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Wir destillieren aus einem Interview mit Soziologin Gerlinde Mauerer, Studien und Papa-Talks: Väterkarenz fördert nachhaltig die Beziehung zu Kindern, die Gesundheit beider Eltern und beugt Trennungskomplikationen vor.
Gregor Schamschula fühlt sich in seiner Rolle nicht ganz wohl. Das Vatersein mag er sehr, aber zum Vatersein interviewt zu werden, findet er ein bisschen befremdlich. „Meine Partnerin macht wahrscheinlich mehr als ich, trotzdem sitze ich ,als toller Vater‘ hier. Man begegnet Müttern mit einer komplett anderen Erwartungshaltung – und das hat nichts mit männlich und weiblich zu tun, das ist hundertprozentig gesellschaftlich gemacht“, merkt
der zweifache Familienvater kritisch an.
Dass er sich dennoch bereit erklärte, Teil dieses Artikels zu werden, liegt daran, dass auch er sich einen gesellschaftlichen Wandel wünscht. „Ich erinnere mich an eine absurde Situation am Spielplatz: Zwei Väter
haben damit angegeben, wer länger in Karenz ist – und ich hab mir gedacht: Was ist das denn? Die Zeit mit meinen Kindern ist wertvoll für mich. Ich mache das, weil ich das will“, sagt er.
Fakten zur Väterkarenz
Wir picken einige wenige statistische Vergleiche heraus: Die Zahl der Kinderbetreuungsgeld-Bezieher:innen belief sich zuletzt auf 93.017, davon waren 3.184 Männer (Dezember 2023, Statistik Austria). 74 Prozent der Mütter mit Kindern unter 15 Jahren arbeiten in Teilzeit, bei den Vätern sind es nur 7,7 Prozent (ohne Elternkarenz; Statistik Austria). Skurril: Das liegt weit unter dem Anteil der Männer insgesamt, die in Teilzeit beschäftigt sind – das sind nämlich 13,4 Prozent.
Szenenwechsel: Wir treffen Gerlinde Mauerer, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Wien. Ihre Dissertation liegt mehr als 20 Jahre zurück, ihr damaliges Thema beeinflusst aber bis heute intensiv ihre Forschungsinteressen. „Ich habe mich mit Müttern beschäftigt, die töten – und mit der Konstruktion von Weiblichkeit und Mütterlichkeit. Angefangen vom Dienstmädchen, das vergewaltigt, auf die Straße gesetzt und dann verurteilt wird, weil sie ihr Kind bei eisiger Kälte ,absichtlich‘ habe erfrieren lassen, gibt es quer durch die Jahrhunderte
viele furchtbare Geschichten“, beschreibt sie. Sie hinterfragte dabei kritisch das hochstilisierte Idealbild der „guten Mutter“ und was es bedeutet, vom Unerfüllbaren abzuweichen. Ihr Fokus auf Frauengesundheit führte sie zum Thema Elternkarenz.
„Wie kann man es anders machen? Wie kann man Frauen unterstützen? – Es braucht auch strukturelle Veränderungen“, sagt die Soziologin. Die Erwerbstätigkeitsraten von Müttern nehmen zu, das liegt nicht zuletzt auch an finanziellen Realitäten, „aber das wird nicht ohne kranke Frauen und Burnout gehen – oder es gibt mehr Aufteilung“, betont sie.
Ihre jüngste Veröffentlichung: „Hybride Männlichkeiten praxeologisch analysiert: Väter als sorgende Elternteile in der frühen Phase von Elternschaft“. In der darin dargestellten Forschung interviewte sie Eltern, die beide jeweils mindestens fünf Monate Kinderbetreuungsgeld bezogen hatten.
Zwei Väter über Väterkarenz
Der zu Beginn zitierte Gregor Schamschula ist Jurist; seine Tochter ist fünf, sein Sohn eineinhalb Jahre alt. Bei beiden Kindern haben sich seine Partnerin und er auf jeweils rund 18 Monate Karenzzeit geeinigt. Dass sie sie untereinander „halbieren“ werden, hatten sich die beiden im Vorfeld ausgemacht, die Geburt mitzuerleben hat das Vorhaben noch geboostert. „Das war der unfassbarste Moment in meinem Leben.“
Der zweite Vater im Interview ist der Sozialarbeiter Bernhard Litschauer-Hofer. Seine Tochter ist heute 14, er war ihr zweites Lebensjahr in Karenz. „Als wir beschlossen haben, alles so gut wie möglich aufzuteilen, ging es uns nicht um die Arbeit, wir haben das unter dem Aspekt gemacht, dass es ein Privileg ist, einen kleinen Menschen begleiten zu dürfen. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen.“
Beide Väter kennen somit die Achterbahnfahrten, die das Elternsein mit sich bringt. „Ein Mantra, das mir meine Partnerin mitgegeben hat, ist: Die Tage sind lang, die Jahre sind kurz. Ich glaube, dass ich eine sehr gute und innige Beziehung zu meinen Kindern habe, aber natürlich können einzelne Tage unfassbar mühsam sein“, lacht Gregor Schamschula.
