So viele Nuancen dazwischen
Michael und Bernhard sind verheiratet. Ihrem gemeinsamen Glück ging ein langer Weg voller Selbstzweifel voraus. Mit uns sprechen sie über ihre Erfahrungen und warum sie gerne normal sind.
Bernhard und Michael © Elisabeth Lechner
Er ist es nicht gewohnt, interviewt zu werden, normalerweise steht er auf der anderen Seite: als Moderator beim TV-Sender W24 ist der Oberpullendorfer in der entgegengesetzten Rolle. Michael hat schon lange nicht mehr über seine Homosexualität gesprochen, nicht weil er ein Geheimnis daraus macht, sondern weil dieses Thema für ihn im Alltag nicht von Belang und einfach selbstverständlich geworden ist. Anders war das noch vor rund 15 Jahren. „Ich hatte eine Freundin, es war eine Bilderbuchbeziehung, wir wohnten zusammen, hatten einen tollen Freundeskreis. Nur wurde ich immer unglücklicher, nach einigen Jahren war ich am Boden. Ich hatte immer schon das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, aber ich konnte es mir nicht eingestehen. Wenn Leute mich darauf ansprachen und zu etwas drängen wollten, hat das nur noch mehr Druck aufgebaut. Ich fühlte mich gezwungen, etwas einzugestehen, was ich jahrelang von mir geschoben habe.“ Der heute 35-Jährige war bei seinem Outing 23 Jahre alt. „Rückblickend hätte es mir schon mit 15 klar sein müssen. Es ist überraschend, wie sehr man sich etwas einreden kann, ohne klar zu sehen. Der Kopf macht sich seine eigene Realität. Mit unter 20 in der Schule, wo ‚Schwuchtel‘ ein Schimpfwort ist und Schwulsein der Inbegriff von Unmännlichkeit – da fällt einem die klare Sicht schwer.“ Nach einem jahrelangen Prozess sprach Michael es offen aus und weihte Familie und Freundeskreis ein. Die Überraschung war zwar groß, aber dennoch waren die großteils wundervollen Reaktionen berührend und motivierend.
Jetzt ist Schluss
Sein Ehemann Bernhard wuchs auf einem Bauernhof in einem kleinen Dorf in Niederösterreich auf. Als junger Erwachsener zog der heute 41-Jährige nach Wien, um Medizin zu studieren. Dort führte er eine Beziehung mit einem Mann, am Wochenende zu Hause kannte niemand Details über seine Sexualität. „Die Eltern haben sich gewundert, weil ich schon Mitte 20 war und noch keine Freundin hatte. Irgendwann kam der Moment, wo ich wusste, jetzt ist Schluss. Da war ich ungefähr 27. Meine Eltern haben sehr tolerant reagiert. Da dachte ich mir, warum habe ich so lange damit gewartet, es ihnen zu sagen? Ich wollte sie nicht in eine unangenehme Situation bringen, sie nicht im Dorf kompromittieren. Doch die Bedenken war unnötig.“ Bernhards Vater quittierte das Outing und die Angst, im Dorf bloßgestellt zu werden, mit dem Satz: „Ist doch egal, ob die Leute am Kirchenplatz nicht nur zehn, sondern ob der Neuigkeit 15 Minuten reden.“ Bereits eine Woche nach dem Outing saß sein Freund schon mit am Küchentisch in Bernhards Elternhaus.
