Plakat: Besuch im Bubenland

Besuch im Bubenland

Katrin Schlösser im Interview zum Kinostart.

8 Min.

© Polyfilm Katrin Schloesser

Einen besseren Mann gibt’s nicht“, sagt die einzige Frau (vor der Kamera) im Film. Die Pensionistin hatte Depressionen, sie musste ins Spital. Um sie dort regelmäßig besuchen zu können, hat ihr Mann bei der Musikkapelle aufgehört, erzählt er. „Wir halten gut zaum“, sagt sie. Wenig später lenkt sie den Traktor, gemeinsam fahren sie auf ein saftig grünes Feld, um Klee zu sensen. Das ist eine der vielen schönen bewegenden Szenen aus Katrin Schlössers „Besuch im Bubenland“. Der Film startet aktuell in den heimischen Kinos.
Zweiundeinhalb Jahre lang traf die Filmemacherin Männer im Südburgenland, um sie zu fragen, was sie bewegt, wie sie leben, wovon sie träumen.

Katrin Schlösser, Filmemacherin
Katrin Schlösser ©OeFilm

Herausgekommen ist ein abendfüllender Dokumentarfilm, der die Protagonisten ungewohnt nahebringt, in dem Männer sich öffnen, wie man es selten erlebt. Sie sprechen über Frauen, Söhne und Töchter, über abgebrochene Kontakte und Kuckuckskinder, über schmerzhafte Erfahrungen und über den inneren Zwang, den Hof einmal „besser“ zu übergeben, als er einmal war.

Niemand wird vorgeführt, keine Biografie bewertet, der Humor, den der Titel erahnen lässt, ist wie ein mildes Kräutersalz, das die Männer ab und an selbst über ihre Lebenserzählungen streuen.

Katrin Schlösser wuchs in der DDR auf, nach der Wende gründete sie eine Filmproduktionsfirma in Berlin; „Besuch im Bubenland“ ist die zweite Arbeit, bei der sie sozusagen die Seite wechselt und selbst hinter der Kamera kreativ agiert. Mit einem schönen großen Applaus wurden „ihre“ Männer beim Grazer Filmfestival Diagonale kürzlich bedacht, „das hat mich wahnsinnig gefreut, weil es meine Intention war, als Frau auf die Männer zuzugehen. Ich wollte meine eigenen Zuschreibungen hinterfragen, ich wollte verstehen und erforschen, was das Andere ist – oder ob es gar nicht so anders ist“, sagt sie im Interview.

Wie kamst du auf die Idee, die Doku im Südburgenland zu machen?

Katrin Schlösser: Ein Hintergrund ist: Ich habe fünf Jahre im Bezirk Jen­nersdorf gelebt, mein Mann Lukas (Lessing, Autor, Anm.) 25 Jahre. Teile meines ersten Filmes „Szenen meiner Ehe“ sind schon dort entstanden (zu streamen auf Netflix, Anm.).

Der andere Hintergrund: Dokumentaristinnen arbeiten nicht mit Schauspielerinnen, sondern mit „echten“ Personen. Um sich die Verantwortung dafür bewusst zu machen, hatte ich die Studierenden an der Kunsthochschule für Medien in Köln gebeten, das mit Filmen an sich selbst auszuprobieren – und ich habe das bei „Szenen meiner Ehe“ auch selbst gemacht. Ich hatte das Bedürfnis, über die Beziehung als kleinste Zelle der Gesellschaft zu erzählen.

Junge Ansichten. Wichtig war Filmemacherin Katrin Schlösser, unterschiedliche Generationen zu Wort kommen zu lassen.
Junge Ansichten. Wichtig war Filmemacherin Katrin Schlösser, unterschiedliche Generationen zu Wort kommen zu lassen. © Polyfilm Katrin Schloesser

Lukas war zunächst meine Affäre, zehn Jahre später haben wir uns wieder getroffen, relativ schnell geheiratet und leben bis heute zusammen. Als ich angefangen habe, an meinem ersten Film zu arbeiten, habe ich nicht daran gedacht, dass daraus ein Kinofilm wird. Später wollte ich das sehr wohl, trotzdem mich diese persönliche Erzählung herausforderte und auch überforderte. Was mir geholfen hat, war, dass ich mir dachte, ich bin eine von acht Milliarden Menschen, ich muss mich nicht so wichtig nehmen – und dass ich beschlossen habe, einen zweiten Film zu machen: „Besuch im Bubenland“.

Was hat dich innerlich motiviert?

Eine Antwort liegt in der Szene am Anfang: Ich treffe einen jungen Mann am Traktor, den ich frage, ob er bei der Geburt seines Kindes dabei war. Er erzählt, dass er die Nabelschnur durchgeschnitten hat, aber dass er keinen Kontakt mehr zu seiner Tochter hat.

Die Protagonisten machen den Zuschauer*innen ein großes Geschenk.

Katrin Schlösser, Filmemacherin


Dabei geht es gar nicht um das Warum. Ich spüre die Sehnsucht, die ich nach meinem Vater hatte, aber auch sein und mein Unvermögen, aufeinander zuzugehen. Meine Eltern haben sich früh getrennt, ich habe keine Erinnerung an ein Familienleben und bin auch vom Männerbild geprägt, sie würden nur das eine wollen. Ich hatte es schwer, in einer Beziehung anzukommen; was ich gesucht habe, konnten die Männer nicht füllen.

