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Im Interview sprechen Daniel und Philipp über Coming-outs mit Hindernissen, mutige Küsse und Patchwork-Glück.
Das Interview findet an einem ganz besonderen Ort statt: im historischen Boutique-Hotel Oberjäger im Schloss Lackenbach. Philipp, einer der beiden Gesprächspartner, leitet bei Esterhazy den Vertrieb der Event-Locations und ist diesem besonderen Platz eng verbunden.
Der andere, Daniel, ist nicht nur sein Lebensgefährte, sondern auch ein feinfühliger Erzähler mit bewegter Vergangenheit. Es ist ein offenes, ehrliches und sehr persönliches Gespräch über Mut, Familie, Identität und die großen und kleinen Fragen des Lebens. Inmitten von Antiquitäten, Design und Natur – ein Kontrastprogramm zu dem, was sie über ihre Patchwork-Lebensweise erzählen. Und genau deshalb der perfekte Ort.
Wann habt ihr das erste Mal gespürt, dass ihr auf Männer steht?
Daniel: Die ersten Gedanken diesbezüglich hatte ich in meiner Jugend. Das war aber eher eine abstrakte Fantasie. Ich wollte Familie, Kinder, eine Frau – so, wie man es eben vorgelebt bekommt – und habe das auch umgesetzt. Doch je älter ich wurde, desto mehr merkte ich, dass etwas fehlt. Irgendwann stand ich vorm Spiegel und fragte mich: Was ist mit mir los? Was bin ich jetzt? Es war eine lange Reise zu mir selbst.
Philipp: Bei mir war’s ähnlich. Meine Kindheit in Hornstein war unbeschwert. Doch ich war ein Scheidungskind und wollte es besser machen als meine Eltern. Heiraten, Kinder kriegen, zusammen alt werden. Doch dann kam dieser Moment, in dem sich alles verschoben hat.
Der Topf, den ich 35 Jahre lang fest zugedeckelt hatte, ging auf. Ich entschied mich dann bewusst, einen Therapeuten zurate zu ziehen, um zu lernen, mich endlich wieder zu verstehen, und zu begreifen, wer ich eigentlich wirklich bin.

Wie habt ihr euch ineinander verliebt?
Philipp: Daniel und ich waren jahrelang Kollegen in der Hotellerie. Schon als sich Daniel vor vielen Jahren bei mir bewarb, wusste ich: Den will ich in meinem Team haben. Nach ein paar Jahren haben sich unsere Wege getrennt – bis Daniel sich eines Tages völlig unerwartet meldete, um mit mir zu plaudern.
Daniel: Ich wollte ihn eigentlich nur fragen, ob er wieder einen Job für mich hat. Und tatsächlich sind wir bald wieder Kollegen geworden – und dann passierte der Moment, der alles veränderte.
Philipp: Wir haben uns angesehen. Ein Kuss. Alles Bisherige war zu Ende. Ich wusste, jetzt wird alles anders. Es war großartig. Und gleichzeitig war klar: Das wird jetzt schwierig.
Wie haben eure damaligen Partnerinnen reagiert?
Daniel: Meine Exfrau und ich hatten eigentlich eine sehr gute und glückliche Beziehung. Wir waren jung zusammengekommen, hatten zwei kleine Kinder, als ich ihr sagte, dass ich schwul bin. Sie war am Boden zerstört. Als dann kurz darauf Philipp in dieser neuen Rolle in mein Leben kam, wusste ich, dass ich diese Ehe beenden muss.
Philipp: Meine Exfrau und ich haben es ebenfalls sehr ernst genommen. Wir haben lange gesprochen, viel geweint, viel gestritten – und dann einen Weg gefunden. Unsere Kinder sind heute Teenager und wir leben nun alle in unmittelbarer Nähe zueinander – keine 100 Meter liegen zwischen uns. Unsere Exfrauen, unsere Kinder und wir. Wir sind den beiden wirklich sehr dankbar für alles. Familie ist Familie und muss zusammenhalten.

