte der Gemeinde kümmern darf. Er genießt sichtbar seine diesmal fröhliche Mission, uns den Friedhof zu zeigen, „ganz schlimm ist es immer, wenns Junge sind“, deutet er auf einem Grabstein auf Geburts- und Todes­datum, zwischen denen gerade einmal zwei Jahrzehnte liegen.

Schön findet er das Grab des genialen, zu früh verstorbenen Zeichners und Autors Erwin Moser. „So könnte ich es mir auch vorstellen: mit einem Smiley als Grabstein“, sagt Edith Payer. „Da hinten gibt es auch ein schönes Grab – über und über mit Efeu bewachsen“, beschreibt Michaela Frühstück. „Ich habe erst kürzlich erlebt, wie dafür jemand woanders angefeindet wurde. Da merkt man, wie streng die Menschen mitei­nander sind“, überlegt Edith Payer.

© Victoria Herbig

Am Friedhof spielt sich alles ab, er ist ein Spiegelbild der Gesellschaft.

Michaela Frühstück, Autorin

„Am Friedhof spielt sich alles ab, das ist ein Spiegelbild der Gesellschaft“, pflichtet ihr Michaela Frühstück bei, die sich eben davon für ihr pointiertes feministisches Libretto „Umgraben“ inspirieren ließ. Wir treffen die Autorin zwecks Einstimmung auf die Uraufführung gemeinsam mit ihren „Mitstreiterinnen“: mit der Künstlerin Edith Payer, die für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnet, und dem Regieduo Valentina Himmelbauer und Teresa Schmid. Die zeitgenössische Oper komponierte Klaus Lang, am 14. November ist die Premiere im Offenen Haus Oberwart. Drei Sänger*innen, ein Streichquartett, Holzbläser und Harmonium werden „Umgraben“ zum Klingen bringen.

Absolute Absurdität am Friedhof

Amtsmissbrauch und gefährliche Drohung sollten im Libretto vorkommen, das hatte sich der musikalische Leiter Emanuel Schmelzer-Ziringer gewünscht. Und zwar verpackt in eine Geschichte im Dorf, gewürzt mit etwas Humor und etwas Dialekt – Dinge, die Michaela Frühstück mit Bravour beherrscht, wie ihre Romane zeigen.

Doch über die Kombination mit den beiden Delikten zerbrach sie sich gehörig den Kopf, räumt sie ein, bis plötzlich im selben Karo und Anni auftauchten: zwei Feministinnen, die eine Wirtin, die andere Bestatterin, die auf die Barrikaden steigen, als sie von den Plänen des Bürgermeisters erfahren.

„Ich habe mich für die absolute Absurdität entschieden, das ist selbst für Ungläubige sakrosankt: Der Friedhof soll geopfert werden für Fachmarktzentrum, Reihenhäuser, Parkplätze“, verrät Michaela Frühstück. Zudem plant der Ortschef Drive-in-Urnenbegräbnisse am Kreisverkehr, konfrontiert ist er daraufhin „mit zwei starken Frauenfiguren, die durch Solidarität verbunden sind, sich auflehnen, aber nicht frei von Schuld sind, weil sie ihm ja drohen“, beschreibt Michaela Frühstück.

Leicht hat’s der Bürgermeister nicht. Er kämpft „gegen das Verwelken der Dörfer“ und muss abwägen, ob er den Ortskern lebendig halten will oder Flächen verkauft, um die Gemeindekasse aufzufüllen.

Für gewöhnlich – und gerade am Friedhof – wird der November dem Innehalten und Gedenken an die Toten gewidmet. Berührungsängste spüren die Frauen deswegen nicht. – „Es ist ein humorvolles Stück, aber es hat gleichzeitig Wertschätzung für sensible Themen“, findet Regisseurin Teresa Schmid. „Die Figuren sind alle zutiefst menschlich, auch nicht ganz gerade, sie verhandeln selber, was sie dürfen. Sie sind schon moralisch, aber da ist nicht eine Person dabei, die wie so oft in ,klassischen Hollywood-­Filmen‘ eine absolut Gute ist, das ist realistisch“, ergänzt Edith Payer.

Über die Spaltung der Gesellschaft in Zeiten multipler Krisen diskutieren die Frauen am Golser Friedhof auch; ein wohltuendes Gegenstück soll das Jenseits in der Operninszenierung sein, das womöglich einer positiven Wunschvorstellung folgt, „wo alle gleich sind“, sagt Teresa Schmid. „Vielleicht sogar als eine weibliche Utopie, befreit von patriarchalen Strukturen“, fügt Valentina Himmelbauer hinzu.

