Tausend Paare, tausend Rezepte
Vor gut drei Jahren verabschiedete sich die große Senta Berger von der Filmwelt. Wieso stand sie nun doch vor der Kamera?
Senta Berger © Luna Filmverleih/Mathias Bothor
Mama, hör auf damit“, sagt die zwölfjährige Tochter empört, die vor mir am Teppich liegt und mit Stöpseln in den Ohren in ihre Musik vertieft schien. Ich bereite mich auf das Interview mit Senta Berger vor. Mit SENTA BERGER! Ich inhaliere am Bildschirm vor mir jede Minute des neuen Kinofilms „Weißt du noch“ (Regie: Rainer Kaufmann). Eigentlich wollte sie keine Filme mehr drehen; freilich macht sie die Ausnahme nicht grundlos. Es ist ein Screeninglink für Journalist:innen, das Passwort ist nach einmaliger Nutzung ungültig. Ich drücke ungern auf Pause, aber jetzt muss ich doch. „Was mache ich denn?“, frage ich die Tochter. „Immer wieder einen Gesichtsausdruck, bei dem ich nicht weiß, ob du lachst oder weinst.“
„Oh, das ist aber süß“, lacht Senta Berger, als ich ihr beim Gespräch in Wien davon erzähle. Ihre Haare fallen schön, sie trägt eine dunkelblaue Bluse, winzige Türkise schmücken ihre Ohren und ihren Hals, all das und jede einzelne Bewegung hat Stil. Sie greift elegant zum Glas, formuliert jede einzelne Antwort elegant.
Ich habe meiner Tochter geantwortet: Ich kann nicht anders, mir ist bei dem Film gleichzeitig zum Weinen und zum Lachen zumute.
Senta Berger: Der Film ist auch eine Mischung: eine ernst genommene Komödie, die immer wieder ins Dramatische kippt. Altsein ist nicht einfach (lacht).
Empfinden Sie das so?
Natürlich! Meistens sehen wir Stereotype, wenn man über alte Menschen Filme oder Fotos macht: Entweder sind sie wahnsinnig gut drauf oder sie haben Demenz. Dazwischen gibt’s eigentlich nix. Unser Film behandelt das letzte Kapitel ohne Zeigefinger. Er sagt nicht: Denkt über die Endlichkeit nach. Der Film hat eine Leichtigkeit und eine Tiefe. Das ist ein Kunststück und liegt am Drehbuch. Man konnte es wie eine Partitur spielen. Der Autor Martin Rauhaus ist jünger als wir (an ihrer Seite spielt Günther Maria Halmer, Anm.), aber auch schon lange mit seiner Frau zusammen. Er hat nicht nur über das Altsein geschrieben, sondern über das Zusammenleben. Das betrifft auch viel, viel Jüngere. Du kannst schon nach zehn Jahren gut sticheln und streiten.
Das Paar im Film hat sich unterschiedlich entwickelt. Sie ist dem Leben mehr zugewandt, er zieht sich mehr zurück – und sie nehmen sich kein Blatt vor den Mund. Manchmal ist es traurig, dann denkt man wieder: Da glimmt es noch, die sind gar nicht so weit auseinander. Sie interessieren sich noch füreinander, sonst würden sie nicht diskutieren und streiten.
Ist das eine Art Liebesbeweis?
Schon. Dass man den anderen aus egoistischen Gründen ändern möchte, ist auch klar. Sie würde gerne mit ihm reisen, mit ihm Ausstellungen und Erinnerungen teilen.
Ist es eine Herausforderung, immer wieder gemeinsame Interessen zu finden?
Ich muss ehrlich sagen, mein Mann und ich haben fast gleiche Interessen. Ich stelle mir gerade vor, wie es wäre, wenn er sich überhaupt nicht für Malerei, Politik, meinen Beruf, Theater, Natur interessierte. Was wäre dann?
Ich hätte so gerne meine Eltern kennengelernt, als sie jung waren, um zu verstehen, wie diese beiden Menschen sich gefunden haben. Sie hatten absolut unterschiedliche Interessen, waren aber ihr Leben lang zusammen. Tausend Paare, tausend Rezepte – das weiß man ja.
Ich habe früh kapiert, dass ich meinen Mann nicht ändern werde, trotzdem habe ich nicht aufgehört, darüber zu reden (lacht). Man kann aber lange miteinander leben, wenn man weiß, wie weit man die eigene Einstellung ändern und was man akzeptieren kann. Ich habe immer gesagt: Zwei bleiben ist besser als eins werden. Das ist aufregender.
Sie wollten eigentlich nicht mehr vor der Kamera stehen, was hat Sie umgestimmt?
Neben meiner Serie „Unter Verdacht“ habe ich oft noch vier, fünf andere Filme im Jahr gedreht, Kino- und Fernsehfilme. Es war schön, es war aufregend, aber ich war auch immer in Termine eingezwängt und habe gemerkt, ich versäume vieles. Einmal bist du beim Geburtstag vom Enkel nicht dabei, dann beim ersten Schultag. Diese Kleinigkeiten halten aber eine Familie zusammen.
