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Mütter kämpfen lange
Die finanzielle Not trifft heute auch die Mittelschicht, zumeist Frauen. Wir trafen eine dreifache Mutter.
© beigestellt
Julia M.* hatte einen langen Atem. Es musste viel passieren, bis nichts mehr ging. Bis das Burn-out kam. Bis eine einfache Dusche der dreifachen Mutter so viel abverlangte, dass sie das Gefühl hatte, sie kaum bewältigen zu können. „Oft weiß ich nicht, woher die Frauen überhaupt noch ihre Kraft nehmen. Aber ich erlebe das immer wieder: Mütter haben dieses ,Funktionieren-Müssen‘ stark in sich – für die Kinder“, weiß Petra Frank, Sozialberaterin bei der Caritas Burgenland.
Mütter und Frauen
Mindestpensionist*innen und alleinerziehende Mütter hatten verhältnismäßig immer den größten Anteil an jenen Menschen, die sich an die vier Sozialberatungsstellen im Land wandten, erklärt sie. Seit der Pandemie und dem Anstieg der Lebenserhaltungskosten zuletzt habe sich die Lage insbesondere für Frauen verschlechtert. „70 Prozent unserer Klient*innen sind Frauen, darunter weiterhin viele Alleinerzieherinnen.
Was leider neu ist: Es ist mittlerweile die Mittelschicht betroffen.“ Nach einer Trennung, wenn ein Gehalt wegfällt, weiterzutun, sei ohnehin schwierig, noch prekärer wird die Situation, wenn unerwartete Dinge passieren, wenn eine Waschmaschine, das Auto oder die Heizung kaputtgeht, die Projektwoche für ein oder mehrere Kinder zu bezahlen ist.
Schicksalsschläge
Julia hatte ein gut gehendes Dienstleistungsunternehmen; sie war ganzheitliche Gesundheitspraktikerin mit einem breit gefächerten Angebot. Die Beziehung zum Vater ihrer ersten beiden Kinder ging vor Jahren in die Brüche. Sie war es gewohnt, dass sie sich weder finanziell noch als Elternteil auf ihn verlassen konnte. Trotzdem hatte sie das Gefühl, ihr Leben fest in der Hand zu haben, „es ging uns gut; wenn wir Urlaub am Meer machen wollten, habe ich ein paar mehr Kurse gemacht, ich konnte das frei gestalten“, erinnert sie sich.
Doch plötzlich tauchte ein gesundheitliches Problem auf – und erreichte seinen Gipfel während eines Lockdowns. Nun waren ihre Einnahmen schon wegen Corona eingebrochen, ein Krankenhausaufenthalt und Schmerzen bremsten sie massiv. Parallel dazu wurde bei einem Kind eine Diagnose gestellt, die laufende Therapiefahrten notwendig machte, inklusive Kosten mit Selbstbehalt.
Ein Schicksalsschlag nach dem anderen
Es kommt zur Trennung mit dem Vater ihres jüngsten Kindes – und sie muss aufgrund unbeeinflussbarer Umstände das Haus verlassen, in dem ihre Praxis untergebracht war. „Wir mussten in eine Mietwohnung umziehen und sechs Monate Kaution im Voraus bezahlen“, beschreibt Julia. Während ein Schicksalsschlag auf den anderen folgte, arbeitete Julia immer weiter.

Die schlaflosen Nächte ignorierte sie zunächst, „ich hab’ mir gedacht: Klar, ich hab’ Geldsorgen.“ Dann tauchten Konzentrations-, Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen auf. „Ich war es gewohnt, viele Dinge gleichzeitig zu können, plötzlich habe ich dieselbe Geschichte drei Mal erzählt“. Irgendwann kamen Schwindel, Kopfschmerzen, Zittern, Kraftverlust hinzu, ein Telefonklingeln versetzte sie in Panik.
Es kam der Zeitpunkt, als das frühere Energiebündel, das vielen anderen zu mehr Kraft und Gesundheit verhalf, nicht mehr konnte, „und gleichzeitig wusste ich, dass ich meine nächste Miete nicht mehr zahlen kann“, sagt sie leise.
„Frau M. ist der Schritt zu uns sehr schwergefallen“, weiß Petra Frank. „Ich hatte das Gefühl, ich nehme jemandem anderen etwas weg“, sagt Julia. Die Sozialberaterin kennt die Gründe, die Menschen davon abhalten, sich an die Beratungsstellen der Caritas in Eisenstadt, Neusiedl am See, Oberwart und Güssing zu wenden.
Scham spiele eine große Rolle „und viele Mütter haben Angst, dass wir sie bei der Behörde melden. Aber wir wollen unsere Klient*innen unterstützen, um gemeinsam Lösungen zu finden“, betont sie. Die Zeit spielt allerdings eine relevante Rolle, verstreicht „zu viel“, kann das die Lösung erschweren, „viele kommen leider erst, wenn ihnen schon der Strom abgedreht wurde oder sie vor einer Räumungsklage stehen“.

Julias Kraftreserven waren dermaßen aufgebraucht, dass sie für einige Wochen stationär aufgenommen werden musste. „Wenn ich heute zurückdenke, habe ich nicht das Gefühl, dass ich versagt habe, ich habe alles gegeben“, sagt sie. Die Caritas unterstützte Julia, die schwersten Brocken möglichst schnell und unbürokratisch aus dem Weg zu räumen. Und sie tut es noch.
Aktuell lebt Julia hauptsächlich vom sogenannten Übergangsgeld (zwecks Rehabilitation für Selbstständige). Sie bezieht ihre Lebensmittel oft vom Sozialmarkt und der Pannonischen Tafel, Kino und Ähnliches sind für ihre Kinder nicht drinnen. „Es ist finanziell unfassbar knapp, es geht sich nicht mal das Pickerl fürs Auto aus“. Petra Frank legt ihr ein Kuvert mit Supermarkt-Gutscheinen auf den Tisch. „Da steht nichts darauf, dass es von der Caritas ist“, sagt sie und Julias Augen füllen sich mit Tränen.
„Ich kann es kaum erwarten, dass ich wieder arbeiten kann.“ Gerade für die unbürokratische Soforthilfe seien Spenden enorm wichtig, sagt Petra Frank. „Ich betone: Wir haben für alle ein offenes Ohr, die in Not geraten. Und können – in Absprache mit unseren Klient*innen – auch an andere Stellen vermitteln.“
* Name von der Redaktion geändert
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