
Matthias ohne s: Transition nach 30 Ehejahren
Die etwas andere Liebesgeschichte von Matthia und Verena.
© Jennifer Vass/viewitlikejenni
Sie zupft stolz mit lackierten Nägeln an ihren Haaren, ihre Frau entfernt liebevoll eine winzige Make-up-Spur am Shirt, ehe wir ein Video für Social Media machen. Winzige Gesten sind das, die aber für Matthia und Verena Florian eine große Bedeutung haben. Noch bis vor wenigen Monaten hing am Namen von Matthia ein s, ein langer Leidensweg war dem bevor gegangen. Nach mehr als 30 Ehejahren und einer „fließenden“ Transition ihres Partners ist Verena nunmehr mit einer Frau verheiratet.
„Wow, sicher eine große Herausforderung“, rutscht es mir am Telefon heraus und während ich überlege, wie ich mich für die Grenzüberschreitung entschuldigen kann, sagt sie: „Für mich ist das eine Bereicherung! Ich hatte davor einen Mann mit Depressionen, jetzt genieße ich das Leben mit einer glücklichen Person.“
Verena Florian hatten wir vor einigen Jahren für die BURGENLÄNDERIN interviewt, als sie das Buch „Mut zum Rollentausch. 50 beruflich erfolgreiche Frauen und Männer in Väterkarenz erzählen“ (Falter Verlag) veröffentlichte.
Diesmal besuche ich sie und ihre Frau Matthia daheim in Welgersdorf bei Großpetersdorf – mit vielen (privaten) Fragen im Gepäck. Die beiden betreiben seit einigen Monaten gemeinsam den Podcast „Nichtbinär und mehr“.
Verena, mir fällt auf, dass du Matthias sagst …
Verena: Die Gewohnheit – und ich darf noch (lacht).
Matthia: Offiziell heiße ich seit 2025 Matthia; ich habe meinen Personenstand auf weiblich ändern lassen, und das auch extra beschleunigt, weil ich Sorge hatte, welche Änderungen eine „andere“ Regierung gebracht hätte.
Mein Motto war: Was ich hab’, das hab’ ich (lacht). Eigentlich bin ich nichtbinär (nicht ausschließlich männlich oder weiblich, Anm.), aber ich gehe in Richtung Frau.
Matthia, wie war dein Heranwachsen – und wie habt ihr zueinandergefunden?
Matthia: Ich bin schon nicht gern in den Kindergarten gegangen, auch in der Schule hatte ich kaum Freunde. In reinen Buben- und Männergruppen habe ich mich nie wohl gefühlt, ich bin mir immer komisch vorgekommen.
Verena: Das zeigt, dass das nicht – wie viele glauben – aus einer Laune passiert. Personen mit Geschlechterdysphorie (Menschen, die sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren, Anm.) merken schon als kleines Kind, dass etwas anders ist.
Matthia: Schön wurde es nach der Matura: Ich habe Architektur studiert und hatte weit weg von der konservativen Welt, in der ich aufgewachsen bin, ein neues Leben. Ich habe bei renommierten Architekten in Graz gearbeitet und gut verdient.
Mit 25 habe ich mich in Verena verliebt, wir haben bald geheiratet und zwei Töchter bekommen. Eine wunderschöne Zeit! Wir haben uns von Beginn an alles aufgeteilt.
Manchmal hat Verena gescherzt, ich wäre die bessere Mutter (lacht). Aber als die Kinder ausgezogen sind, hat mir die Ablenkung gefehlt, es kam eine Sinnkrise.
Was ist passiert?
Matthia: Wenn ich heute zurückschaue, hatte ich ein Leben lang Depressionen. Mal hatte ich die besten Kreationen und dann wieder bin ich eine Woche hinter einem Plan gesessen und habe nichts weitergebracht. 2019 bin ich komplett ausgefallen, ich wurde arbeitsunfähig. Ich war mehrere Monate auf Reha, das hat mir sehr geholfen.
Verena: Heute, wo es Matthia offensichtlich gut geht, fällt mir ein, wie schwer die Stimmung oft war. Für mich galt: Dann muss ich mein Lichtlein hochhalten.