Ich war 77 und fand: Das ist ein gutes Alter zum Aufhören, wenn man mit 17 angefangen hat. Mit Florian David Fitz habe ich trotzdem noch einen Film gemacht, weil es um ein wichtiges Thema ging: um die Transgender-Geschichte eines Kindes (sehr empfehlenswert: „Oskars Kleid“, Anm.). Ich habe ja nicht ganz aufgehört, meine Rezitationsabende bei den Salzburger Festspielen mache ich auch noch. Und dann kam das Drehbuch von „Weißt du noch“ – und ich habe sofort gesagt: Diese Geschichte will ich miterzählen. Gerade habe ich auch einen Plan für das nächste Jahr, aber das ist noch nicht in trockenen Tüchern, darüber spreche ich noch nicht.
Wie wurden Sie Marianne in „Weißt du noch“?
Wenn es ein gutes Buch ist, ist das leicht. Ich finde mich in dieser Frau wieder, ich hätte aber auch Günter spielen können. Ich überlege mir von außen: Wie schaut sie aus, was trägt sie und wie ist ihr Temperament, wie geht sie – das macht Spaß und danach arbeitet die Fantasie. Die allein ist natürlich zu wenig, man muss sein Handwerk können.
Worum ich Marianne im Film beneide: Sie hat viele Freundinnen. Das habe ich nicht. Als ich jung aus Wien wegging und später als Senta Berger zurückkam, blieb mir kaum noch jemand, zum Glück meine Cousine.
Ich war dann in Berlin, in Amerika, in Italien und als ich nach Deutschland zurück bin, hatte ich zwei Freundinnen. Zwei Frauen, mit denen ich viel gelacht habe, mit denen ich nur die Senta war. Beide leben nicht mehr. Mit ihnen musste ich mich nicht erklären, musste nicht sagen: Schau mal, Schauspieler sind gar nicht so, ich brauche doch keine Limousine …
Meine Freundin ist der Michael (ihr Ehemann, Anm.), er interessiert sich aber nicht für Sachen, die Freundinnen zusammen machen. Ich habe meine Familie, meine Söhne, Enkel und großes Glück mit meinen Schwiegertöchtern. Aber keine, die sagt: „Komm, wir gehen in die Galerie – oder: Es ist Sale!“ Sale kann man doch nicht alleine machen (lacht)!
Doch das Schöne am Alter ist: Ich denke, ich kann meinen Beruf wirklich gut (lacht). Als ich jung war und schön, konnte ich meinen Beruf noch nicht.
Sie sind wunderschön. Als ich den Film sah, dachte ich mir, so möchte ich auch gerne …
… alt werden? Ja (lacht).
Denken Sie, es gibt – abseits des Körperlichen – konkrete Unterschiede, wie Frauen und Männer älter werden?
Die Gesellschaft ist im Umbruch, ich bin vorsichtig mit meinen Behauptungen, aber in den allermeisten Fällen ist es noch so, dass Männer – auch aus finanziellen Gründen – das Hauptaugenmerk auf den Beruf haben und daneben wenig entwickeln. In Wien gibt es die Chance, einen Schrebergarten zu haben, das ist für viele in der Rente sehr gut, es sei denn, sie haben keine Sensibilität für die Natur, auch das gibt es. Was machen sie dann? Ins Gasthaus gehen und Karten spielen? Das kann doch kein Lebensinhalt sein.
Frauen hingegen sind – Multitasking ist ein blödes Wort – sagen wir: viel beschäftigt oder besser: viel talentiert. Ich habe von Anfang an den Beruf gehabt, Haushalt und Garten gemacht und alles mit den Kindern organisiert; nicht als Opfer, aus Liebe und Glück.
Frauen werden besser alt, weil sie viele Interessen haben – und eine karitative Seite. Da können alle Feminist:innen etwas einwenden, aber das ist seit Jahrtausenden so, das wird nicht über Nacht weggehen. Frauen gehen anders mit Kindern und Tieren um, selbst mit Notfällen. Das geschieht aus dem Instinkt, aus der Intuition. Ich habe in meiner Schwangerschaft besser gerochen und geschmeckt, ich habe damals gelernt vorauszudenken.
Man schläft von da an anders …
Nie mehr gut (lacht). Das Vorausdenken ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Wesens. Wir haben gelernt: Wenn ich kurz rausgehe und das Kind allein lasse, schließe ich vorher das Fenster. Wenn es bei Tisch ist, nehme ich das Messer mit. Ich gehe heute noch durch die Wohnung und räume die Scheren weg, bevor meine Enkel kommen. Daran denkt mein Mann nicht. Ich finde die Gleichstellung auf jedem Sektor gut, aber die Gleichsetzung kann ich mir nicht denken. Der Unterschied wird bleiben und ich habe auch nix dagegen.
Was wünschen Sie sich für den Film?
Dass er eine schöne Position im Kino hat, weil er nicht nur ein Film über und für alte Leute ist, sondern ein Film übers Zusammensein und Zusammenleben.
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Senta Berger
… wurde 1941 in Wien geboren und lebt heute in München und in Wien. Sie ist seit 1966 mit dem Regisseur Michael Verhoeven verheiratet und Mutter zweier Söhne. Simon und Luca traten in die Fußstapfen ihrer Eltern. Neben ihrer internationalen schauspielerischen Karriere engagiert sich Senta Berger stets für soziale Projekte (ARCHEMED – Ärzte für Kinder in Not) sowie für gesellschaftspolitische Themen: 1971 gehörte sie zu den prominenten Frauen, die an Alice Schwarzers Medieninitiative „Wir haben abgetrieben!“ teilnahmen, und sie betonte zuletzt aufgrund eigener schmerzlicher Erfahrungen in jungen Jahren immer wieder die Wichtigkeit der MeToo-Bewegung.