Kurz bevor Bernhard Litschauer-Hofers Karenzzeit startete, war ihm durchaus das Herz in die Hose gerutscht, gesteht er: „Ich habe mich gefragt: Wie schaffe ich das alles: den ganzen Tag allein gestalten und für alle Bedürfnisse zuständig sein? Ich hatte Panik, ob ich mitkriegen werde, was unsere Tochter gerade braucht. Aber bald war klar: Es gibt viele Situationen, wo man nur raten kann – das ist für die Mutter genauso stressig wie für den Vater.“ Nach einem gemeinsamen Übergangsmonat inklusive Abstillen startete er seine Solo-Performance: „Ich kann mich an Tage erinnern, wo ich froh war, dass meine Frau von der Arbeit heimgekommen ist. Aber auch an Tage, an denen ich mir gedacht habe: Wir machen den ganzen Tag alleine und den nächsten dazu“, erzählt Bernhard Litschauer-Hofer.
Fifty-fifty Geschlechterteilung
Eine Erkenntnis der Studie der Soziologin Gerlinde Mauerer: Die Paare, die schon vor den Kindern um Geschlechtergerechtigkeit bemüht waren, nähern sich auch als Eltern mehr dem Fifty-fifty-Prinzip. „Der Anteil an Vätern, die Caring Attitudes haben, auch emotional beteiligt sind und sich kognitive Arbeit und Mental Load teilen, ist hier wesentlich höher. Wenn sich Väter aber ausschließlich auf die Beziehung zu ihren Kindern konzentrieren, kann sich das sogar kontraproduktiv auswirken – nach dem Motto ,Papa spielt, Mama macht die Arbeit‘“, gibt die Soziologin zu bedenken.
„Ich habe eingekauft, gekocht, geputzt, unsere Tochter angezogen – wir haben manchmal unterschiedliche Auffassungen davon, wie man was macht, aber dass wir uns möglichst gleichberechtigt begegnen, war mir wichtig“, beschreibt Bernhard Litschauer-Hofer.
„Ich bemühe mich sehr, dass es in Richtung fifty-fifty geht, aber ich muss selbstkritisch anmerken, dass ich sicher noch große Defizite beim Mental Load habe. Das Problem ist ja nicht, eine Hose für das Kind zu kaufen. Das Problem ist, selber zum richtigen Zeitpunkt daran zu denken, dass das Kind eine neue Hose braucht“, weiß Gregor Schamschula.
Längere, also mehrere Monate andauernde Väterkarenzen, tragen wohl zur Veränderung im Familiensystem bei; aber selbst das ist keine Garantie dafür, dass danach nicht erneut Verantwortlichkeiten zur Mutter „zurückkehren“. Sogar in den beispielgebenden skandinavischen Ländern machen Frauen im Schnitt mehr Care-Arbeit als Männer, weiß Gerlinde Mauerer. Eine Challenge ist oft schon die Auf- und Einteilung der vielen To-dos, „eine Kollegin aus Schweden formulierte es kürzlich so: Wenn Männer Väter werden, werden Frauen zu Projektmanagerinnen.“
In ihrer Studie beschrieb Gerlinde Mauerer je nach Intensität des elterlichen Einsatzes drei Typen von Vaterschaft. „Die Väter, die länger in Karenz waren, springen auch später, wenn sie wieder Vollzeit arbeiten und die Kinder etwas größer sind, sofort ein, wenn die Partnerin beispielsweise weg muss. Aber sie springen eben oft ein, sie sehen es nicht als ihre alltägliche Aufgabe.“
In vielerlei Hinsicht im Vorteil scheinen jene Familien zu sein, in denen – nach der Babyzeit – beide Elternteile Arbeitsstunden reduzieren. „Ein Paar hatte dadurch immer einen Vormittag zusammen, schon allein die Dialoge über Termine, Schule, Wohnen brauchen viel Zeit“, weiß die Forscherin. Freilich ist es auch eine finanzielle Frage, ob es sich Eltern leisten können, gleichzeitig in Teilzeit beschäftigt zu sein, „aber ich habe in meiner Studie auch Eltern dabei, die eher wenig Einkommen haben, auf ein Auto verzichten und Urlaube in der Nähe machen“.
