Polyamorie – Ménage-á-trois
Private Einblicke gegen Tabus und für mehr gesellschaftliche Akzeptanz: Daheim bei Sascha, Robert und Michaela und auf einen Café mit Christine, Daniel und Moritz – zwei Polyamorie-"Pärchen".
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Michaela war innerlich im Umbruch. Das Konzept, bis ans Lebensende an eine Person gebunden zu sein, war für sie ohnehin kaum vorstellbar. „Dann habe ich festgestellt, dass mich auch Frauen interessieren. Wie sollte ich mich auf einen Menschen festlegen, wenn ich mich nicht einmal auf ein Geschlecht festlegen wollte?“, lacht sie, während sie Saschas Hand hält – und Robert anstrahlt. Oben bellt der Hund, er protestiert, weil er wegen der etwas ängstlichen Autorin dieser Zeilen von seinem Platz im Erdgeschoß verwiesen wurde.
Familienidylle am Stadtrand abseits normativer Vorstellungen: Michaela, Sascha und Robert teilen sich Tisch und Bett. Das Trio führt eine Triade: eine polyamore Beziehung zu dritt.
Den Anfang nahm ihre Liebesgeschichte während der Pandemie. Michaela war Single, Robert lebte mit seiner Partnerin in einer Wohnung in Wien. Die Lockdowns kosteten Alleinlebenden viel an seelischer Substanz, also öffnete das Paar der Freundin herzlich die Tür. „Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, geredet, Spiele gespielt, ich habe schon zum Hausrat gehört“, erinnert sich Michaela.
Plötzlich waren Gefühle da, mit denen sie nicht gerechnet hatten, und Robert beschloss, einen neuen Weg zu gehen: „Ich habe meiner Partnerin davon erzählt.“ Nicht etwa, um sich von ihr zu trennen, sondern um ihre Beziehung zu öffnen, um den Gefühlen für Michaela Raum zu geben. Das war DIE Offenbarung, sagt er heute, die Sehnsucht nach einem nicht-monogamen Leben schlummerte schon lange in ihm, aber mangels Vorbilder fühlte er sich dafür stets schuldig.
Dank dem Internet findet das Trio eine Community, Bücher – und nicht zuletzt das Vokabular für Polyamorie. „Ich dachte, nur die Hippies in den 60ern hatten mehr als eine:n Partner:in zeitgleich, ich wusste nicht, dass Polyamorie auch sonst sein ,darf‘“, hebt Michaela schmunzelnd die Finger für Gänsefüßchen. Die drei wagen einen Versuch, aus dem schließlich doch Michaela und Robert als Paar hervorgehen, die Partnerin zieht für sich nach einer Zeit einen Schlussstrich.
Vor gut zwei Jahren kreuzen sich die Wege von der damals noch monogam verheirateten Sascha und Robert bei einer Dienstreise. „Ich habe mich sofort in ihn verliebt“, verrät sie. „Ich war schon lange nicht mehr glücklich. Das war der Auslöser für meine Scheidung, aber nicht der Grund.“ Sascha und Robert werden ein Paar – und schon bald lädt Sascha Michaela zum Abendessen ein. „Wir wollten uns einfach kennenlernen, das war kein Date und auch keine Hidden Agenda von Robert, aber wir haben auf Anhieb vier Stunden durchgequatscht“, schwärmt Sascha. Von da an trafen einander die beiden oft, auch zwischen ihnen sprühten die Funken.
In der Vielfalt der nicht-monogamen Möglichkeiten leben Sascha, Robert und Michaela heute ein ziemlich offenes Polykül (Beziehungsgeflecht); sie daten jeweils auch andere Menschen. Ihre Beziehungen gleichen dennoch nicht einer wilden Blumenwiese, viele Gespräche, viel Lektüre über verschiedene Beziehungsformen und auch Regeln ermöglichen ihnen quasi einen gut sortierten bunten Liebesgarten.
Polyamorie: Eifersucht vs. Mitfreude.
Dem Begriff Eifersucht schenken sie ein Rebranding, „Compersion“ oder „Mitfreude“ lautet das polyamore Schlüsselwort, was so viel heißt wie: Ich freue mich über dein Liebesglück. Das gelingt nicht immer und nicht allen, räumen sie ein, „Eifersucht zeigt sehr gut Bedürfnisse auf“, sagt Michaela. „Da kann man fragen: Was fehlt dir gerade? Vielleicht fühlt sich eine Person nicht genug gesehen oder sie hat Verlustängste, weil eine andere Person der/dem Partner:in etwas geben kann, was sie selbst nicht hat“, beschreibt Sascha.
