Der Bua blieb sich treu

70 ist nicht das neue 50, findet Wolfgang Böck.

8 Min.

© Vanessa Hartmann

70 ist nicht das neue 50, findet Wolfgang Böck.

Trotzdem ist er Kind geblieben, weil ohne das Spielerische sein Beruf gar nicht geht. Ein Gespräch mit ihm ist ein Geschenk – und zwar unverpackt und mit viel Schmäh.

Wolfgang Böck

… wurde in Linz geboren und schloss das Schauspielstudium an der Kunst­universität Graz, vormals Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, ab. Engagements hatte er u. a. am Linzer Landestheater und am Volkstheater Wien; große Bekannt- und Beliebtheit erlangte er vor der Kamera mit „Kaisermühlen Blues“ und „Trautmann“. Er spielte seither in vielen Produktionen für Kino und TV. Zur Liste seiner Auszeichnungen zählen der Skraup-Preis, die Kainz-Medaille und mehrere Romys. Heuer findet bei den Schloss-Spielen Kobersdorf die 19. Produktion unter seiner Intendanz statt. Wolfgang Böck lebt in Wien und Draßburg, ist mit der Architektin Sonja Kremsner verheiratet und Vater eines erwachsenen Sohnes.

Ein leises Tuckern durchbricht die Nachmittagsstille in der Pöttelsdorfer Bachzeile. Auf drei Rädern nähern sich knapp zwölf Pferdestärken. Die Frühlingssonne blendet, erst als das charmante Gefährt vor uns zum Stehen kommt, sehen wir, wer es lenkt. Uns entfährt ein erstauntes „Wow“, während Wolfgang Böck mit spitzbübischem Lächeln aus seiner Ape Piaggio steigt. „Fast 800 Kilo kannst du auf der Ladefläche transportieren“, sagt der Schauspieler, dessen Herz seit der Kindheit für Autos und Motorräder schlägt. Seither hat sich viel getan, wird er später im Gespräch ergänzen. Zwischen Wien und Draßburg ist er mittlerweile oft „elektrisch“ unterwegs.
Dorthin, wo wir uns treffen, kommt er sonst am liebsten zu Fuß. „Dort von hinten, über die Wiesen mit den Kuhschellen“, zeigt er auf den Hügel hinter Hans Bauers schmuckem Verkostungsraum. Längst sind aus dem Winzer und Prosciutto-Spezialisten und seiner Familie Freunde geworden. Wir baten um ein Interview an einem Lieblingsplatz – und wurden doppelt belohnt: mit einem entspannten Wolfgang Böck, mit dem wir bis in seine oberösterreichische Kindheit reisen durften, und Schinken, bei dem der Gaumen Purzelbäume schlägt. Wolfgang Böck ist kein großer Geburtstagsfeierer, sagt er, und dass man mit 70 im besten Alter sei, hält er für eine „wunderbare Phrase“ und verdreht unmissverständlich die Augen. Also lassen wir das Thema lieber.


Sie hatten Ihr Erweckungserlebnis, wie Sie es selbst mal beschrieben, in Linz. Was geschah dort?

Ich war etwa 18 und HTL-Schüler für Maschinenbau. Ich hab’ mir gedacht: Wenn du die Schule machst, wirst Motorradrennfahrer (lacht). Technische Vorgänge haben mich schon interessiert, aber sie mit der Mathematik zu beschreiben gar nicht. Ich hab’ viel gelesen, viel Schule geschwänzt und war als Schulsprecher lieber politisch aktiv. Dann rückte das Maturajahr näher und die Matura hat sich vor mir aufgebaut wie der Himalaya: unüberwindbar. Als ich dann eines Tages im Rahmen unseres Deutschunterrichts am Linzer Landestheater Wolfi Bauers „Change“ gesehen hab’, war ich baff erstaunt: Die haben meine, unsere Sprache gesprochen! Ich dachte mir: Oida, des wär’ was für di – das riskierst!