Ich wünsche mir mehr Gleichgültigkeit für das, was anders ist.
Philipp, 45
Und wie war es mit euren Familien? Vor allem mit denen, die vielleicht noch konservativ geprägt sind?
Daniel: Ich bin in Deutschland aufgewachsen, meine Familie hat ihre Wurzeln im Balkanraum. Die Angst vor dem Coming-out war riesig. Aber am Ende kam alles anders: Ich wurde akzeptiert, bekam Anrufe von Menschen, mit denen ich ewig keinen Kontakt hatte.
Philipp: Das war wirklich berührend. Viele sagten: „Haben wir eh schon immer gewusst.“ Und als wir gemeinsam ins Heimatdorf fuhren, wurden wir als Paar begrüßt.
Wie reagieren die Kinder auf eure Beziehung?
Daniel: Meine waren noch sehr klein, als wir zusammenkamen – sie kennen es gar nicht anders. Als wir ihnen gesagt haben, dass wir heiraten, kamen trotzdem witzige Fragen.
Philipp: Wie zum Beispiel: Wer trägt das Kleid bei der Hochzeit? Wird einer von euch jetzt eine Frau? Was passiert mit den Nachnamen? Wir haben alles sehr ernst genommen und versucht, ihnen die Dinge kindgerecht zu erklären. Kinder sind oft viel unkomplizierter als Erwachsene.

Sichtbarkeit ist wichtig, aber muss das provokant mit Federboa passieren?
Daniel, 36
Ihr sagt, ihr seid nicht das typische schwule Paar. Was meint ihr damit?
Daniel: Viele denken bei schwulen Paaren an Pride-Paraden, High Heels, Leder-Outfits. Aber unser Alltag ist wie bei jedem anderen Paar: Wäsche, Kochen, Hausaufgaben, Familienurlaub.
Philipp: Manche Leute glauben, wir hätten das einfache Leben gewählt – Ehe beendet, bunte Fahne gehisst, los geht’s. Aber so war es nicht. Es war ein schwerer Prozess, geprägt von Ängsten, Konflikten, Therapie. Die Erkenntnis, dass man schwul ist, ist nicht automatisch ein freudiges „Jetzt weiß ich, wer ich bin!“. Es ist auch ein Abschied von einer Lebensvorstellung.
Wie steht ihr zur queeren Sichtbarkeit in Medien und Gesellschaft?
Philipp: Grundsätzlich ist es gut, dass homosexuelle Figuren in Filmen und Serien vorkommen. Aber ich finde, es ist zu viel aufgeladen – immer mit Sexualisierung, immer plakativ. Das triggert Menschen mit Vorbehalten und erzeugt eine Abwehrhaltung.
Daniel: Sichtbarkeit ist wichtig, keine Frage. Aber muss das halbnackt mit Federboa passieren? Ich verstehe, dass man Aufmerksamkeit erzeugen will – aber für viele Menschen, die noch Berührungsängste haben, ist das zu viel.
Was wünscht ihr euch von der Gesellschaft?
Philipp: Gleichgültigkeit. Klingt paradox, ist aber so gemeint: dass man nicht ständig auf das schaut, was anders ist. Sondern auf das, was uns verbindet. Lieblingsserien, Eissorten, Urlaubsziele – wir sind alle gar nicht so verschieden.
Daniel: Akzeptanz. Dass der Charakter zählt, nicht die sexuelle Orientierung. Ich wünsche mir, dass niemand mehr Angst haben muss, einfach er selbst zu sein.

Was würdet ihr Menschen sagen, die noch auf der Suche nach sich selbst sind?
Daniel: Du darfst nicht darüber nachdenken, was andere sagen könnten. Hör auf dein Innerstes. Sei ehrlich zu dir selbst. Ich würde – trotz aller Hürden – denselben Weg noch mal gehen. Weil er mich zu meinen Kindern geführt hat. Und zu Philipp. Alles kommt zu der Zeit, zu der es kommen soll.
Und wie sehen eure Zukunftspläne aus?
Philipp: Wir heiraten im Juni – ganz klein, auf unserer Dachterrasse zu Hause. Keine große Show. Nur wir, unsere Kinder, unsere Exfrauen und ein paar Menschen, die uns wichtig sind.
Daniel: Unser Leben war bisher schon filmreif – wenn Netflix sich meldet, stehen wir gerne für das Drehbuch zur Verfügung (lacht). Jetzt wünschen wir uns einfach, unsere Liebe genießen zu können.
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