Eine Entscheidung für jemanden ist keine Entscheidung gegen jemanden.
Robert
Robert findet, dass gerade nicht-monogame Beziehungen dazu beitragen, dass sich Druck und Verlustängste auflösen. „Eine Entscheidung für jemanden gilt nur in monogamen Beziehungen als eine Entscheidung gegen jemanden. Man lernt sich mit der Zeit selber besser zu akzeptieren; nach dem Motto ,Das bin ich/das kann ich dir bieten‘ kann ich dann sagen: Ich möchte nicht bungee-jumpen – wenn du das möchtest, brauchst du eine weitere Person dazu.“ Jeden Sonntag setzt sich das Trio zusammen, um die folgende Woche zu planen. „Das ist mittlerweile auch der Zeitpunkt für unsere Gefühls-Check‑ins. Das habe ich mit meiner Therapeutin ausgeheckt“, erzählt Sascha. Seither werden nicht nur Termine koordiniert, auch der Austausch über Bedürfnisse und Erwartungen ist nun ein Fixpunkt.
Schauplatzwechsel
Christine und Daniel verliebten sich in Jugendtagen. Sie schlugen ähnliche Ausbildungs- und Lebenswege ein, ihre Beziehung hielt selbst ihren turbulenten Zwanzigern stand, erzählen sie. Wir treffen uns in einem Großstadtcafé, fern von ihrem burgenländischen Wohnort, nur wenige wissen über ihre Beziehungen Bescheid. Links neben Christine sitzt Moritz. Kurz nachdem Daniel und sie geheiratet hatten, trat er in ihr Leben. „Daniel hat vor mir bemerkt, dass ich mich verliebt hab’“, schmunzelt sie.
Die drei eint ihr Interesse für soziale, gesellschaftliche Prozesse und Veränderungen, das Hinterfragen von Rollen, beschreiben sie. „Wir waren uns immer der Pluralität des Lebens bewusst. Dass sich irgendwann jemand verlieben könnte, war uns klar, auch weil wir so jung zusammengekommen sind. Wir hatten immer den Anspruch an unsere Beziehung, dass wenn sie sich wie auch immer verändert, wir versuchen wollen, den Weg gemeinsam zu gehen“, sagt Daniel.
Moritz und Christine lernten einander im Arbeitskontext kennen. „Sympathie war schnell da, aber ich kannte ihre Lebensumstände, natürlich spielte der gesellschaftlich-moralische Aspekt eine Rolle. Es brauchte einen ersten Schritt von ihr“, erinnert sich Moritz.
Sie hatten es zwar zuvor nicht in die Praxis umgesetzt, doch lebten Daniel und Christine mit der Bekenntnis zu einer Art offenen Beziehung. „Das half“, sagt Daniel. Was nicht half, waren die Lebensumstände. Sie waren kurz zuvor erst Eltern geworden, der Hausbau kostete Nerven und Ressourcen. „Dass sie sich verliebt hat, habe ich als bedrohlich empfunden. Ich konnte anfangs schlecht mit der Situation umgehen. Wir hatten zu der Zeit unsere Beziehung vernachlässigt, sie war nicht gut gefestigt. Ob ich es besser geschafft hätte, wenn das Leben easier gewesen wäre?“, grübelt er. „Wir haben zwei Komponenten in uns: die rationale und die emotionale“, sagt Christine. „Die haben nicht immer das gleiche Tempo. Vieles konnte ich mir schon rational vorstellen, emotional hatte ich immer wieder Rückschläge. Es brauchte viel Austausch, ich habe euch damit sicher gebremst“, sagt Daniel zu Christine und Moritz.
„Wir alle waren uns der Situation bewusst“, winkt Moritz ab. „Einerseits war mir klar, dass wir rücksichtsvoll vorgehen müssen, andererseits war es nicht leicht, weil Gefühle eben kommen und wachsen. Wenn man sich verliebt, ist sonst zu Beginn alles ganz krass, das durfte eben nicht sein.“
Christine und Daniel ließen sich von einer Paarberaterin unterstützen, aus dem Verliebtsein mit Moritz wurde eine Beziehung. Christine lebt mit Daniel und ihrem gemeinsamen Kind in einem Haus, mit Moritz verbringt sie in der Regel einen Tag in der Woche – bei ihm, aber auch bei ihr zu Hause. Dass Daniel und Moritz einander sympathisch sind, sei ein Geschenk; das ermögliche auch Zeit zu dritt bzw. zu viert mit Christines und Daniels Kind, darüber sind alle drei froh.
