
Eva Schlegel, die Vielseitige: Reflexionen an einem besonderen Ort
Ein bemerkenswerter Ort, zwei herausragende Biografien: Zu Besuch bei Künstlerin Eva Schlegel und Architekt Carl Pruscha.
© Barbara Amon
Ganesh ist zu beneiden. Die kleine Skulptur mit dem Elefantenkopf – eine Darstellung der hinduistischen Gottheit – thront auf einer Steinplatte und überblickt den herrlichen Garten mit mächtigen alten Bäumen und Neuankömmlingen, wie dem herzblättrigen Trompetenbaum an seiner Seite. Im Zentrum der grünen Oase befindet sich das Schloss. Es war kein Zufall, dass ihm die Künstlerin Eva Schlegel und der renommierte Architekt Carl Pruscha diesen Ehrenplatz zugedacht hatten. „Er ist der Gott der Künstler“, sagt der Professor und nimmt einen genussvollen Zug aus seiner Zigarre.
Gesucht und gefunden
Es war in den 1970ern, als man ihm das Objekt zeigte. Er hatte zehn Jahre lang in den Himalayas gelebt und war UNO- und UNESCO-Berater der nepalesischen Regierung für Raumplanung. Als er Professor an der Akademie der bildenden Künste wurde, sehnte er sich nach einem schönen Ort nahe Wien. „Da habe ich das Denkmalamt gefragt, wo es alte Bauten gibt, die ich renovieren könnte“.



Die Liste, die er bekam, führte ihn nach Gattendorf. „Das hier war eine einzige Ruine, abbruchreif“, zeigt er auf das Schloss. Trotzdem verliebte er sich in das Gebäude und den Garten, an dessen Ende sich die Leitha vorbeischlängelt. Viel Geld und jahrzehntelange Arbeit steckte er in sein „Haus in Lajtakatta“, wie er es nennt. Die ungarische Ortsbezeichnung gefällt ihm besser.
Unweit von Ganesh lehnt ein riesiger kreisförmiger Spiegel. Er reflektiert diesen außergewöhnlichen Ort, aber aus der Ferne wirkt er fast wie ein magisches Tor in eine andere Welt. Die Installation verrät: Das bemerkenswerte Refugium trägt ebenso die Handschrift einer zweiten großen künstlerischen Persönlichkeit – die von Eva Schlegel.
Seit fast drei Jahrzehnten sind die beiden ein Paar. Die Künstlerin und der Architekt stammen beide aus Tirol, sie lernten einander kennen, als er Rektor der Akademie der bildenden Künste war und sie dort als Professorin lehrte.



Die Biografien der beiden, ihre Arbeiten und Erfolge auf der ganzen Welt füllen Bücher. Nicht ohne Grund richten wir nachfolgend den Fokus auf Eva Schlegel: Sie folgt der Einladung der Leiterin Birgit Sauer – die Landesgalerie widmet ihr ab Mittte Juni eine große Retrospektive. Kuratiert wird sie von Antonia Hoerschelmann von der Albertina. Die Künstlerin sprüht vor Vorfreude: „Mit diesen beiden Frauen zusammenzuarbeiten ist ein unglaublicher Glücksfall!“
Im Rückspiegel
Wenngleich ihre Eltern von der Idee entsetzt waren, war für Eva Schlegel früh klar, welchen Weg sie einschlagen will. „Ich stamme aus einer intensiven Familie mit vier Kindern, bei uns war immer die Hölle los“, lacht sie. „Die Kunst war ein Rückzugsort. Das Schöne war für mich, wenn ich mich alleine in meinem Zimmer beschäftigt habe, da konnte ich alles vergessen.“
Gefördert hat sie zudem ihr Zeichenlehrer am Gymnasium und obwohl sie nicht um den Alltag einer Künstlerin wusste, „wollte ich unbedingt auf die Angewandte“. Ihr beunruhigter Vater, ein Bankdirektor, und ihre Mutter ließen sie ziehen, „aber ich war dann recht unglücklich in Wien. Man darf nicht vergessen: Das war Ende der 1970er, es gab den Eisernen Vorhang, Wien war sozusagen am Rande Europas.“


Gut fand ihr Vater, als sie daraufhin beschloss, mit einer Freundin ein halbes Jahr nach New York zu gehen. „Das war ein Eye-Opener. Allein in Manhattan gab es 90.000 Künstler*innen mit dem Vorsatz: ‚I want to make it.‘ Es hat mich in meinem Weg bestärkt.“
Eva Schlegel kehrt nach Wien zurück und macht ihr Diplom. Eine junge Off-Galerie lädt sie quasi vom Fleck weg ein, eine Ausstellung zu machen. Sie arbeitet im Keller der Angewandten und später in einer unvergesslichen Atelier-Gemeinschaft mit namhaften Kolleg*innen wie Erwin Wurm, Johanna Kandl oder Manfred Wakolbinger.
Neue Räume erschließen.
Sie sucht stets neue Wege, liebt Experimente, zu denen sie mitunter auch etwa Physiker*innen oder Chemiker*innen hinzuzieht. Phasenweise Scheitern ist für Eva Schlegel Part of the Game. Dass sie deswegen nicht Neues wagt, kam für sie nie infrage. Keine Arbeit war je umsonst, betont sie, gute Ideen finden oft später andere Ausdrucksmöglichkeiten. Das war von Beginn an so. Früchte eines solchen Prozesses waren etwa ihre aufwendigen Graphit-Arbeiten auf Gips, mit denen sie bereits in ihren 20ern große Erfolge in vielen Ländern der Welt feierte – und die nun auch in der Landesgalerie zu sehen sein werden. „Raum ist ein zentrales Thema für mich“, erklärt sie. „Die Graphit-Bilder spiegeln, sind aber verschlossen; die schwarzen Spuren darauf sind vertieft – wie Verletzungen, die auf einen Raum dahinter deuten.“

