Natascha Ditha Berger: Wie monogam sind wir ?
Ist Treue womöglich „zu viel“ verlangt? Psychotherapeutin Natascha Ditha Berger ist überzeugt: Wenn alle (!) Beteiligten Bescheid wissen, können offene Beziehungskonzepte eine Bereicherung sein.
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Haben Sie schon einmal während einer aufrechten Ehe oder Lebensgemeinschaft eine magische Anziehung zu einem anderen Menschen gespürt? Oder sich sogar verliebt? Was geschah dann? Eine Affäre, eine Trennung – oder haben Sie Ihre Gefühle in Schranken gewiesen? Wer sich in jemand anderen „verschaut“, sucht etwas, das er daheim nicht hat, heißt es oft. Ja eh. Aber muss das automatisch heißen, dass das, was man daheim hat, nicht gut ist und man davon Abschied nehmen muss?
Natascha Ditha Berger ist Psychotherapeutin und spezialisierte sich unter anderem auf nicht-monogame Beziehungskonzepte. Das essenzielle Zauberwort lautet dabei für sie: Consensual Non-Monogamy (CNM), also einvernehmlich nicht-monogam; alle Beteiligten wissen von der Existenz der anderen. Polyamor zu leben, also mehrere Menschen liebend, ist für Natascha Ditha Berger auch ein feministisches Thema. „In unserer Gesellschaft haben viele Männer über Jahre Affären, manche sogar eine Zweitfamilie – wie soll das einer Mutter heimlich gelingen?“, fragt sie provokant.
Das Konstrukt der Ehe ist von Menschen gezimmert, häufig zum Nachteil der Frau, betont die Biologin Meike Stoverock in ihrem rebellischen Bestseller „Female Choice“ (Verlag Tropen): „Den Todesstoß erhält der behauptete evolutionäre Ursprung der Ein-Mann-eine-Frau-Partnerschaft durch genetische Untersuchungen, die ergaben, dass die Menschen erst seit gut 10.000 Jahren monogyn-monoandrisch (mit einer Frau/einem Mann, Anm.) leben. Irgendwo dort liegt die Stunde null, der Menschheitsschritt (…), der den Grundstein für unsere heutige Zivilisation legte.“ Würde die Frau nämlich entsprechend ihrer „evolutionären weiblichen Reproduktionsstrategie“ handeln, so Stoverock, würde sie in jeder Fortpflanzungsperiode einen neuen Partner wählen.
Monogamie ist nicht naturgegeben, aber wir können uns bewusst dafür entscheiden, ist die Psychotherapeutin Natascha Ditha Berger überzeugt. In „PolyGruppen“ unterstützt sie mit einem Kollegen Menschen, die sich und ihre Partner*innenschaften für Beziehungsformen abseits normativer serieller Monogamie geöffnet haben oder es tun möchten.
Du sagst: Ob Seitensprung oder einvernehmliche Nicht-Monogamie, es bedeutet nicht, dass man mit seiner Beziehung per se unzufrieden ist. Sondern?
Natascha Ditha Berger: Studien belegen: Viele sind sehr zufrieden und gehen dennoch fremd. Es geht nicht um die Beziehungen, sondern um die Einzelnen selbst. Sie wollen andere Erfahrungen machen; beispielsweise in einer Affäre können sie jemand sein, der oder die sie im normalen Leben nicht sind. Es ist wie eine Art Rollenspiel, das man abseits der gewohnten Paardynamik erleben kann.
Wenn jemand „poly“ leben möchte – und ich verwende den Begriff vereinfacht für alles, was nicht-monogam ist –, dann ist das häufig für das Gegenüber eine „Egokränkung“. Natürlich wollen alle der*die Schönste, Klügste, Beste sein. Aber Besitzansprüche sollten aus Beziehungen nicht entstehen. Denken wir an die Femizide, denen oft der Gedanke zugrunde liegt: Wenn sie nicht bei mir ist, darf sie niemand anderer haben.
Wir müssen hinterfragen: Warum bin ich eifersüchtig? Was wurde mir vorgelebt? Hollywood spielt uns vor: Wenn du nicht eifersüchtig bist, kann es keine richtige Liebe sein. Das ist Bullshit. Eifersucht bzw. der Umgang mit ihr ist erlernt.
… und der Reiz des Verbotenen?
Was nicht sein darf, wird spannend. Was, wenn es aber sein darf? Dann kann man gemeinsam überlegen: Was wollen wir? So kann ein bewusster Umgang gelingen. Zumindest eine Zeit lang einvernehmlich nicht-monogam zu leben, ist eine maximale Selbsterfahrung. Man ist ständig gefordert, sich zu reflektieren, an sich zu arbeiten.
Könnten theoretisch alle Menschen „poly“ leben?
Wir tendieren dazu, uns jemanden zu suchen, mit dem wir unser Leben gestalten wollen. Eine:n Hauptpartner:in, also die eine Bezugsperson zu haben, scheint dem Menschen ein Bedürfnis zu sein. Sexuelle Monogamie ist aber nicht naturgegeben. Den Begriff „einvernehmlich nicht-monogam“ finde ich deswegen gut, weil da vom „Dreier“ bis hin zu polyamoren Beziehungen alles dabei ist; tatsächlich polyamor leben die wenigsten, weil das vielen zu aufwendig ist. Wenn man auch noch Kinder hat, bedeutet das einen hohen logistischen Aufwand. Deswegen sind kürzere Affären häufiger.
