Bernhard Aichner

Bernhard Aichner: „Böse sind auch nur Menschen.“

Wir trafen den Tiroler Starautor Bernhard Aichner beim Arbeiten und Leben im Südburgenland.

7 Min.

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Eigentlich wollte Bernhard Aichner Schauspieler werden. Mit 17 war er Gymi-Abbrecher, arbeitete als Kellner und Fotolaborant und begann nebenbei zu schreiben. Schriftsteller zu werden, war damals sogar noch unvorstellbarer als der Schauspielberuf. Doch dann packte der Ehrgeiz den gebürtigen Osttiroler: Matura als Berufstätiger nachgeholt, Germanistik studiert und die Fotografie zum Beruf gemacht – mit eigenem Atelier, das war im Jahr 2000. Sukzessive verlagerte sich jedoch sein Fokus vom Fotografieren auf das Schreiben.

Die Erstfassung jedes Bernhard Aichners bisher 20 Bücher schrieb er per Hand in ein Notizbuch.
Die Erstfassung jedes seiner bisher 20 Bücher schrieb er per Hand in ein Notizbuch.© www.fotowerk.at

2002 erschien Bernhard Aichners erster Roman, 2004 wurde sein erstes Theaterstück uraufgeführt, der erste Krimiroman erblickte 2010 das Leselicht der Welt und 2021 erschien die erste Staffel der Netflix-Serie „Totenfrau“, die auf seinem Roman basiert (die zweite Staffel kommt 2025). Im Laufe der Jahre regnete es Literaturpreise und Auszeichnungen.

Im August 2024 erschien sein zwanzigstes und – laut eigenen Aussagen – bestes Buch: Yoko. Ich hab es in Rekordzeit verschlungen und ersehne die Fortsetzung. Die gibt es ab Juni 2025. Das und vieles mehr erfuhr ich beim persönlichen Gespräch in der Druckwerkstatt im Künstlerdorf Neumarkt an der Raab, wo ich Bernhard Aichner traf, um über das Leben, das Lesen und das Böse zu sprechen.

Die Leser*innen von „Yoko“ werden es schnell erfassen: Zivilcourage hat dazu geführt, dass sich in Yokos ­Leben alles verändert und viel zerstört wird. Wie mutig bist du im zivilen Leben?

Bernhard Aichner: Ich bin dafür, dass man sich einmischt, anstatt gar nix zu tun. Dabei gehört natürlich abgewogen: Trete ich allein gegen zehn randalierende Skinheads an oder hole ich Hilfe. Auch meinen Töchtern gebe ich mit auf den Weg, für andere einzustehen. Zum Beispiel, wenn sie beobachten, dass auf jemanden losgegangen wird, sollen sie ihr Handy zücken, das filmen und Umstehende darauf aufmerksam machen. Und wenn dann alle im Chor immer wieder „Aufhören!“ rufen, hört die peinigende Person höchstwahrscheinlich auf. Die Kraft des Kollektivs nutzen!

PLAUDERN IN DER DRUCKWERKSTATT. Thriller-Autor Bernhard Aichner mit Chefredakteurin Nicole Schlaffer.
PLAUDERN IN DER DRUCKWERKSTATT. Thriller-Autor Bernhard Aichner mit Chefredakteurin Nicole Schlaffer. (Das Messer ist nicht gefährlich und das Grüne ist kein Brokkoli.) © www.fotowerk.at

Deine Bücher wurden von Mal zu Mal grausamer. „Yoko“ ist jetzt sogar ziemlich blutig. Wird auch die Welt insgesamt grausamer? Und wie vermittelst du das deinen Kindern?

Meine Kinder dürfen meine Thriller noch nicht lesen, weil sie noch nicht in der Lage sind, vieles davon emotional einzuordnen, ich würde sie damit überfordern. Wir reden aber oft über mein Schreiben. Sie wissen, dass der Papa in seinen Büchern fiktiv Leute umbringt. Ich frage sie sogar manchmal nach Ideen. Das macht Spaß und offensichtlich, dass ich in Wahrheit Märchenerzähler bin.

Bereits als Kind haben mich Märchen fasziniert. Wohl auch deshalb, weil sie so grausam sind, man denke nur an die Gebrüder Grimm. Horrorszenarien wurden da gezeichnet. Brutal war die Welt also immer schon, ich habe das nicht erfunden. Denk an die Kriege, die wir hinter uns haben oder die Methoden im Mittelalter – dagegen leben wir heute in einer Blase. Durch Social Media ist die Gewalt einfach sichtbarer geworden, du kannst gefühlt jede Messer­stecherei live mitverfolgen.

Der erste Buchteil der „Totenfrau“-Trilogie ist 2014 erschienen und war dein Durchbruch – seither kannst du vom Schreiben leben?

Genau. Ein Autor bekommt 10 bis 12 % vom Nettoladenpreis pro verkauftem Buch – und muss die noch versteuern. Da kann man sich ausrechnen, wie viele Bücher verkauft werden müssen, um davon leben zu können.

