Was bedeutet Freiwilligkeit?
Julia Zeitler beschloss mit 18: Sie will zum Roten Kreuz. Heute ist sie Notfallsanitäterin und Leiterin vom Freiwilligenservice.
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Ich muss gestehen, ich war sehr neugierig darauf, was in den Autos passiert, die ständig an uns vorbeifahren“, erinnert sich Julia Zeitler, heute 26 Jahre alt, schmunzelnd zurück. Sie war die Erste in ihrer Familie, die sich somit aus völliger Eigeninitiative bereits als Schülerin zum Ehrenamt meldete. „Ich war von allem fasziniert: von den Menschen in roten Uniformen, von der Idee, in kritischen Momenten helfen zu können.“
„Egal wie viel wertvolle Zeit jemand spendet, für uns sind alle Akteur*innen wichtig.“
Julia Zeitler, Leiterin Freiwilligenservice
Wie begann deine Tätigkeit beim Roten Kreuz Burgenland?
Julia Zeitler: Ich bin beigetreten, um die Ausbildung zur Rettungssanitäterin zu machen. Mit 20 habe ich dann maturiert und im selben Sommer habe ich die kommissionelle Prüfung zur Rettungssanitäterin erfolgreich absolviert.
Was machst du aktuell?
Ich bin weiterhin ehrenamtlich im Rettungsdienst, letztes Jahr habe ich mir einen weiteren Lebenstraum erfüllt und die Ausbildung zur Notfallsanitäterin gemacht. Seit Mai 2020 bin ich außerdem hauptberuflich beim Landesverband angestellt, leite den Bereich Freiwilligenservice und bin auch für das Freiwillige Sozialjahr bei uns zuständig.
Wie hat dich das Ehrenamt geprägt oder möglicherweise sogar verändert?
Ich werde eine Fahrt niemals vergessen: Wir haben eine Dialysepatientin ins Krankenhaus gebracht. Dialysepatient*innen fahren ja regelmäßig mit uns, mit der Zeit kennt man sich dadurch auch. Aber ich war zu Beginn meiner Ausbildung wahnsinnig schüchtern und als mein Kollege zu mir gesagt hat: Jetzt führst du das Gespräch mit der Patient*in, habe ich den Mund kaum aufgekriegt. Ich habe es nicht einmal geschafft, über das Wetter zu plaudern (lacht).
Diese Schüchternheit wurde immer weniger und heute ist sie weg. Ich habe unglaublich viele soziale Kompetenzen erworben, wurde offener. Gestärkt hat mich auch der Zusammenhalt unter den Kolleg*innen sehr, viele sind enge Freund*innen geworden. Wir alle profitieren auch durch die österreichweiten Netzwerke beim Roten Kreuz. Man bleibt einander verbunden, freut sich, wenn man beispielsweise beim Nova Rock wieder bekannte Gesichter sieht.
Machst du dort Dienst? Wie ist das so?
Das ist immer ein sehr besonderes Erlebnis. Ich bin sowohl im Stabsteam als Assistentin tätig als auch im Dokuteam – das Fotografieren ist meine zweite Leidenschaft. Die Kolleg*innen, die nicht mit dem Nova-Rock-Fieber infiziert sind, fragen mich oft, wieso ich mir das immer wieder antue: entweder im Regen und Matsch oder bei Hitze und Staub arbeiten. Ja, es ist anstrengend und wir bekommen wenig Schlaf, aber es macht mir seit Jahren immer Spaß.
Es gibt bestimmt viele, aber welche Momente von Einsätzen fallen dir ein, die für dich unvergesslich sind?
Ich habe schon bei der Frage Gänsehaut, denn es gibt ganz viele Schlüsselmomente. Manche Einsätze werde ich nie vergessen, weil sie so anstrengend waren, weil sie von einem sehr viel abverlangen. Man behält ewig in Erinnerung, wie es ist, das erste Mal einen toten Menschen vor sich zu haben, oder was es bedeutet, wenn man nicht mehr an der Puppe übt, sondern tatsächlich einen Menschen wiederbeleben muss.
Als Notfallsanitäterin habe ich zuletzt viele Einsätze erlebt, die sehr prägend waren, am intensivsten war aber für mich heuer, bei der Reanimation eines Neugeborenen dabei gewesen zu sein. Das hat uns sehr gefordert, körperlich, seelisch, fachlich.
Schön sind aber auch scheinbare Kleinigkeiten, wie dass das Österreichische Rote Kreuz mein Foto vom Nova Rock zum Tag der Umarmung ausgesucht und gepostet hat, oder wenn ich ein Baby kurz nach seiner Geburt halten darf.
Was geschah mit dem Neugeborenen, das reanimiert werden musste?
Es wurde mit dem Hubschrauber nach Wien geflogen und wir haben erst Monate später erfahren, dass das Baby zum Glück bald wieder nach Hause durfte. Wir kümmern uns um die präklinische Versorgung und darum, dass der Transport stabil zum Zielkrankenhaus verläuft.
