Tun viel für soziales Engagement: Ariane Rosner und Judith Umathum

Soziales Engagement: Miteinander – Füreinander

Wir können viel mehr. Gemeinsam. Wir trafen Ariane Rosner und Tochter Judith Umathum, um über soziales Engagement zu sprechen.

7 Min.

Ariane Rosner, Judith Umathum © Vanessa Hartmann

Ein lebendiges Dorf, wo jeder seinen einzigartigen Platz hat und die Person, die die Blätter kehrt, genauso wichtig ist: Das ist eine der schönsten Visionen, findet Ariane Rosner. Sie und ihre Tochter Judith Uma­thum gehörten zu den Freiwilligen der ersten Stunde, als 2015 viele Geflüchtete nach Österreich kamen. Sie fanden es unerträglich, dass über die Menschen in der Masse gesprochen wurde. Mit dem Verein „Region Neusiedlersee hilft“ initiierten sie das Projekt „viel…stimmig“: ein Magazin, in dem Geflüchtete selbst ihre Geschichten erzählen. „Wir wollten eine Form finden, um den Wert der Einzelnen zu zeigen. Das betrifft nicht nur Asylwerberinnen: Jeder Mensch hat Kompetenzen, die ungenutzt sind; die Form des Miteinanders hätte viel mehr Möglichkeiten als das, was wir nutzen.“

Soziales Engagement seit jungen Jahren: Wie hat sich das entwickelt?

Ariane Rosner: Ich bin in Neusiedl am See zu einer Zeit aufgewachsen, als in der katholischen Jugend Aufbruchstimmung herrschte und viel gesellschaftspolitisch gearbeitet wurde; das war sehr prägend. 1988/89 war ich mit 17 das erste Mal an der Grenze im Einsatz: Das Rote Kreuz hat Freiwillige gesucht, wir haben die Menschen aus der DDR nachts mit Tee und Decken versorgt. Nach dem Studium an der Sozialakademie habe ich beim Psychosozialen Dienst gearbeitet und war ehrenamtlich Bewährungshelferin. Ich habe mich auch für einen Verein engagiert, der in Westafrika mit Kindern in den Slums gearbeitet hat; dort habe ich auch meine Kinder mitgenommen.

Am Weingut Umathum hast du die Veranstaltungsreihe „Umdenken“ ins Leben gerufen. Was war das?

Ariane: Ausgehend von der Landwirtschaft haben wir zu gesellschaftspolitischen Themen hochkarätige Vortragende eingeladen: zu Klimawandel, Regionalität, Arbeitskräften aus dem Ausland bzw. Flucht. Ich wollte Menschen zusammenbringen. Man konnte auch Fragen stellen; je öfter das stattgefunden hat, desto lebendiger wurde das Gespräch, teilweise wurde sogar gestritten (lacht). Gut so! Jeder trägt zum Miteinander bei.

Ariane Rosner
Ariane Rosner © Vanessa Hartmann

Menschen haben immer in Gemeinschaften überlebt: Das ist auch unsere Zukunft.

Ariane Rosner

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Judith, wie gestaltete sich dein Werdegang?

Judith Umathum: Ich bin damit aufgewachsen, dass Mama Bewährungshelferin war und mit Menschen aus Flüchtlingsquartieren zum Arzt gefahren ist – und habe Fragen gestellt. Nach der Matura habe ich Freiwilligendienst in Spanien gemacht und dann in Wien Kultur- und Sozialanthropologie studiert. Als 2015 die vielen Menschen gekommen sind, habe ich gerade im Integrationshaus gearbeitet – und an den Wochenenden im Burgenland geholfen. Wir gründeten damals den Verein „Region Neusiedlersee hilft“, später habe ich dort auch Asyl- und Fremdenrechtsberatung gemacht, weil das Angebot so knapp war. Vor Kurzem habe ich noch das Studium Soziale Arbeit absolviert.

Ausnahmejahr 2015, ihr hattet Job bzw. Studium und habt in eurer Freizeit geholfen. Warum?

Ariane: Wir hatten damals rund 600 Geflüchtete im Bezirk. Eine Motivation war, dass ich mir selbst ein Bild davon machen wollte, wie ein Zusammenleben funktionieren kann. Die andere Motivation: Es kamen viele junge Männer aus Syrien im Alter meines Sohnes. Ich habe mich gefragt, was ich mir für ihn wünschen würde, wenn ich ihn wegschicken müsste. So ein Mensch wollte ich sein. Judith: Ich habe von meiner Mama gelernt: Wenn jemand Unterstützung braucht, helfe ich und schaue nicht weg. Selten gab es negative Erfahrungen, aber wir wurden immer professioneller und zum überwiegenden Großteil bekamen wir sehr viel Respekt und Dankbarkeit.

Kennst du Berührungsängste?

Judith: Weswegen? Ich bin neugierig und gehe offen auf die Leute zu, auch wenn ich mal nervös bin. Ich war erst 20, als ich Gewand und Kaffee in ein Flüchtlingsquartier gebracht habe, wo rund 80 Männer waren. Da war ich aufgeregt, aber sie waren dankbar für den Kontakt, da war nichts zum Fürchten (lacht).

Wie definiert ihr Verantwortung?