Aber ich habe daran gearbeitet, ich wollte dem auf die Spur kommen. Nach meiner letzten Trennung bin ich zu meinem Vater, um richtig mit ihm zu sprechen, um ihn zu fragen: Wer bist du eigentlich? Was ist das zwischen uns?

Ich glaube, das war eine ganz tiefe Motivation, warum ich als Frau mit Männern sprechen wollte: weil ich diesen Sehnsuchtsort Vater von anderen Seiten anschauen wollte. Ich wollte sehen, welche Beziehungen die Männer leben, welche Bedeutungen Partnerinnen und Kinder in ihrem Leben haben.

Wie kamst du zu den Protagonisten?

Ich habe mich südlich der Raab nach Männern umgeschaut, die dort verwurzelt sind, aber gezwungen waren, an entfernte Arbeitsorte zu pendeln. Einige kannte ich schon flüchtig. Ich habe mich ihnen als Filmemacherin vorgestellt und gesagt, dass ich die Region sehr liebe und dass ich einen Film über Männer im Südburgenland machen möchte. Meine erste Frage war meistens: Wie geht es dir?

Es ist berührend, wie offen die Männer mit dir sprechen. Wie ist dir das gelungen?

Wenn ich eine Frau treffe und frage, wie es ihr geht, erzählt sie mir oft als Erstes etwas Persönliches. Bei den Männern ging es zunächst immer um die Arbeit. Ich habe dieses Tätigsein-Müssen stark gespürt. Ich musste geduldig sein, wenn ich wissen wollte, wie es ihnen geht. Diese Intimität, die du im Film erlebst, kommt nicht daher, weil die Männer irgendetwas Ungeheuerliches erzählen. Die Berührung entsteht, weil sie anfangen, über etwas nachzudenken. Einer sagt: „Ich verlange von meinem Sohn das, was ich auch von mir verlange. Ob das richtig ist oder falsch …?“ – Wie toll ist das! Es macht mir Freude beim Drehen, mir Zeit zu nehmen, und wenn ich spüre, dass da mehr ist, dem Ruhe und Raum zu geben. Ich erlebe oft im Alltag, dass mir jemand ins Wort fällt, weil die Person zu wissen glaubt, was ich sagen will. Dabei suche ich noch selbst. Es wäre schön, wenn der Film genau das aufmacht: dass wir einander ohne Bewertung zuhören, dass wir nicht gleich eingreifen, sondern uns für einen Moment berühren lassen.

Liebevoll. „Wir halten gut zaum“, sagt sie. Er gab die Musikkapelle auf, um für sie da zu sein.
Liebevoll. „Wir halten gut zaum“, sagt sie. Er gab die Musikkapelle auf, um für sie da zu sein. © Polyfilm Katrin Schloesser

Was hast du mitgenommen?

Große Dankbarkeit gegenüber meinen Protagonisten, sie machen den Zuschauerinnen ein großes Geschenk. Dazu möchte ich noch etwas Schönes verraten: Als Dokumentarfilmerin muss ich alle schon beim Drehen bitten, eine Einverständniserklärung zu unterschreiben. Diesmal wollte ich das erst tun, wenn der Film fertig ist und ich ihn dann den Männern zeige, weil ich zuerst sehen wollte, was wir aus dem Material machen. Aber meine Produzentin und mein Schnittmeister haben gesagt: „Das geht so nicht.“ Ich musste also zu allen Männern, mit denen ich gesprochen hatte – das waren an die 40 –, und sie bitten, diesen nüchternen Zettel zu unterschreiben. Das hat mir viel Kraft gekostet. Aber: Sie haben alle unterschrieben. Das hat mir noch mehr bewusst gemacht, welche Verantwortung ich habe, wie sehr sie mir vertrauen.

Mit welchen Gedanken entlässt du den Film in die Öffentlichkeit?

Ich fände es sehr schön, wenn die Menschen einen Widerhall in sich selbst finden und darüber nachdenken, welche Erwartungen sie an ihr Leben, gegenüber ihren Kindern oder an eine Beziehung haben. Als ich losgegangen bin, war ich motiviert, etwas zu erfahren, aber ich hatte keine Erwartungen. Das Tolle am Dokumentarfilm ist, dass man ständig überrascht wird. Das wünsche ich dem Film: dass die Zuschauer*innen reingehen, sich überraschen lassen, sich auf ein kleines Abenteuer einlassen. Ich mag das letzte Bild bei „Besuch im Bubenland“ sehr – und die Szene am Kleefeld mit dem Ehepaar ist vielleicht auch ein Versprechen an mich selbst, dass ich noch einmal mit den Frauen im Südburgenland ins Gespräch komme.

„Besuch im Bubenland“:

ab 30.  Mai in ausgewählten Kinos

Kinotour mit Filmemacherin Katrin Schlösser:

4.  Juni: KIZ RoyalKino Graz

6.  Juni: Filmhaus Spittelberg Wien

12.  Juni: Dieselkino Oberwart

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MEHR ÜBER DIE AUTORIN DIESES BEITRAGS:

Viktoria Kery-Erdelyi BURGENLÄNDERIN
© Vanessa Hartmann

Viktória Kery-Erdélyi ist Redakteurin bei der Burgenländerin, hört und schreibt sehr gerne Lebensgeschichten von Jung und Alt, bemüht sich, Menschen, die sich gegen Ungerechtigkeiten engagieren und die Welt zu einer besseren machen wollen, eine Stimme zu geben. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft und ist zweifache Mama.

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