
Männer heute – zwischen Bart & Bügeleisen
Vier Männer. Zwei Journalistinnen. Und jede Menge Fragen über Männlichkeit, Feminismus und das Ringen um Gleichberechtigung.
© Vanessa Hartmann
Wir wollten wissen, wie Männer heute ticken. Was sie über toxische Männlichkeit denken, über den Feminismus, über Väterrollen, Influencer-Idole und darüber, was echte Stärke bedeutet.
Deswegen haben wir uns mit vier Männern unterschiedlicher Generationen und Hintergründe an einen Tisch gesetzt – und gestaunt: über nachdenkliche Analysen, ehrliche Bekenntnisse und die eine oder andere humorvolle Pointe zwischen Führungsetage und Bügelstation. Entstanden ist ein Gespräch, das zeigt: Der Weg zu einer gerechteren Gesellschaft führt über das Gespräch. Und über die Frage, wie man(n) eigentlich sein will.
Die Teilnehmer*innen unseres Round Tables an der Hochschule in Eisenstadt sind:
Christian Reumann (Kinder- und Jugendanwalt),
Stefan Trenker (Projektleiter im Sozialbereich, Hochschullehrender, Musiker und Musikmanager),
die beiden Studenten Timo Willhalm und Jakob Ringhofer sowie
Chefredakteurin Nicole Schlaffer und Redakteurin Viktória Kery-Erdélyi.
Nicole: Was bedeutet Männlichkeit – und wie hat sich das im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Jakob: Für den Großteil der Bevölkerung sind es noch immer die klassischen Attribute wie Stärke, Dominanz, Selbstsicherheit, auch wenn das nicht die Realität widerspiegelt.

Wir bekommen vorgelebt, dass Frauen Kinder betreuen, also glauben wir, sie können es besser.
Jakob Ringhofer, Student
Christian: Es gibt einen großen Unterschied zwischen der allgemeinen Sichtweise und der geschönten allgemeinen Sichtweise. Heute wird mehr hinterfragt, aber geändert hat sich die Lebensweise der Masse nicht so sehr. Die Frau schupft alles daheim, der Mann erhält die Familie, sie versorgt ihn, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt – ein solches offenes Macho-Tum ist nicht mehr das, womit man einefetzt wie vor 30, 40 Jahren, aber das heißt nicht, dass es nicht heute auch noch gelebt wird.
Nicole: Ich habe kürzlich in einem TikTok-Video gehört, der Feminismus sei gefährlich, weil er Frauen dazu zwingt, wie Männer zu sein. Was sagt ihr dazu?
Stefan: Dieses starke Nach-Vorne-Preschen verlangt der Mainstream-Feminismus von Frauen.
Was ist Mainstream-Feminismus?
Stefan: Menschen werden über Karriererollen definiert. Ich wehre mich gegen alles, was das Individuum in ein Mainstream-Gedankengut einsperrt. Es wird davon gesprochen, dass zu wenig Frauen in Führungspositionen sind, aber vielleicht wollen sie gar nicht hin? Ich habe den Eindruck, dass Frauen vielleicht nicht in kleinen Betrieben, aber in großen Unternehmen und Konzernen die gleichen Chancen haben.
Christian: Das muss man relativieren. Frauen gibt es im Management bis zu der Ebene, bis zu der gearbeitet wird. Auf der „Wir-trinken-miteinander-Champagner-Ebene“ sind es primär noch immer Männer. Für Frauen sind seitens der Gesellschaft noch immer Einschränkungen und Erschwernisse da.
Viktória: Solange die meiste Care-Arbeit an den Frauen hängt, haben sie keine reale Entscheidungsfreiheit.
Stefan: Stimmt. Ich bin in den 80ern aufgewachsen, das Macho-Männerbild inklusive emotionaler Unnahbarkeit war da vorherrschend. Mein Vater starb letztes Jahr, da habe ich das erste Mal von ihm gehört, dass er mich gern hat. Bei der Männer-Generation, deren Väter im Krieg waren, gab es kaum Nähe, ich gehe heute mit meiner Tochter ganz anders um.
Jakob: Bei uns ist der emotionale Part auch eher bei meiner Mutter – obwohl mein Papa in Karenz war, von daheim gearbeitet hat und immer voll da ist, wenn ich etwas brauche.
Christian: Ich bin nicht gerade ein Paradebeispiel. Ich bin Jahrgang 1963, aber ich bin trotzdem so aufgewachsen, dass bei uns das Elternteil gekocht und Staub gesaugt hat, das gerade Zeit hatte. Mein Papa war ein Fan von Conchita Wurst, weil das ein Mensch ist, der wertschätzend mit anderen umgeht. In seiner Altersklasse war das sicher selten, aber das hat auf mich gewirkt.

Das offene Macho-Tum ist nicht mehr das, womit man einefetzt wie vor 30, 40 Jahren.
Christian Reumann, Kinder- und Jugendanwalt
Was ist männlich? Was ist weiblich? – Es sollte eigentlich darum gehen, ob jemand vernünftig und anderen gegenüber respektvoll agiert. Wenn ich aushalte, dass jemand anderer schöner oder gescheiter sein kann als ich, ist das eine Qualität, die ich bei Frauen und Männern gleichermaßen mag.
Stefan: Es geht um das Individuum. Ich mache zum Beispiel sehr viele „weibliche“ Sachen beruflich, das funktioniert super, dafür weiß ich nicht, wie ich einen Wasserhahn montiere.
Timo: Ich kenne mich Nüsse mit Autos aus (lacht).
Stefan: Was ich für wichtig halte, ist, dass Männer sensible Wesen sein müssen. Die Abspaltung von Emotionen macht viele zu Trinkern, chronischen Rauchern und Rüpeln.
Timo: Ich habe das Gefühl, je älter wir in meinem Freundeskreis werden, desto mehr sprechen wir auch über unsere Gefühle.