Traditionelles Mutterbild als Hindernis?
Im Hinblick auf Rollenbilder hinken wir im Europavergleich hinterher, „davon war auch kürzlich bei einer internationalen Konferenz die Rede: Österreich, Deutschland, die Schweiz und Niederlande haben ein sehr traditionelles Mutterbild“, sagt Gerlinde Mauerer. Patriarchale Muster wirken soweit, dass viele Mütter ebenso ihren Partnern zuarbeiten: Sie packt seinen Koffer, und wenn sie operiert wird, kocht sie vor, zählt die Forscherin Beispiele auf. Offizielle Stellen seien zwar um ein geschlechtergerechtes Wording bemüht, aber Väter werden weiterhin gesellschaftlich hofiert. Es werde bis dato von Männern gesprochen, „die ihre Partnerin unterstützen, wenn sie Zeit mit den Kindern verbringen. Ich würde mir wünschen, dass wir weiter sind“.
Sie kennen das vielleicht: Die Frau hat ihre Dienstreise noch nicht angetreten, da spricht Oma schon die Essenseinladung für den „Strohwitwer“ aus. „Väter kriegen grundsätzlich mehr Unterstützung. Männerforscher Erich Lehner hat einmal bei einem Workshop gesagt: Wenn die Mutter gerade weg ist, wäre es am besten, wenn auch die Großeltern verreisen“, lacht Gerlinde Mauerer. „Männern kann man mehr zutrauen, sie drängen sich nur nicht unbedingt auf – manche wünschen sich aber sehr wohl Zeit in Ruhe mit ihren Kindern und erleben ,die Unterstützung‘ sogar als Einmischung.“ Umso wichtiger sei es, sich als Mutter bewusst zurückzunehmen: „Eine Mutter hat mir erzählt, dass sie abends gerne Geschenksideen fürs Kind recherchiert. Es gilt aber auch Dinge abzugeben, die man gerne macht und dann zufrieden zu sein, wie der Partner das löst.“
Vorteile der Väterkarenz
„Meine Tochter und ich haben uns in meinem Karenzjahr einen eigenen Groove erarbeitet, an dem wir immer wieder anschließen können. Die Frage ist ja auch nicht entweder-oder – sie hat uns beide. Darauf bin ich sehr stolz“, beschreibt Bernhard Litschauer-Hofer, der mit seiner Tochter diesen besonderen „Groove“ bis heute mit regelmäßigen Radtouren zelebriert.
Längere Karenzzeiten können sogar vor fliegenden Fetzen bewahren, sagt Gerlinde Mauerer. „Ich hatte in meinen Interviews auch Paare, die sich getrennt haben, aber die sich – aufgrund der guten Beziehung zu den Kindern – um Wohnorte in der Nähe bemüht haben.“
Männer profitieren in vielen Bereichen von ihren Karenzmonaten: Ihre „neue“ Fürsorglichkeit ist auch ein Plus in der Erwerbsarbeitswelt und die Erfahrungen fungieren quasi präventiv gegen einem Pensionsschock, weiß die Soziologin. Die Sorge um den Karriereknick ist bei Männern unbegründet. „In meiner Forschung hat sich gezeigt: Wenn ein Elternteil aufgrund der Tatsache, dass ein Kind geboren wurde, einen Karrierenachteil hatte, waren es immer die Mütter.“
„Dass Frauen bedeutend weniger verdienen und alleine eine Unterbrechung in der Erwerbsbiografie haben, ist nicht argumentierbar und ein Skandal. Wenn wir in Richtung Geschlechtergerechtigkeit gehen wollen, ist die Väterkarenz ein notwendiger Schritt“, findet Bernhard Litschauer-Hofer. „Wenn ich einen Teil meines Lebens darauf verwende, mich auf die Bedürfnisse von jemand anderem zu konzentrieren und empathisch zu sein, muss das positive Auswirkungen haben – dafür gibt es genug empirische Beweise.“
„Das Schöne ist, was meine Studie klar zeigt: Ein Vater, der in Karenz gehen will, schafft es auch. Da war kein einziger Vater dabei, der mit einem Kleinkind nicht zurechtkam“, sagt die Soziologin Gerlinde Mauerer. Ihre Vision: die Zeit mit Kindern prinzipiell aufwerten. „Erwerbsarbeit sollte nicht automatisch als die wichtigere Aufgabe gelten.“ Der zweifache Vater und Jurist Gregor Schamschula pflichtet ihr bei: „Die Zeit mit den Kindern ist die schönste Zeit überhaupt und so wertvoll, wie sonst nichts sein kann.“
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