Clara Frühstück und Oliver Welter
Ihre Essenz von Schuberts Winterreise
Clara Frühstück, Oliver Welter © Ramona Hackl
Performancekünstlerin Clara Frühstück und Popstar Oliver Welter erzählen vor ihrem ersten Burgenland-Auftritt, was hinter ihrer Interpretation steckt. Es gab bisher Standing Ovations quer durch Europa.
Kennen Sie das: dass wenn Sie etwas Intensives erleben, Sie noch Jahre später exakt wissen, welche Kleidung Sie dabei trugen? Ich weiß genau, was ich anhatte, als Clara Frühstück und Oliver Welter 2021 ihre Version von Schuberts „Winterreise“ im Wiener Akademietheater das erste Mal präsentierten. Ich weiß sogar, was ein charmantes Künstler*innenpaar trug, das im letzten Moment noch hoffte, es würden Karten retourniert, damit sie welche bekommen; das Konzert war längst ausverkauft. – Konzert?
Tatsächlich quillt jede Genre-Schublade, in die man die Darbietung der beiden je stecken wollte, über. So wie das Herz vieler Menschen in Wien und mehreren europäischen Städten überging, die sie mit Standing Ovations feierten.
Zu viel Pathos? Was denn sonst, schließlich geht es um Schuberts „Winterreise“. Und um Oliver Welter, Sänger und Frontman der international erfolgreichen Kultband „Naked Lunch“, und die Pianistin und Performancekünstlerin Clara Frühstück, die nach beinahe einem Jahrzehnt endlich wieder auf einer burgenländischen Bühne gastiert.
Die Pianistin und Performancekünstlerin und der Popstar: Wie seid ihr euch begegnet?
Clara Frühstück: Fritz Ostermayer, ein gemeinsamer Freund, hat uns zusammengebracht (Künstler und FM4-Radiomann, Anm.).
Oliver Welter (ruft freudig rein, was er nur an dieser Stelle tut): Ein Schattendorfer!
Clara: … genau, ein Burgenländer (lacht). Jedenfalls habe ich vor ein paar Jahren bei meinem Programm „MELO, my Love“ mit Fritz eine Nummer aus Schuberts „Winterreise“ gemacht: Ich habe „Die Nebensonnen“ für Klavier und Gesang arrangiert, ganz minimalistisch; ich habe gespielt und gesummt, er hat den Text rezitiert. Das hat ihm so getaugt, dass er die Idee hatte, ich sollte einmal auf diese Art einen ganzen Liederabend auf das Essenzielle runterbrechen.
Oliver: Zu mir hat er vor Jahren in seiner unnachahmlichen burgenländischen Direktheit gesagt: „Oida, du musst einmal was Klassisches singen, deine Stimme ist prädestiniert dafür.“ – Klassik konnte ich mir nicht vorstellen, ich hielt diesen „Schöngesang“ nicht aus. Symphonische Werke haben mir zugesagt und ein paar Hits von Schubert. Eines Tages sagte Fritz trotzdem, er hat eine Partnerin für mich, wir wären ein „Total Match“: Clara Frühstück, eine mutige Performerin, die ich da schon verfolgt hatte.
Clara: Ich kannte Oliver als den Sänger von „Naked Lunch“ und dachte lang, sie wären eine britische Popband (lacht).
Oliver: Die ostermayerische Prophezeiung ging in Erfüllung: Wir haben uns getroffen und uns schnell gut verstanden.
Hat der Fritz das also gut gesehen?
Oliver: Clara hat musikalisch eine Wahnsinnsbandbreite an dem, was sie hört, liebt und schätzt. Dorthin, wohin wir die „Winterreise“ bis heute getrieben haben, hat es uns viel gemeinsame Arbeit, Mut, Kraft, Grenzgänge gekostet. Es gibt nur ganz spezielle Menschen, die bereit sind, so einen Weg zu gehen. Es war sehr bald klar: Clara will das und kann das.
Clara, es war deine Idee, dass ihr die „Winterreise“ zerlegt und neu zusammensetzt. Hattest du keine Skrupel?
