Gedächtsnistrainig – das ist MERKwürdig!
Wie wir unser Gehirn täglich auf Trab halten und uns leicht Namen und Zahlen merken oder unseren Kindern Lernstrategien beibringen.
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Nach der Geburt ihrer Tochter hatte Romana Hartl das Gefühl, sich gar nichts mehr merken zu können. Das war der Startschuss ihres Weges zum Gedächtnistraining. Seit 2019 arbeitet sie als selbstständige Gedächtnistrainerin, eine weitere Ausbildung für Senior*innen kam dazu, weshalb Romana auch im mobilen Demenzteam der Volkshilfe mitarbeitet. Weiters gibt sie auch Kurse, von denen alle Altersklassen profitieren können. Im Interview mit Chefredakteurin Nicole Schlaffer gewährt sie uns Einblick in die Funktionsweise des Gehirns und wie wir uns in der nächsten Kennenlernrunde nicht blamieren.
Wie funktioniert unser Gehirn, wenn wir uns etwas „merken“?
Romana Hartl: Vereinfacht gesagt: Den ganzen Tag nehmen wir mit unseren fünf Sinnen Informationen auf. Nur ein Bruchteil wird von diesem Ultrakurzzeitgedächtnis ins Kurzzeitgedächtnis weitergegeben. Dieser Bruchteil muss z. B. groß genug, laut genug oder interessant für uns sein. Wenn etwas vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis übergeht, dann hat das mit Emotionen zu tun, mit Wiederholung oder Merktechniken. Wenn eine Erinnerung mit starken Emotionen verknüpft ist, brennt sie sich sozusagen ein – oder wenn wir sie oft genug wiederholen. Unser Langzeitspeicher hat eine unendliche Kapazität. Der Kurzzeitspeicher ist festgelegt auf sieben Einheiten, plus/minus zwei. Also sieben Zahlen, sieben Begriffe – mit Merktechniken kann man sich auch viel mehr merken.
Doch dass das Gedächtnis auch etwas vergisst, ist ein Segen. Wenn wir uns alles merken würden, wäre das eine enorme Belastung für unsere Psyche.
Der Klassiker ist Namen merken. In einer Runde stehen einige Leute und alle stellen sich vor. Wie schaffe ich es, mir die Namen der Personen zu merken?
Zunächst muss ich sagen: Das ist großteils Übungssache. Manche stellen sich den Namen bildlich geschrieben vor und verknüpfen ihn mit einer Besonderheit der Person. Das kann sein: eine auffällige Nase, buschige Augenbrauen, schöne Locken, ein Muttermal im Gesicht oder ein bestimmtes Kleidungsstück/Accessoire. Geübtere verbinden den Namen und die Person dahinter sofort mit einem Bild. Z. B. bei mir sitzt eine Petra immer auf einem Stein, eine Viktoria trägt eine Krone und Sandra steht am Sandstrand. Oder wir verknüpfen den Namen mit einer uns bekannten Person, die genauso heißt, und stellen uns bildlich vor, wie sich die beiden umarmen oder irgendetwas Merkwürdiges tun. Verlassen Sie sich da auf Ihre eigene Intuition, jede*r hat andere Assoziationen.
Und wie ist das bei Zahlen – also einer Telefonnummer oder einem Pincode? Läuft das da ähnlich ab?
Ja, auch mit Bildern, aber etwas anders. Ich überlege mir für jede der zehn Ziffern, 0 bis 9, ein Bild. Und diese Bilder kommen immer wieder zur Anwendung. Z. B. 1 ist eine Kerze, 2 ein Schwan, 3 ein Dreizack … Und aus der jeweiligen Zahlenabfolge mache ich mir dann eine Geschichte. Beim Pincode 1234 wäre das dann: Ich stelle eine Kerze dem Schwan auf den Kopf, spieße ihn dann mit dem Dreizack auf und setze ihn anschließend auf den Sessel. Je merkwürdiger eine Geschichte ist, umso leichter merken wir sie uns.
Es gibt Menschen, die sich bei Gedächtnisweltmeisterschaften locker eine 200-stellige Zahl merken können … das ist dann eine ganz schön lange Geschichte!