Wie haben Ihre Eltern reagiert?
Mein Vater, ein Industriekaufmann, war ein sehr liberaler Geist, mit dem ich über alles reden konnte. Ich war viel mit Älteren, mit echten 68ern unterwegs, die lagen im Clinch mit ihren Vätern, ich nicht. Er hat mich gefragt: „Hast du dir das gut überlegt?“ – „Ja“, hab’ ich gesagt – und er hat mich sogar zur Aufnahmeprüfung nach Graz (Kunst­universität, Anm.) gefahren. Hätte er mich nicht dorthin gebracht, bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht abgerissen wär’ (lacht).

Wie haben Sie die Schauspiel-Ausbildung in Erinnerung?
Sehr positiv. Den Beruf kann man ja nicht lehren, den muss man erfahren. Gewisse Dinge lassen sich aber trainieren, wie Stimme und Atemtechniken. Jeder Tag begann um 7.45 Uhr mit einer Stunde Atemgymnastik. Wir schlugen uns ständig die Nächte um die Ohren, das war schon kurios, wie wir dalagen, unsere Atemübungen machten und mit viel Alkohol im Blut hyperventilierend 20 Zentimeter über dem Boden schwebten (lacht).
Ich war erst drei Monate an der Schule, da hat mich Professor Casapiccola, ein hervorragender Phonetiklehrer, nach Bregenz geschickt. Ich hab’ eine kleine Rolle in einem Nestroy gekriegt und das erste Mal mitbekommen, wie es am Theater zugeht. Das war hilfreich.

Heute sind Sie seit Jahrzehnten Vollblutschauspieler, mögen Sie den Begriff?

Ja, das bin ich. Ich übe meinen Beruf mit Leib und Seele aus, mit allem, was ich kann und hab’.

Was braucht’s denn?

Dass man sich das Kindsein, das Spielerische bewahrt. Ein Beruf für einen Erwachsenen ist das nicht. Nehmen wir Kobersdorf her: Wir machen uns dort zum Deppen, damit das Publikum was zum Lachen hat. Wir wollen ja unterhalten. Aber wenn wir davor probieren, sitzen noch keine Leute da, es lacht natürlich auch noch niemand, da fragt man sich schon manchmal: Was mach’ ich da?

Stresst Sie eine Premiere noch?
Ja, es gibt viele Versagensängste in diesem Beruf. Ich hab’ sie zumindest.

Ein Lieblingsplatz. Beim Winzer und Prosciutto-Spezialisten Hans Bauer und seiner Frau Irene © Vanessa Hartmann


Bis heute?

Bis heute. Ich will nicht auf die Bühne gehen und mich blamieren. Ich will nicht, dass die Leute unten die Köpf’ zusammenstecken und sagen: „Da haben wir schon Besseres gesehen.“ Das produziert Ängste, auf der anderen Seite treibt das auch an. Nach fünf Jahrzehnten kann ich mich selbst beruhigen, weil es in der Regel auch gut geht.

Wollten Sie je was anderes machen?
Das nicht. In jungen Jahren hatte ich ganz andere Gedanken. Als ich damals in Bregenz gespielt hab’, war ich in einer Pension untergebracht: mit Waschbecken im Zimmer, Dusche am Gang. Für mich Jungen war das wurscht, aber meine Zimmernachbarn waren zwei ältere Kollegen; sie waren schwer vom Alkohol in Mitleidenschaft gezogen. Ich hab’ mir damals geschworen: Bua, du musst dir treu bleiben und dir den Mut bewahren, den du zusammengekratzt hast, um die HTL im letzten Jahrgang gegen alle Widerstände abzubrechen. Wenn du siehst, dass in dem Beruf nix weitergeht, musst du beizeiten die Reißleine ziehen und dir was anderes suchen. – Das Ergebnis war, dass ich nie länger als drei Jahre an einem Haus geblieben bin, auch wenn ich kein Nachfolge-Engagement hatte. Das war am Linzer Landestheater so und auch am Wiener Volkstheater, obwohl ich mich dort in die erste Reihe gespielt hab’. Danach war ich nirgendwo mehr fest engagiert, nur noch als Freiberufler unterwegs und hab’ auch sehr viel gedreht. Alles ist gut gegangen, ich sitze in der Pension nicht in der Pension.