Clara: Nein. Ich hatte total Lust darauf. Ich wusste, mit dem Oliver geht das. Rundherum hatten alle sehr viele Zweifel – bis hin zu meinem Partner, der gesagt hat: Pass auf, das ist das volle Risiko, das kann total in die Hose gehen.
Oliver: Ich habe immer wieder gezweifelt, ich bin überhaupt ein großer Zweifler. Clara kann Schubert interpretieren, für sie ist das kein Problem, aber ich wusste, dass mir die Technik und das Können fehlen. Ich kann nicht vom Blatt singen, ich musste mir das mühsam erarbeiten. Dann habe ich mir verschiedene Sänger angehört, große Tenöre und Baritone, wie sie die „Winterreise“ interpretieren, und mich richtig zu fürchten begonnen. Ich wusste, wenn ich versuche, es nur ein bisschen anders „nachzusingen“, scheitern wir. Wir mussten uns also immer weiter wegbewegen.
Es geht immer um alles. Entweder du haust dich voll rein oder du lässt es gleich bleiben.
Oliver Welter
2019 hatten wir das Offert vom Schweizer Künstler Klaus Littmann, seine Installation zu eröffnen: Er hatte im Klagenfurter Stadion einen Wald aufgestellt. Dort zu spielen, war wahnsinnig schön. Da waren wir noch relativ nah an den Originalen, das war nicht schlecht, aber auch nicht gut (lacht).
Habt ihr das als Zwischenstation erlebt?
Oliver: In dem Ambiente war es richtig. Gut war, dass mir dort ein Burgenländer total die Patschen vorgerichtet hat. Der Regisseur Peter Wagner, dessen Arbeit ich sehr schätze, hat nachher zu mir gesagt: „Oliver, ich weiß, was du für arge Sachen machst, wie weit du gehst, das ist noch gar nix.“ – Ich muss mich bei ihm mal explizit bedanken.
Mein Dank gilt auch dem leider schon verstorbenen Musiktheatermann Dirk Diekmann. Sein Rat war: „Vergiss die Interpretationen, hör dir nix mehr an, beschäftige dich mit dem Text.“ Ich habe mir lang gedacht, die Texte wären nicht so wichtig, weil sie so seltsam gesungen werden …
Clara: … dass man sie nicht versteht (lacht).
Oliver: Aber beim Lesen wurde mir klar: Wilhelm Müllers Texte sind enorm.
Clara: Der Hinweis, sich intensiv damit zu beschäftigen, war sehr hilfreich. Ich habe mir dann auch die Lieder aus dieser Perspektive noch einmal musikalisch hergenommen. Manchmal haben wir nur eine Zeile verwendet, die uns wichtig war, oder ein musikalisches Element aus einem Lied, so sind auch ganz experimentelle Songs entstanden.
Wenn doch Zweifel kamen, habe ich mir gedacht: Wenn es uns taugt, wenn wir davon überzeugt sind, dann ist es richtig. Ich bin es sowieso gewöhnt, dass man mich entweder liebt oder hasst, ich bin kein Dazwischending.
Gab es auch empörte Reaktionen?
Clara: Hinter unserem Rücken vielleicht. Aber wir hatten gleich bei der Premiere auch Gäste, die echte Hochkulturfans sind, im Wiener Musikverein ein- und ausgehen, im Vorfeld Vorbehalte hatten – und danach begeistert waren.
Oliver: Wir sind sehr publikumsnah, haben unsere CDs mit und hauen nicht gleich danach in die Garderobe ab. Wir reden gerne mit den Leuten und es sind immer viele, die aus der Klassik kommen. Am meisten freut mich das Kompliment, wenn sie sagen, dass ihnen unsere „Winterreise“-Interpretation am meisten naheging. Wir spielen tatsächlich fast immer mit Standing Ovations.
Clara: Es macht etwas mit dem Publikum. Wir können es ja nicht einmal selber einordnen, Oliver sagt immer zu den Tontechnikern, sie sollen die Lautstärke so regeln wie bei einem Popkonzert (lacht). Es ist eben etwas Spezielles, unser Eigenes, das gut ist und den Menschen direkt reinfährt.
Was steckt für euch in den Texten?