Laut einer jungen Studie aus den USA haben rund 20 Prozent der Menschen schon einmal einvernehmlich nicht-monogam gelebt. Beziehungen sind wandelbar. Eine Frau kann ihren Partner lieben, der zum Beispiel auch ein fantastischer Familienvater ist, trotzdem kann sie Lust darauf haben, in einen Swingerclub zu gehen, ohne dass sie sich trennen will.
Was braucht es, damit einvernehmliche nicht-monogame Beziehungsformen klappen?
„Poly“ funktioniert nur, wenn man viel redet und zuhört. Die Beteiligten vereinbaren häufig Regeln, sie sollten laufend reflektieren und besprechen, das kann anstrengend sein. Noch dazu kann ein Polykül (Geflecht aus Liebesbeziehungen, Anm.) je nach individueller Vereinbarung beliebig wachsen. Das Standardequipment jeder Poly-Beziehung ist ein Google-Kalender (lacht).
Sich die Freiheit zuzugestehen, die Beziehung zu öffnen, braucht viel Vertrauen. Man kann nur darauf vertrauen, dass beide auf ihre Bedürfnisse und gleichzeitig aufeinander schauen. Es gilt nicht: Ich leb’ poly, ich kann machen, was ich will. Im Gegenteil: Es gilt maximales Commitment – und zwar nicht nur zu einer Person.
Buchtipp
Natascha Ditha Berger:
„Polyamorie & Identität in der psychotherapeutischen Beziehung“,
Pabst Verlag, ISBN 978-3-95853-919-8
Angenommen, eine Person ist verliebt – wie fragt sie ihre:n Partner:in, wenn sie die Beziehung öffnen möchte?
Ich würde das nicht tun, wenn man bereits in jemand anderen verliebt ist. Der ideale Zeitpunkt ist, wenn es dem Paar gerade fantastisch geht. Die Devise sollte lauten: Ich liebe dich, ich will mit dir zusammenbleiben, aber ich würde mir gerne ausmachen, dass wenn wir einmal Lust auf jemand anderen haben, dass wir uns das offen lassen, ob wir das probieren möchten.
Ein ganz schön großer Schritt …
Ich bin immer für Testballons. Man muss den Partner nicht gleich damit überfordern, dass man sich einen Dreier wünscht, man kann einmal gemeinsam in einen Swingerclub zum Flirten gehen und dann reflektieren: Wie geht es uns dabei? Man sollte nicht mit der Tür ins Haus fallen. Manche lassen dann bewusst ein Buch über Polyamorie auf dem Wohnzimmertisch liegen, jetzt eignet sich auch diese BURGENLÄNDERIN-Ausgabe dafür. Dann kann man fragen: Wie siehst du das eigentlich? – Je nachdem, wie das Gegenüber reagiert, sollte man für sich überlegen: Wie wichtig ist mir das selber? Ein guter Tipp für den Anfang ist auch, wenn beide einmal einen Tag die Woche ohne Partner*in verbringen. Viele neigen dazu, sich selbst in einer Paarbeziehung bzw. wenn man Familie hat, zu vernachlässigen, das Individuelle geht häufig verloren.
Du sagst nicht nur, dass man Eifersucht „abstellen“ kann. Du beschreibst in deinem Buch auch den Begriff Mitfreude. Erzähl bitte!
Es ist sinnvoll, sich individuell mit Eifersucht auseinanderzusetzen, meist steckt eine Art von Verlustangst dahinter. Früher hat eine Frau einen Mann gebraucht, um geschäftsfähig zu sein, das ist zum Glück nicht mehr der Fall. Somit kann man heute bei uns weitgehend behaupten: Man muss sich selbst so viel wert sein, dass man nur freiwillig mit jemandem zusammen ist.
Die „Mitfreude“ ist sozusagen das Gegenteil von Eifersucht: In einvernehmlich nicht-monogamen Beziehungen kann dem Freund Mitfreude für seine Freundin gelingen, ob sie nun mit einer Freundin shoppen war oder tollen Sex hatte. Sie kommt ja zu dir zurück. Polyamore Beziehungen sind für viele zu anstrengend, man muss daran mit allen Beteiligten arbeiten, damit es funktioniert. Häufiger gelingt es Paaren, ihre Beziehungen für weitere sexuelle Erfahrungen zu öffnen.
Ich betone noch einmal: Monogamie kann etwas ganz Tolles sein, ich würde es einfach nur nicht als naturgegeben hinnehmen. In der „PolyGruppe“ wollen wir die Co-Abhängigkeit in Partnerschaften sichtbar machen; durch die Bewusstmachung der Eigenverantwortung ergibt sich auch eine bewusstere Paarbeziehung.
Wichtige Anmerkung: Die Regeln in Lebensgemeinschaften schreiben die Partner*innen selbst. Verboten ist in Österreich die Polygamie, also die Vielehe. Weiters sind laut Allgemeinem bürgerlichem Gesetzbuch Eheleute zur Treue verpflichtet (§ 90); eine „Nebenbeziehung“ könnte sich bei einer Scheidung nachteilig auswirken (Eheverfehlung).
Natascha Ditha Berger
… ist integrative Psychotherapeutin, klinische Sexologin und Traumatherapeutin. Ihren Schwerpunkt legt sie auf komplexe Beziehungsnetzwerke, Sexualität und Trauma; sie ist u. a. Mitbegründerin einer „PolyGruppe“ in Wien. Zudem ist Natascha Ditha Berger Präsidentin der Kink Aware Professionals Association (KAPA). Sie hält im In- und Ausland Vorträge bei Kongressen und Festivals, ist häufig zu Gast in Podcasts sowieTalkrunden und schreibt u. a. regelmäßig Gastblogs für derstandard.at.
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