Nur die engsten Freund:innen wissen von ihrer polyamoren Beziehung, obgleich sie gerne Inspiration für andere wären. „Auch uns fehlten Role-Models, gerade am Land“, bedauert Daniel. Doch zu groß war die Kränkung, die ein „Outing“ mit sich brachte; weitere Offenbarungen könnten womöglich zu sozialen Brüchen führen, das möchten sie nicht riskieren. Dass Moritz somit weitgehend im Hintergrund bleiben muss, schmerzt auch. „Aber ich weiß, dass es nicht an den beiden liegt, sondern am gesellschaftlichen Rahmen“, sagt er. Für Christines und Daniels Tochter ist er ein guter Freund, der regelmäßig zu Besuch kommt und mit dem sie auch schon auf Urlaub war. Wie sich das für Daniel anfühlt? „Unsere Tochter und Moritz mögen sich sehr gerne, das könnte natürlich noch mehr an meinem Bedrohungsszenario drehen. Dass ich das nicht so erlebe, liegt daran, dass ich eine gefestigte Beziehung zu meiner Tochter habe, weil wir eine sehr geteilte Elternschaft führen, die schon mit einem Jahr Karenz begonnen hat.“
Das Rationale und das Emotionale in uns haben nicht immer das gleiche Tempo.
Daniel und Christine
Den Begriff Treue laden Christine und Daniel mit eigenen Definitionen auf: „Monogamie besteht oft darin, sich gegenseitig zu beschneiden. Treue bedeutet für mich, einander authentisch zu begegnen, die Bedürfnisse leben zu können“, beschreibt Christine. „Sie geht mit meinen Gefühlen achtsam um, hat immer an uns geglaubt, das empfinde ich als treu. Wenn sich etwas Neues entwickelt, kann ich mit ihr darüber sprechen und mich darauf verlassen, dass wir weiter redlich an unserer Beziehung arbeiten“, ergänzt Daniel. „Ich kenne viele, die Affären haben, mit der Begründung, dass sie ihre:n Partner:in nicht verletzen wollen. – Deswegen heimlich?“, fragt Christine. „Was ist die Exit-Strategie, wenn es rauskommt?“, pflichtet ihr Daniel bei.
Umgekehrt wollen die drei nicht kleinreden, welchen Aufwand und welche emotionalen Herausforderungen ihr Lebenskonzept bedeutet. So spürt Moritz den Unterschied zwischen den Beziehungen vor allem im Hinblick auf die Stabilität. „Die Kunst in unserem Dreiergespann ist, dass sich möglichst alles die Waage hält, was natürlich nie sein kann, weil die zwei eine sehr starke Beziehung haben. Das war mir von Anfang an bewusst.“
Die Arbeit an sich selbst ist der größte Brocken, es lohnt sich aber, ist Daniel überzeugt: „Ich habe gelernt: Es wäre sehr hart, Christine zu verlieren, aber das Schloss würde nicht zusammenfallen, ich bin immer noch genug. Diese Auseinandersetzung mit uns selbst bleibt ein Prozess.“ – „Man muss laufend die eigenen Säulen festigen. Für uns war schon immer wichtig, dass unser Leben nicht nur auf einem Beziehungspfeiler, sondern auf vielen Pfeilern auch außerhalb aufgebaut ist“, erklärt Christine.
Uneingeschränkt für alle sei ein nicht-monogames Leben kaum geeignet, davon sind alle drei ziemlich überzeugt. Daniel abschließend: „Ich würde sagen: Bleibt offen – für euch und das Rundherum. Seid mutig, die Wege zu gehen, die notwendig sind, um nicht in irgendetwas zu verharren und um nicht 20 Jahre später draufzukommen: Das Gelbe vom Ei war’s nicht.“
MEHR ÜBER DIE AUTORIN DIESES BEITRAGS:
Viktória Kery-Erdélyi ist Redakteurin bei der Burgenländerin, hört und schreibt sehr gerne Lebensgeschichten von Jung und Alt, bemüht sich, Menschen, die sich gegen Ungerechtigkeiten engagieren und die Welt zu einer besseren machen wollen, eine Stimme zu geben. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft und ist zweifache Mama.
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