Zum Feminismus haben sie alle etwas zu sagen, „wir sind lang genug mitgemeint worden, es ist an der Zeit, dass wir solidarisch miteinander für unsere Rechte eintreten und dass schon die Kinder eine Sensibilität entwickeln, um Ungerechtigkeit und Ungleichheit zu erkennen“, sagt Michaela Frühstück. „Es ist nicht gut, wenn in Schulbüchern oft noch immer die Buben die Aktiven und die Mädchen die Nichtaktiven sind.

Wir müssen unsere Vorbildrolle ernst nehmen, auch wenn das nicht immer bequem ist.“ Eine große Chance sieht Valentina Himmelbauer in der Kunst, „manchmal habe ich den Eindruck, nicht allen ist bewusst, welche Wirkung unsere Geschichten auf Kinder haben können, die sich gerade ihr Weltbild zusammenbauen.“

Übers Leben reden am Friedhof. Mit Regieduo Teresa Schmid und Valentina Himmelbauer, Friedhofsverwalter Paul Wendelin, Autorin Michaela Frühstück und der bildenden Künstlerin Edith Payer © Victoria Herbig

Raum einnehmen

„Feminismus bedeutet für mich auch, ins Detail zu gehen“, sagt Teresa Schmid. Es genüge längst nicht, etwa über den Gender-Pay-Gap zu diskutieren. „Wir müssen uns die Strukturen genau anschauen, die auch wir selbst teilweise weitertragen. Die ganze Welt ist auf männliche Personen zugeschnitten. Die Oper zeigt aber sehr gut, dass man auch im Kleinen, nämlich im Dorf, dagegenhalten kann. Man darf nicht müde werden, selbst an kleinen Stellen darauf aufmerksam zu machen.“

„Wir erleben ganz viel institutionalisierte Ungerechtigkeit, die von vielen hingenommen wird, weil es immer schon so war“, meint Edith Payer. „Dabei geht es um Macht, wer wie viel Raum kriegt.“ Anni und Karo, die Bestatterin und die Wirtin, nehmen sich ihren Raum. Schließlich geht es um ihre Existenz – wie so oft auch im realen Leben.
Als inspirierend erlebt Michaela Frühstück auch Pensionistinnen, die sich zwar gar nicht als Feministinnen titulieren, „aber nach der Menopause ein neues Leben begonnen haben, sich nichts mehr gefallen lassen, viel miteinander unternehmen und zusammenhalten. Ich halte diese Generation für unterschätzt.“ – In Korea, das habe Edith Payer kürzlich bei einer Reise erlebt, werden diese Frauen gesellschaftlich förmlich gefeiert. „Sie heißen Ajummas, sind 55+, selbstbewusst und können sich praktisch alles herausnehmen. Wenn eine kommt, schmeißt sie dich vom Sessel in der U-Bahn, was für eine Befreiung“, lacht sie.

Apropos Spiegelbild der Gesellschaft

Der Friedhof ist hierzulande oft ein Treffpunkt für Frauen, das stellen wir auch an diesem Sonntag fest. „Weil sie sich besser ernähren und gesünder leben“, merkt Edith Payer an. „Und weil sie meistens die Gräber pflegen“, fügt Valentina Himmelbauer hinzu. „Der Friedhof ist ja auch für alle da, selbst für die, die nicht gläubig sind. Die Kirchen werden leerer, aber sterben tun wir alle“, sagt Michaela Frühstück – Edith Payer: „Zumindest das ist gerecht. Egal ob du Techmilliardär oder ein Diktator bist, irgendwann stirbst du genauso.“

Feministinnen am Friedhof. Regisseurinnen Teresa Schmid und Valentina Himmelbauer, Autorin Michaela Frühstück, bildende Künstlerin Edith Payer © Victoria Herbig

Umgraben – Eine Kammeroper

„Umgraben“ ist eine Produktion von Offenes Haus Oberwart und KIBU (Komponistinnen und Interpretinnen im Burgenland). Die Musik komponierte Klaus Lang, das Libretto stammt von Michaela Frühstück. Sarah Molnar, Taisiya Albani, Maximilian Schnabel singen; es spielen Streichquartett, Holzbläser und Harmonium.

Uraufführung: 14. November, 19.30 Uhr, Offenes Haus Oberwart

Weitere Aufführungen im OHO: 15. November, 19.30 Uhr / 16. November, 17 Uhr

Sowie im KUZ Eisenstadt: 18. November, 19.30 Uhr

www.oho.at

Abo

Immer TOP informiert: Mit dem Print oder Online-Abo der BURGENLÄNDERIN – ob als Geschenk, oder für dich selbst!

×