Oliver: Es geht um einen jungen Mann und seine verschmähte Liebe; der arme Tor zieht eisern seine Kreise, bis ihn der Tod erwartet. Es stammt aus der Romantik, einer Zeit, in der es immer um alles gegangen ist im Leben. Ich liebe dieses Pathos, weil ich auch glaube, dass es immer um alles geht. Bei jedem Liedtext, bei jedem Refrain. Entweder du haust dich voll rein oder du lässt es bleiben.
Es haben mich immer wieder Textfragmente angehüpft, wie: „Drei Sonnen sah ich am Himmel steh’n (…) Nun sind hinab die besten zwei – Ging nur die dritt’ erst hinterdrein! – Im Dunkel wird mir wohler sein“. – Das ist so eine arge Aussage, aber aufgrund seines Schmerzes verständlich. Dass er nicht frustriert geht, hat mich sehr berührt. Wie Leonard Cohen singt: „Lord, I’m ready to go.“ Ich habe viele Parallelen zur melancholischen Popmusik gefunden, die ich höre.
Clara: Die „Winterreise“ ist uns sehr nahe, auch weil es um etwas geht, das immer sein kann, um etwas, das uns vor 100 Jahren betroffen hat, vor 2000 auch: um das Urgefühl von Liebe und Schmerz, das wird nie aufhören.
Entweder man liebt mich oder man hasst mich. Ich bin kein
Clara Frühstück
Dazwischending.
Melancholie und Weltschmerz – ist euch die „Winterreise“ auch nahe, weil ihr diese Anteile auch in euch habt?
Clara: Schubert hat wahnsinnig geniale Musik geschrieben. Die Musik berührt mich, auch wenn niemand singt. Wenn man den Text dazugibt, sieht man, wie aktuell, wie zeitlos die „Winterreise“ ist, dass sie auch ein Popsänger singen kann und es funktioniert. Happy-peppy Hitparaden-Typen sind wir nicht, aber ich bin schon auch lustig (lacht).
Oliver: Das sind wir beide! Ich liebe das Leben auch dafür, dass man Spaß haben kann. Manchmal erfasst mich eben die Melancholie. Ich weiß nicht, woher es kommt, das habe ich schon als Jugendlicher gehabt. Das zu akzeptieren, fällt vielen schwer, ich selber habe immer dagegen gekämpft und es immer abgetan als etwas, das mir nicht guttut. Heute denke ich, es gehört zu mir, und es hilft mir, zum Beispiel diese Texte auf direktem Weg zu spüren und zu verstehen.
Ihr kommt mit der „Winterreise“ ins Kultur Zentrum Eisenstadt. Clara, was hast du mit dem Klavier vor?
Clara: Nicht so wilde Sachen (winkt lachend ab). Ich nütze den Innenraum mit, die Saiten, stopfe ein bisschen Neopren hinein. Aber ich verwende nur meine Hände und meinen Körper, ich spiele eigentlich sehr normal Klavier.
Oliver: Du spielst das jetzt so klein! Ich traue mich behaupten: Es gibt keine zweite Interpretation der „Winterreise“ mit einer Person, die drinnen die Saiten zupft, fast hineinspringt, die eins wird mit dem Instrument. Es ist, als ob Clara ins Klavier übergehen würde und das Klavier in Clara.
Clara Frühstück & Oliver Welter
Clara Frühstück wuchs im Burgenland auf, Oliver Welter in Kärnten. Wir trafen sie in Wien, wo sie heute leben und arbeiten. Sie studierte Klavier in Wien, Graz, Berlin und Madrid, neben ihrer klassischen Laufbahn legt sie seit Jahren den Fokus auf Performancekunst. Aktuell fesselnd: „Den Göttern in die Seele blicken“ mit Verena Altenberger und Mavie Hörbiger oder „Nachschrift“ mit Patricia Aulitzky. Oliver wurde als Frontman der Band „Naked Lunch“ international bekannt; aktuell ist er als Schauspieler, Komponist, Autor, Theaterregisseur tätig –und vielfach preisgekrönt.
„Winterreise“:
10. Dezember, 19.30 Uhr, Kultur Zentrum Eisenstadt
Eintritt: € 20,–
Eintritt frei für Personen unter 27 Jahren
Anmeldung erforderlich: eisenstadt@kulturzentren.at oder Tel.: 02682/719-1000