Romantischer Antrag
2016 – Michael und Bernhard waren gerade Single und lernten sich über eine Dating-App kennen. Szenelokale suchten sie nur noch selten auf, denn dort würde „meist nur das Schnelle“ gesucht und es sei eine eher oberflächliche Welt. Bei ihrem ersten Treffen war Michael schnell klar, das könnte etwas Ernstes werden. Innerhalb des ersten halben Jahres sind die beiden auch schon zusammengezogen und waren sogleich drei Wochen gemeinsam auf Urlaub. „Das war ein bissl die Bewährungsprobe. Ich habe nach und nach Bernhards Humor entdeckt“, lacht der TV-Moderator. Die Hochzeit fand am 11. September 2021 statt. Dem voran ging ein Jahr lang Planung von Michael, der sich für seinen Traummann etwas ganz Besonderes überlegt hatte: 2019 fasste er den Entschluss, Bernhard die große Frage zu stellen. Dies verewigte er auf einem kleinen Zettel, den er in einer kleinen Flasche um seinen Hals trug, ohne dass Bernhard wusste, was dieses Fläschchen beinhaltete. „Ich habe ein Video davon gemacht und jeden Tag ein Foto von mir und dem Flascherl. Und das 365 Tage lang. Nach einem Jahr, im Sommer 2020, haben wir unseren Jahrestag im Weißen Rössl am Wolfgangsee gefeiert und ich habe ihm das Video und die Fotos präsentiert und ihn gefragt, ob er mich heiraten möchte. Kurz darauf ist auch Bernhard auf die Knie gegangen und hat mich ebenfalls gefragt.“ Die Hochzeit ein Jahr später wurde ein riesiges Fest für alle Freund*innen und die Familien, die die beiden bis zu diesem Tag wohlwollend begleiteten. „Sie gaben uns das Gefühl, keine Außenseiter zu sein, sondern wir erhielten volle Unterstützung.“
Nicht nur Schwarz und Weiß
Neben all diesen schönen Erfahrungen wissen die beiden jedoch auch, dass es nicht selbstverständlich ist, mit solcher Akzeptanz sein Leben zu verbringen. „Es gibt immer noch Haushalte bzw. Familien, in denen es eine absolute Katastrophe ist, wenn der Bub sich outet. Wir wissen, dass die Welt nicht überall so heil ist, wie sie uns vielleicht manchmal vorkommt.“ Bernhard, der Ruhigere von beiden, praktiziert als Arzt in Wien. Negative Erfahrungen aufgrund seiner Sexualität sind ihm zwar fremd, jedoch aufgrund seiner eher zurückhaltenden Art stimmte er dem Interview anfangs nur zögerlich zu, bis er erkannte, wie wichtig es ist, sich nicht zu verstecken: „Ich möchte anderen zeigen, wie ‚normal‘ unsere Beziehung ist. Wir sind nicht die schillernden, bunten Vögel, die man mit Schwulsein oft in Verbindung bringt. Die Leute sollten aufhören, in Schubladen zu denken. Sogar innerhalb der Schubladen werden noch Klischees kreiert, Schwule werden eingeteilt in Twinks, Jocks etc. (Anm.: amerikanische Begriffe aus der Schwulenszene, die verschiedene Typen beschreiben). Jeder ist so, wie er ist, warum muss immer alles kategorisiert werden?“
Es gibt leider immer noch Familien, in denen es eine Katastrophe ist, wenn der Bub sich outet.
Michael, 35
Mit neugierigen Fragen kann das Ehepaar jedoch mittlerweile ganz gut umgehen, weil sie meist nicht böse gemeint sind. „Neulich waren wir bei einer Veranstaltung im Burgenland und eine Bekannte von Michaels Familie kam auf uns zu und fragte: ‚Wer kocht eigentlich bei euch?‘ Lustig, worauf die Leute so kommen, welche Vorstellungen sie in ihren Köpfen haben.“
Dass diese Vorstellungen jedoch auch aufgebrochen und geändert werden können, wurde Michael besonders durch seine Oma klar. „Meine verstorbene Oma war sehr katholisch. Doch nach meinem Outing reagierte sie vorbildhaft, auch wenn sie länger brauchte, um es zu verstehen. Das kann ich ihr nicht vorwerfen, sie kannte zuvor nichts anderes. Ich selbst habe mein halbes Leben gebraucht, um mir das einzugestehen. Doch sie hat mich als ihren Enkelsohn geliebt, Bernhard als ihren neuen Enkelsohn sofort ins Herz geschlossen und akzeptiert, dass die Liebe und der Mensch zählen.“
Die Leute sollten aufhören, in Schubladen zu denken.
Bernhard, 41
Jeder ist, wie er ist.
Und dass in Folge unserer Anfrage dieses sympathische Interview in der Wiener Wohnung des Ehepaars mit spannenden Gesprächen und einer Flasche Wein zustande kam, hat folgenden Grund: „Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass sich niemand verstecken und für seine Sexualität schämen muss. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, es gibt so viele Nuancen dazwischen. Wenn wir nur einem einzigen Menschen, der vielleicht überlegt und unsicher ist, zeigen können, dass es Möglichkeiten gibt, dann ist schon gewonnen.“