Ariane: Das ist mir in jeder Beziehung wichtig, ich bin sehr verbindlich. Bis heute habe ich noch Kontakt zu Menschen, die abgeschoben wurden. Judith: Manche gingen sogar freiwillig zurück; die Belastung wurde so groß, dass sie nachts Angst hatten, dass die Polizei sie holt. Wir tragen als Bürgerinnen von Europa Verantwortung, auch geschichtlich gesehen; wir sind mitverantwortlich für das, warum die Leute überhaupt kommen.

Wie blickt ihr aktuell auf die Welt?

Ariane: Es ist beängstigend und frustrierend, wir hatten noch nie so schlechte Politikerinnen wie jetzt – und die Zivilbevölkerung muss den Wahnsinn der Unmenschlichkeit ausbaden. Ich mache gerade eine internationale Traumaausbildung. Das Konzept ist, ein Bewusstsein für die Traumata weltweit zu kriegen und damit umgehen zu lernen. Wir machen das online, da sind Teilnehmerinnen aus der ganzen Welt dabei; Ukrainerinnen haben zuletzt darüber berichtet, dass sie die ganze Nacht zuvor bombardiert wurden. Wir spüren und hören, was auf der Welt los ist, und bekommen Werkzeuge, wie wir uns und andere seelisch schützen und mit der Welt in Verbindung bleiben können. Ich will an meinem Traum vom Dorf festhalten, dass ein Miteinander gelingen kann. Ein Grundgedanke des Programms: Für die Opfer ist es wichtig zu wissen, dass sie jemandem nicht egal sind.

Judith: Ein junger Klient, der anfangs als Unruhestifter galt, hat kürzlich zu mir gesagt: „Du hast nicht mit mir geschimpft, sondern zugehört und mit mir geredet.“ Darum geht es im Magazin „viel…stimmig“ und in jeder Beziehung: gesehen zu werden und füreinander da zu sein. Wenn man weiß, was viele Geflüchtete erlebt haben, ist es oft ein Wunder, dass sie nicht durchdrehen.

Judith Umathum
Judith Umathum © Vanessa Hartmann

Was ich seit 2015 gesehen habe, hat mich verändert.
Ich könnte nicht nicht aktiv sein.

Judith Umathum

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Was ist ein guter Mensch?

Ariane: Es reicht schon, wenn du ein Mensch bist, der fähig ist zu reflektieren. Menschen haben immer nur in Gemeinschaften überlebt. Das ist auch unsere Zukunft: die Gemeinschaft.

Was können wir tun?

Judith: Es braucht nicht immer einen Verein, wir haben täglich die Möglichkeit, etwas füreinander zu tun.

Es ist auch ein gutes Gefühl, helfen zu können …

Judith: Ich mag das Wort Hilfe eigentlich nicht, das macht den anderen so unterwürfig. Ich sage lieber: begleiten, unterstützen, füreinander da sein.

Oft ist von der Spaltung der Gesellschaft die Rede, wie erlebt ihr das?

Ariane: Ich diskutiere selten mit Leuten, die Flüchtlinge komplett ablehnen. Ich erzähle einfach, wie ich lebe. Erst kürzlich bin ich zu einer ausländerfeindlichen Diskussion dazugekommen und habe nur gesagt: Ich war gestern den ganzen Tag mit einer Mutter von zwei Kindern bei der Polizei, weil sie vor der Abschiebung steht. Hinter der Ablehnung stecken oft einerseits viel Unwissen, andererseits Einsamkeit und einzelne schlechte Erfahrungen.

Tun viel für soziales Engagement: Ariane Rosner und Judith Umathum
Ariane Rosner, Judith Umathum © Vanessa Hartmann

Kennt ihr das Gefühl: Jetzt reicht’s, ich hau’ den Hut drauf?

(beide nicken lachend)

Judith: Aber nicht wegen der Klientinnen, sondern wegen struktureller Hürden. Umso wichtiger ist es, dass es viele Leute gibt, die sich engagieren.

Ariane: Oder sich zumindest informieren, ob die eigenen Annahmen stimmen.

Judith: Man lernt schon beim gemeinsamen Essen so viel voneinander: über Sprache, Kultur, Religion – so bekommt man einen neuen Blick auf andere Lebenswelten. Wer nicht fragt, weiß nicht, dass die Leute, auch wenn sie Asyl bekommen, praktisch auf der Straße stehen, weil sie aus der Unterkunft rausmüssen und dann zu fünfzehnt in einer schimmligen Bude 250 Euro für eine Matratze zahlen. Viele meinen nur: Sie kriegen eh Sozialgeld und müssen nicht arbeiten. Erst durch das Miteinander kann der Blick auf bestimmte Teile der Bevölkerung, und zwar auch auf Österreicherinnen, die mit Mindeststandards leben, anders werden.

Wie blickt ihr in die Zukunft?

Ariane: Hoffnungsvoll, dass sich doch vieles zum Guten wenden kann.

Judith: Die Menschen, mit denen ich arbeite, die wir seit 2015 begleiten, sind für mich diese Hoffnung.

„viel…stimmig“ gibt es online zum Downloaden. Viele Autorinnen studieren oder arbeiten bereits, zwei von ihnen ehrte das Flüchtlingsprojekt Ute Bock im Vorjahr als die engagiertesten Asylwerberinnen Österreichs: Abdelrahman Abujazma und Dilovan Akar.

www.viel-stimmig.at

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