Die neuen Episoden von „Totenfrau“ wurden heuer gedreht und kommen 2025 auf Netflix. Macht es dir nichts aus, dass die zweite Staffel stark vom Buch abweicht?

Nein. Wir haben viel mit den Jungs der Berliner Produktionsfirma geredet. Ich schreibe sogar noch einen vierten Buchteil, der ist dann die Grundlage für die dritte Staffel.

Ebenfalls zwei Werke von Aichners Ausstellung „Schriftbilder“.
Ebenfalls zwei Werke von Aichners Ausstellung „Schriftbilder“. © www.fotowerk.at

Du bist bekannt für deine mörderischen Krimis/Thriller, spannend, unverhofft, gemein und jetzt auch sehr blutig. Hingegen sind deine Romane sehr gefühlvoll. Überall aber lässt du besonders tief in die Menschen blicken, während das Drumherum Nebensache ist …

Das Außen ist bei mir nur minimal beschrieben. Ein Haus, ein Auto, ein Garten – Farben, Dimensionen und Details überlasse ich den Leser*innen. Ich biete den Lesenden den Sirup, sie geben Wasser in Form ihrer Fantasie drauf – und das Saftl ist fertig.

Was aber das Innenleben von Menschen anbelangt, da hole ich weit aus und lasse die Lesenden eintauchen in ein Meer voller Emotionen. Wie fühlen die, wie lieben die, wie hassen die? Manchmal muss ich selber fast weinen beim Schreiben, wenn etwas Trauriges passiert. Ich beschreibe nicht, wie sie aussehen, sondern was in ihnen passiert, und versuche sie zu verstehen – auch die Bösen. Warum sind sie so geworden? Die sind ja auch nur Menschen, die haben auch andere Seiten. Ein bisschen etwas von jeder Figur steckt auch in mir, wie in jedem. Ich bin auch ein bisschen Yoko.

Ich biete den Lesenden den Sirup, sie geben Wasser in Form ihrer Fantasie drauf – und das Saftl ist fertig!

Bernhard Aichner

Im August wurde deine Ausstellung „Schriftbilder“ eröffnet. Wie entstanden diese Bilder?

Von jedem Buch schreibe ich die komplette Erstfassung händisch in ein Notizbuch. Aus Sätzen oder Seiten daraus entstehen dann die Schriftbilder. Da steckt genauso viel Herzblut drin wie im Schreiben. Und auch ein Kraftaufwand, denn die Muster in die Kupferplatten zu ritzen, ist enorm anstrengend. Dann reibe ich Farbe rein und fertige die Drucke hier in der Druckwerkstatt im Künstlerdorf an. Ich hab so eine Freude damit – ähnlich wie früher beim Fotografieren bzw. Entwickeln in der Dunkelkammer. In jedem Fall möchte ich damit die Menschen berühren, das ist das oberste Ziel.

Wie kam es dazu, dass es einen Bergmenschen wie dich ins Südburgenland verschlagen hat?

Als die Kulturmanagerin Petra Werkovits mich vor ca. acht Jahren zu einem Aufenthalt ins Künstlerdorf einlud, hat es mir hier sofort gefallen. Meine Frau und ich entschieden, uns hier etwas zu suchen als Zweitwohnsitz. Es hat etwas gedauert, aber vor 4 Jahren hat es sich endlich ergeben, dass etwas für uns Passendes zu kaufen war. Ich hatte gerade eine Lesung in Graz, als Petra mich deswegen anrief. Ich fuhr sofort ins Südburgenland, um das Haus anzuschauen, und hab mich auf Anhieb verliebt.

Das Südburgenland ist ein extremer Unterschied zu Innsbruck. Ich arbeite gerne hier und wir verbringen auch als Familie sehr viel Zeit in dieser herrlichen Gegend. Ich bin sonst viel unterwegs, auf Lesereise, sehe viele Leute. Hier gibt es einfach keinen Alltagslärm, das genieße ich sehr. Die Weite, die sanften Hügel, die Sonnenuntergänge – und wenn du auch noch die Stille erträgst, dann ist es echt cool hier.

www.bernhard-aichner.at

yoko

Der Thriller YOKO
© www.fotowerk.at

Die faszinierende Geschichte einer Mörderin, schonungslos erzählt. Sie handelt von einer Frau, die selber nicht ahnt, wozu sie fähig ist.
Damit ist alles gesagt, aber auch noch gar nichts. Denn das Buch überrascht Seite um Seite. Als Leserin fordern mich die Protagonist*innen sehr he­raus: Ich muss mit ihnen schmunzeln, trauern, mich fürchten, mich ärgern oder auf sie wütend sein. Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen. Und jetzt ersehne ich die Fortsetzung im Juni 2025.

ISBN: 978-3805201094
Verlag: Wunderlich
336 Seiten, Hardcover, € 23,70

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