Die vergangenen 20 Jahre blieben Sie als Intendant den Schloss-Spielen treu. Was haben Sie gut gemacht, was würden Sie heute anders machen?

Mit solchen Rückblicken habe ich’s nicht so. Ich sehe aber, dass es durchaus erfolgreich ist. Die Zahlen sind sehr gut. Was mir unangenehm widerfahren ist, das hab’ ich vergessen. Was gestern war, ist mir wurscht.

Können Sie gut abschließen?
Ja, es sei denn, ich hab’ einen Überhang moralischer Natur, weil ich jemanden unbeabsichtigt gekränkt und das noch nicht aufgeklärt habe.

Es ist absurd, wie viele Leute heute einander unversöhnlich gegenüberstehen.

Wolfgang Böck



Was mögen Sie an Kobersdorf?

Es ist eine sehr schöne Spielstätte, aber eine herausfordernde. Nicht nur, weil man vom Wetter abhängig ist. Die Bühne ist groß, die Sichtlinien sind weit und wir haben keinen Vorhang, was Verwandlungen erschwert. Alles muss offen passieren. „Der Bockerer“ (Produktion 2022, Anm.) war ein gutes Beispiel dafür. Das Stück kommt revueartig daher, mit vielen Bildern – da muss ich mein Team loben, das haben sie sehr gut gelöst. Auch heuer wird es eine Herausforderung sein: bei „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ finden viele Wechsel zwischen Wald und Gebirge statt.

Worum geht es?

Ferdinand Raimund hat das Stück im 19. Jahrhundert geschrieben – und mit Theatermitteln quasi Freuds Psychoanalyse um 50 Jahre vorweggenommen. Er erzählt die Geschichte eines Mannes, der aufgrund schlechter Erfahrungen zum Menschenhasser geworden ist. Er wurde bitter enttäuscht und verletzt, nun ist er misstrauisch und malträtiert alle. Da nimmt Raimund den Kunstgriff her, verwandelt Geister der Natur in den Alpenkönig, sodass dieser sich selbst beobachten kann, wie er seine Familie behandelt, wie er mit seiner Frau umgeht. Diese Auseinandersetzung mit seiner Person, wie er sich quasi selbst zuschaut, ist sowohl spannend als auch komisch.

Sie spielen den grantigen Gutsbesitzer. Was ärgert Sie in der Realität?
Leute, die ohne Nachdenken Dinge behaupten. Aber hauptsächlich ärgere ich mich über mich selbst.

Warum?
Jaaa, weil ich ein durchaus emotions­getriebenes Wesen bin. Das ist als Schauspieler notwendig, dass man Emotionen zulässt und einsetzt – auf der Bühne. Im Privaten ärgert es mich, wenn mein Temperament mit mir durchgeht.

Was wünschen Sie sich aktuell?
Die Situation ist schwierig, Krieg und Klimakrise, es sind viele Baustellen rundherum. Ich wünsche mir, dass wir irgendwie miteinander die Kurve kratzen, dass nicht zu viel aus dem Ruder läuft. Es ist absurd, wie viele Leute einander unversöhnlich gegenüberstehen. Lasst uns doch bitte miteinander reden – mit dem nötigen Respekt.

Köstliches Trio aus Pöttelsdorf. Zweierlei Prosciutto und Lardo © Vanessa Hartmann


Schloss-Spiele Kobersdorf

4. Juli bis 30. Juli 2023: „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“, ein romantisch-komisches Zauberspiel von Ferdinand Raimund. Intendant Wolfgang Böck steht mit folgenden Kolleg*innen auf der Bühne: Gerhard Kasal, Alexander Jagsch, Johanna Bertl, Tanina Beess, Christoph-Lukas Hagenauer, Doris Hindinger, Dominik Kaschke, Seraphine Rastl, Julian Rohrmoser und Manfred Sarközi.


Infos & Tickets:

www.schlossspiele.com
Tel.: 02682 / 719-8000

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