„Es gibt keine Frauen“
Besonders spannend sind Eva Schlegels „Unscharfe Frauen“. Eine Bildserie, mit der sie eine bis heute leidenschaftlich geführte, wichtige Diskussion vor mehr als 20 Jahren mitanstieß. Dafür fotografierte sie „dünne, scheinbar perfekte Frauen“ in Modezeitschriften bewusst so unscharf ab. Details wie ihr Gesichtsausdruck waren dann nicht mehr erkennbar, und sie produzierte mit diesen Motiven überlebensgroße gerahmte Fotos.
„Was übrig bleibt, ist ein ganz anderes Bild, wo nur noch Pose und Körperspannung abzulesen sind. Die Fotos wirken dann wie ein Film, den man im Hinterkopf hat, der uns immer beeinflusst – wie eine Idee, die man nicht wegkriegt, die unser gesellschaftliches Leben prägt, wenns auch ein Wahnsinn ist. Zum Glück arbeiten wir dagegen an“, betont sie.
Inspiriert hatten sie dazu nicht zuletzt befruchtende Gespräche mit ihren Studentinnen, als sie Professorin an der Akademie war. Aus diesen „sehr aktiven Dialogen“, wie sie beschreibt, ging auch ihr Buchprojekt in Los Angeles hervor. „Wir haben uns gefragt: Was bedeutet es, als Frau Künstlerin zu sein? Welche vorgefundenen Schwierigkeiten zeigen sich in der Außenwelt, welche Schwierigkeiten hat man internalisiert? Wo setze ich mir Grenzen, wo akzeptiere ich sogar gesellschaftliche Konventionen, wo es nicht notwendig wäre?“

Sie wurde mit ihren Studentinnen auch aktionistisch. „Wir haben begonnen, bei Gruppenausstellungen den Frauenanteil zu zählen, und haben Kurator*innen damit konfrontiert“, erzählt sie. Immer wieder habe es geheißen, es gäbe zu wenig Frauen. Daraufhin begann Eva Schlegel selbst Listen zu erstellen – und setzte das auch fort, als sie 2003 in Los Angeles war.
„Ich habe viele fantastische Künstlerinnen und Architektinnen in ihrem Atelier besucht – und ein Buch mit Bildern und aus den Gesprächen gemacht. Es war sozusagen eine Initiative, um nicht in diese sich wiederholende Falle ,es gibt keine Frauen‘ zu tappen.“
Davongekommen
Unauslöschbar eingebrannt hat sich das Jahr nach ihrem Los-Angeles-Aufenthalt in das Gedächtnis von Eva Schlegel und Carl Pruscha. „Wir waren beim Tsunami 2004 in Sri Lanka – und haben ihn beide unverletzt überlebt“, erzählt sie. „Wir konnten fliehen, weil uns die Fischer gewarnt haben. Wir hatten großes Glück.“ Sie waren mit den Einheimischen ins Landesinnere gelaufen. Das Ausmaß der Katastrophe sahen sie erst, als sie Stunden später zurückkehrten.
Unvergesslich bleibt für sie aber auch der Zusammenhalt der Menschen. Zimtbauern hatten sie damals aufgenommen und versorgt, ehe sie die Heimreise antreten konnten. Gute 20 Jahre schlummerten die Wassermassen in ihrem Kopf, ehe sie aus ihr herausbrachen. Die Wucht brauchte offenbar eine starke Umsetzungsform: Ihre Tsunami-Serie, aus der ebenfalls Werke in der Landesgalerie gezeigt werden, sind außergewöhnliche Lithographien – und zwar sozusagen Steinmalerei auf Stein.
Im Ursinn politisch
Eva Schlegel schuf nicht zuletzt auch zahlreiche Interventionen an Architektur. Dazu zählen etwa eine Lichtinstallation auf der Außenwand des Wiener Landesgerichts als Mahnmal für die NS-Opfer. Und eine Weltkugel, in der sich riesige Spiegel mit dem Luftzug bewegen und unterschiedliche Perspektiven reflektieren. Sie hängt im Eingangsbereich des CAPE10 in Favoriten, wo ein Obdachlosenheim für Frauen und ein Gesundheitszentrum untergebracht sind.
Auch in Arbeiten dieser Art gewährt die Retrospektive einen Einblick: Eine drei Meter hohe, breite und tiefe Spiegel-Skulptur lädt zur Interaktion ein. In einem eigenen Raum werden Modelle und Umsetzungen von großen Projekten gezeigt. „Ich sehe es als Aufgabe von Kunst und Architektur, das gesellschaftliche Leben zu analysieren, zu reflektieren und bestimmte Zusammenhänge nachvollziehbar zu machen. Und zwar auch auf eine verführerische, zugängliche und schöne Weise.“
Eva Schlegel: Reflexionen
Vernissage: 13. Juni, 19 Uhr
Landesgalerie Burgenland
Ausstellung bis 5. Oktober 2025
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