Ich hab’ mich in Gruppen unwohl gefühlt. Heute fühle ich mich wohler, obwohl ich mehr auffalle.
Matthia Florian
Wie kam es, dass du dein Geschlecht hinterfragt hast?
Matthia: Ich habe 2013 den Begriff „androgyn“ (geschlechtsneutral, Anm.) für mich gefunden und begonnen, – mit Unterstützung unserer Töchter – mit Kleidung zu experimentieren. Meine Geschlechtsidentität hat mich immer mehr beschäftigt, ich habe viel dazu recherchiert – und 2022 hatte ich mein inneres Coming-out:
Ich habe beschlossen, dazu zu stehen, dass ich mich nicht als reinen Mann definiere. Eine Zeit lang habe ich keine Pronomen verwendet, heute bin ich in der Arbeit die Frau Florian.
Das Interessante ist: Ich habe mich in Gruppen immer unwohl gefühlt, heute fühle ich mich wohl, obwohl ich viel auffälliger bin. Es ist ein ganz anderes Lebensgefühl. Am Land wird man noch mehr perlustriert.
Verena: Die Leute schauen auch im Burgtheater.
Matthia: Wenn ich ein Kleid trage und wir uns ein Küsschen geben, sind’s schockiert (lacht).
Verena: Für mich wird all das immer relativer. Ich recherchiere viel und begreife jetzt, dass die Unterscheidung zwischen Frau und Mann nur eine Festlegung ist. Wir haben beide alle Hormone, Geschlecht ist ein Spektrum. Was mit Matthias passiert, lag lange im Bereich des Unvorstellbaren für mich. – Als ich es das erste Mal realisiert habe, habe ich ihm eine Make-up-Beratung geschenkt.
Matthia: Verena hat mich immer unterstützt.
Du hast einen Mann geheiratet und hast heute eine Frau. Wie formuliere ich das jetzt elegant …
Verena: Ich weiß, was jetzt kommt (lacht). – Sex?
Ich wollte die Frage behutsam stellen, weil ihr auch im Podcast darüber redet, dass ihr es als grenzüberschreitend erlebt, wie schnell diese Frage oft kommt.
Verena: Ich stamme auch aus einem konservativen Umfeld; ein Mann, der sich schminkt, fällt mir auf. Davon muss ich mich noch lösen. Aber das sind äußere Geschichten. Hätte ich einen Partner, der alkoholkrank oder ein Workaholic ist, wäre das eine ganz andere Nummer.
Ich lebe mit einer Person zusammen, die sich heute wohlfühlt, die nicht mehr depressiv ist. Wir können wieder viel unternehmen, dann zieht er halt einen Rock an – so what?!
Hat sich an der Anziehung etwas verändert?
Verena: Ich spüre den Menschen. Der ist derselbe wie vorher, aber zufriedener, zugetaner. Wir haben heute hundert Mal mehr Körperkontakt als vorher.
Weil du dich in deiner Haut wohler fühlst?
Matthia: Ja, als das nicht gegeben war, habe ich mich oft abgegrenzt, ich war gern allein. Keine schöne Zeit.
Verena: Wir hatten lang getrennte Schlafzimmer. Ich habe darunter gelitten. Heute haben wir – das konnte ich mir nie vorstellen – eine gemeinsame Decke (lacht).
Matthia: Ich habe Verena immer geliebt, es war mir sehr unangenehm, dass ich hinter ihrem Rücken über Genderidentitäten recherchiert habe. Als mir klar wurde, ich kann sein, wie ich will, und Verena lässt es zu, wurde mein Gefühl der Verbundenheit noch mehr unverrückbar. Mit der Veränderung kamen aber natürlich auch Ängste.
Verena: Ich wollte dich nicht aufhalten, es war mir wichtig, dass es deine Entscheidungen sind. Du hattest umgekehrt Angst, dass du mich überforderst und verlierst.
Matthia: Wir wollten uns gegenseitig schonen – schließlich haben wir eine Mediation gemacht.
Verena: Mit der entsprechenden Diagnose bekommt man einen Zuschuss, das ist leistbar, und ich bin froh, dass wir uns beide begleiten lassen. Ich habe auch eine Angehörigen-Selbsthilfegruppe gegründet, da sind auch Eltern von nichtbinären Kindern dabei. Die Suizidrate bei Genderdysphorie ist leider hoch.
Matthia: Ich mache gerade eine Ausbildung zu Vielfalt der Geschlechtervarianten. Man glaubt irrtümlich, dass sich Junge leichter tun, sie spüren Druck von vielen Seiten.

Ich spüre den Menschen. Der ist derselbe, aber zufriedener, zugetaner.
Verena Florian
Wie gehen eure Töchter mit eurem neuen Leben um?
Verena: Die haben das wenigste Problem damit. Wir haben ihnen von der Personenstandsänderung – weil sie beide woanders waren – via Zoom erzählt.
Matthia: Sie haben gesagt: „Cool“ – und haben mit ihren Freundinnen auf uns angestoßen. Verena und die Kinder waren mir immer am wichtigsten. Ich hab’ immer gesagt: „Wenn ihr ein Problem damit habt, stoppe ich alles.“ Der Preis wäre mir zu hoch gewesen, die Familie zu verlieren.
Wie geht es für euch weiter – und mit deiner Transition (Geschlechtsangleichung)?
Matthia: Ich schaue, wohin die Reise geht, und nehme Östrogen, Progesteron und Testosteron-Blocker; das hat mir sofort den inneren Druck genommen, den ich mein Leben lang gespürt habe. Ich habe einige Ausbildungen bereits gemacht und biete Sexualberatung hauptsächlich im Bereich der Geschlechterdysphorie an.
Den Podcast „Nichtbinär und mehr“ machen wir weiter, ich freue mich auf viele weitere Expert*innen und Leute „von der Straße“.
Verena: Wir möchten unsere Erfahrungen weitergeben, mehr Sichtbarkeit schaffen. Es herrschen so viel Unsicherheit und Ängste vor. Ich finde die Vorstellung nach wie vor schlimm, dass Matthia über Jahrzehnte mit einem schlechten Gefühl durch das Leben gegangen ist. Ich wünsche mir einfach eine vielfältige, bunte Gesellschaft.

Aufklärung und Sichtbarkeit:
Matthia und Verena Florian betreiben den Podcast „Nichtbinär und mehr“
www.nichtbinaer.at
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