Ich fühle mich überschätzt. Ich glaube nicht, dass ich Kinder besser betreuen kann als Väter.
Viktória Kery-Erdélyi, Journalistin
Viktória: Der frauenverachtende Influencer Andrew Tate ist international erschreckend erfolgreich, bekommt ihr das bei den Jungen mit, dass es einerseits eine Ablehnung des Macho-Tums gibt, aber andererseits einen Trend zu alten Männerbildern, so wie es bei Mädchen die Tradwives (Anm.: Frauen, die ein traditionelles Rollenbild propagieren) gibt?
Stefan: Ich bin Obmann des Jugendzentrums Mattersburg, dort höre ich in den Wochenberichten eher, wenn ein Bursch offen über seine Suizidgedanken spricht oder darüber, dass er sich als ein anderes Geschlecht fühlt.
Christian: Ich denke, so etwas (er meint den Influencer Andrew Tate, Anm.) spielt sich stark auf der Online-Ebene ab.
Man muss aufpassen: Solche toxischen Typen haben den Vorteil, dass sie nichts hinterfragen und vereinfachte Aussagen liefern. Das kommt verunsicherten Leuten entgegen. Aber das ist nur eine relativ kleine Gruppe und nicht die analoge Masse.

Dass „toxisch“ und „Männlichkeit“ schon scheinbar zusammengehören, ist bedenklich.
Nicole Schlaffer, Journalistin
Nicole: Aber er beeinflusst vor allem junge Leute und prägt dadurch auf lange Sicht trotzdem die Gesellschaft.
Christian: Ich sehe das weniger gefährlich als die Lebensrealitäten: Putin agiert brutal und hält sich schon lange, Trump wurde das zweite Mal gewählt. Man kann sich auch viele Superreiche anschauen: keine Rücksicht auf andere nehmen, sondern andere ausnützen, um Geld und Macht zu lukrieren.
Wenn man sieht, welche Eigenschaften und welches Auftreten Wirtschaftsbosse haben, sind das gefährlichere Botschaften als ein paar schwachsinnige Influencer. Es sind also die Nachrichten, auf die ein Kind reagiert: Was muss ich machen, wenn ich erfolgreich sein möchte? – Am meisten präsent in den Medien ist gerade Trump, diese Präsenz macht attraktiv. Diese Wichtigkeit möchte ein Kind haben, das sich nicht gesehen fühlt.
Nicole: Für Jugendliche ist doch Trump nicht cool, er ist alt und Politiker. Aber einen Influencer, der cool daherkommt und „your body, my choice“ propagiert, den verstehen sie – der kommt bei vielen leider an.
Christian: Kinder und Jugendliche fühlen sich immer wieder ohnmächtig und hilflos. Wenn sie sehen, wie jemand was sagt und über andere drüberfährt, dann wirkt das. Influencer setzen sich eher auf diesen Zug drauf, sie liefern bloß eine Übersetzung.

Stichwort Mansplaining: Tun das Männer wirklich häufiger
Timo Willhalm, Student
als Frauen?
Timo: Von Andrew Tate kommen auch Botschaften wie: Du musst auf dich selber schauen, achte auf dein Leben, deinen Körper – das kann positiv wirken. Man sieht ihn meist am Balkon einer Villa, durchtrainiert, rundherum leicht bekleidete Frauen und Party, er hat ein Leben, das viele Burschen haben möchten. Sie selbst sind unsicher und verbinden dann seine frauenverachtenden Aussagen mit ihrer eigenen Suche nach Glück.
Viktória: Toxische Männlichkeit: Hat der Begriff für euch eine Berechtigung?
Jakob: Wenn einer ein Arschloch ist und Attribute eines „klassischen“ Mannes hat, ist es dann toxische Männlichkeit oder ist er einfach ein Arschloch?
Stefan: Ich denke, jegliches Verhalten, das das Gegenüber abwertet, ist schädlich. Das ist für mich eine toxische Persönlichkeit.

Männer müssen sensible Wesen sein. Die Abspaltung von Emotionen macht sie zu Rüpeln.
Stefan Trenker, Projektleiter im Sozialbereich, Hochschullehrender, Musiker und Musikmanager
Christian: Prinzipiell gibt es toxische Männlichkeit und toxische Weiblichkeit; es geht darum, ob jemand mit anderen wertschätzend umgeht oder nicht.
Wenn ein Influencer seine Klientel versorgt, indem er gegen Frauen aushaut, dann ist das toxisch – auch für seine Abonnenten, die übernehmen das. Er macht damit ein Geschäft, indem er andere herabwürdigt. Wenn das umgekehrt eine Frau tut, ist das genauso negativ.
Aber quantitativ ist der toxische Männeranteil größer. Im politisch rechten Lager gilt man oft schon als „Lulu“, wenn man für Umweltschutz einsteht. Wenn einer sagt: „Die Umweltverschmutzung macht mir nichts, ich bin eine harte Sau“, dann ist das auch eine Form von toxischer Männlichkeit.
Das Wichtigste ist: Toxisches Verhalten ist immer destruktiv.
Nicole: Es geht schlichtweg um eine toxische Persönlichkeit. Dass die Worte „toxisch“ und „Männlichkeit“ schon scheinbar zusammengehören, finde ich bedenklich.
Viktória: Ist es für euch kränkend, dass es den Begriff gibt?
Nachdenkliche Blicke, zaghaftes Nicken.
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