Es gibt einen Mastercode, mit dem diese Weltmeisterinnen arbeiten. Dabei werden Zahlen in Blöcke zusammengefasst. Da ist z. B. die Zahl 21 ein eigenes Bild, die Zahl 98 etc. Die Person sieht nicht die Zahl, sondern sofort das Bild und daraus entsteht dann eine Bildgeschichte. Diese Kreativität lässt sich sehr gut üben. Diese Weltmeisterinnen haben keinen überdurchschnittlich hohen IQ, sie machen einfach ein sehr gutes Gedächtnistraining. Wie im Spitzensport, wo auch mehrere Stunden täglich trainiert wird.
Wenn wir älter werden, passiert es oft, dass wir Dinge verlegen oder Wege machen und dann nicht mehr wissen, wozu eigentlich. Werden wir mit dem Alter automatisch vergesslicher?
Manche unserer kognitiven Fähigkeiten nehmen mit dem Alter ab. Immer wenn wir Neues lernen, bilden sich neue Verbindungen im Gehirn. Das Gehirn ist wie ein Muskel, wenn wir es nicht trainieren, wird es träge. Je älter wir werden, umso mehr besteht unser Alltag aus wohlbekannten Automatismen. Deswegen ist ganz wichtig: Bleiben Sie immer neugierig und offen für Neues. Probieren Sie neue Dinge aus, machen Sie gewohnte Sachen ein bisschen anders. Das kann eine neue Sprache sein oder ein neues Hobby, das Sie erlernen. Aber es beginnt auch schon bei kleinen Dingen. Wenn Sie Ihre Finger immer auf eine gewisse Art verschränken oder Ihre Beine immer gleich übereinanderschlagen, machen Sie es öfter umgekehrt. Wenn Sie Rechtshänder*in sind, schreiben oder hantieren Sie mit der linken Hand. Oder gehen Sie beim Spazierengehen einfach mal rückwärts. All diese Dinge wirken als Gedächtnistraining und können auch Demenz vorbeugen.
Und was auch sehr wichtig ist: Trainieren Sie Achtsamkeit. Wenn Sie in den Keller gehen, um etwas zu holen, bleiben sie mit Ihrer Aufmerksamkeit bei den Kartoffeln. Dann vergessen Sie nicht, warum Sie nach unten gegangen sind. Wenn Sie Ihre Brille ablegen, sagen Sie laut: Ich lege meine Brille jetzt auf den Schreibtisch. Wenn Sie die Haustür absperren, sagen Sie das laut zu sich. Wenn ich mit meiner Aufmerksamkeit nicht im Hier und Jetzt bin, merke ich mir schlecht, was ich gerade getan habe.
Wie können sich Kinder Schulstoff besser einprägen?
Gerade bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen, darf der Spaß nicht fehlen. In Bildern lernen ist gehirngerechter, als Texte auswendig zu lernen. Ich arbeite gerne mit Mindmaps. Zeigen Sie Ihrem Kind, wie es geht: Ein Kreis mit dem Thema in der Mitte des Blattes und davon weg gehen Striche mit weiteren Kreisen, wo die Ereignisse und Themen, die damit zusammenhängen, drinstehen. Mit einfachen Strichen oder auch kleinen Zeichnungen können Themengebiete viel besser aufbereitet und visualisiert werden. Auch Farben dienen der Unterstützung zum besseren Merken.
Welche Übungen können wir noch in unseren Alltag einbauen, um unser Gehirn zu trainieren?
Wir können unsere Wahrnehmung mit kleinen Gedächtnistraining-Übungen schärfen: eine Minute still dasitzen, allen Geräuschen lauschen und diese bewusst wahrnehmen. Oder ein Stück Apfel in den Mund nehmen und ganz langsam essen, wie schmeckt es, wie fühlt es sich an? Eine lustige Beschäftigung können auch Wortfindungsspiele sein. Beim Spazierengehen: Mit den Buchstaben von Autokennzeichen Wörter finden. Oder beim Schilderlesen spielerisch darauf achten: Wie viele Vokale sehe ich oder welche neuen Wörter lassen sich aus den Buchstaben eines Wortes bilden? Schon fünf bis zehn Minuten am Tag halten unser Gehirn in Bewegung. Sich zu oft und zu lange nur vom Fernseher berieseln zu lassen, bringt unser Gehirn in einen „Ruhemodus“. Das kann entspannen, aber auf unsere Gehirnfitness wirkt es einschläfernd.
Romana Hartl ist Landesgruppenleiterin Burgenland des Österreichischen Bundesverbands für Gedächtnistraining: www.oebv-gt.at