Damit ist unsere Arbeit aber erledigt und wir erfahren meistens nichts mehr über die Patient*innen. Auch das gehört zu unserer Tätigkeit dazu: damit zu leben, dass man abschließen muss, das ist manchmal nicht leicht und das war gerade bei dem Neugeborenen sehr schwer. Wir können nicht die Welt retten, das muss uns genauso bewusst sein, wie dass nicht jeder Mensch unsere Hilfe möchte.
… umso wichtiger ist es vermutlich, dass das Ehrenamt ausschließlich aus einem inneren Bedürfnis heraus passiert, oder?
Ja, wie bei jedem anderen Job hat man auch bei der freiwilligen Tätigkeit Vor- und Nachteile und mit unterschiedlichen Menschen zu tun. Ein Danke ist ein sehr wertvolles Wort, aber natürlich darf man sich nicht vorstellen, dass man damit überschüttet wird. Ob man nun Geld, Blut oder seine wertvolle Zeit spendet, man sollte das tun, weil man es selber will.
Wie verarbeitet ihr schwierige Einsätze?
Wir sind bei einem Einsatz nie allein, so haben wir die Möglichkeit, gemeinsam nachzubesprechen. Das tun wir tatsächlich immer. Wenn man merkt, da ist mehr Bedarf zum Reden da, kann man sich an unsere Peers wenden, das sind Mitarbeiter*innen, die speziell für die Stressverarbeitung nach belastenden Ereignissen geschult sind. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit für professionelle externe Hilfe. Wichtig ist eben immer das Bewusstsein darüber, was ich beispielsweise als Notfallsanitäter*in leisten kann und was nicht. In deiner hauptberuflichen Tätigkeit bist du Leiterin für das Freiwilligenservice beim Roten Kreuz Burgenland.
Seit dem Herbst läuft die Kampagne „Sei dabei – weil Helfen Ehrensache ist!“ – Wo und wie kann man mitwirken?
Es gibt grundsätzlich verschiedene große Bereiche, beispielsweise den Bereich Einsatz, wo etwa Rettungsdienst, Katastrophenhilfe, Suchhundestaffel, Feldküche dazugehören. Ein anderes großes Feld sind die Gesundheits- und sozialen Dienste: Freiwillige können Zeit mit Senior*innen in Tageszentren verbringen, da gibt es viele Möglichkeiten von Karten spielen bis hin zu gemeinsam Bewegung machen. Genauso kann man eine Lese- und Lernpatenschaft für Kinder übernehmen, da braucht es keinen pädagogischen Hintergrund, sondern nur die Bereitschaft, gerne mit Kindern zu arbeiten.
Das kann man ebenso als Jugendgruppenbetreuer*in tun, wo wir einen Fokus darauf legen, dass junge Menschen Erste Hilfe lernen und die Hemmschwelle davor verlieren. Was wir dringend suchen, sind beispielsweise Fahrer*innen, die Senior*innen daheim abholen und in die Tageszentren bringen.
Von einer Stunde ehrenamtliche Tätigkeit pro Woche für Fahrtendienste oder Lesepatenschaften bis hin zum Rettungsdienst, für den es natürlich spezielle Ausbildungen braucht und wo man 12-Stunden-Dienste macht, ist sehr viel möglich.
Woher weiß man, was zu einem passt?
Auf der Website ehrensache.at kann man einmal schauen, welche Angebote es in der Nähe gibt. Wir veranstalten auch Infoabende und man kann auch ein Interessensformular ausfüllen, woraufhin sich unsere Bezirks-Freiwilligen-Koordinator*innen mit Interessierten in Verbindung setzen. Dann schaut man gemeinsam, welche Möglichkeiten es gibt und wo die jeweiligen Interessen und Stärken liegen, und es gibt auch Schnuppermöglichkeiten.
Gibt es Alterslimits?
In Jugendgruppen können schon Kinder mitwirken, beim Ehrenamt sagen wir grundsätzlich: ab 18 Jahren. Nur bei der Krisenintervention ist das Alterslimit ab 25 Jahren, da unterstützen die Kolleg*innen ja beispielsweise Angehörige nach schweren Unfällen, plötzlichen Todesfällen oder anderen traumatisierenden Situationen. Für uns ist wichtig zu betonen: Ob Ehrenamtliche, Hauptberufliche, Zivildienstleister oder Menschen, die das Freiwillige Sozialjahr absolvieren – jede*r Einzelne leistet einen wichtigen Beitrag, wir brauchen alle Akteurinnen und Akteure.
MEHR ÜBER DIE AUTORIN DIESES BEITRAGS:
Viktória Kery-Erdélyi ist Redakteurin bei der Burgenländerin, hört und schreibt sehr gerne Lebensgeschichten von Jung und Alt, bemüht sich, Menschen, die sich gegen Ungerechtigkeiten engagieren und die Welt zu einer besseren machen wollen, eine Stimme zu geben. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft und ist zweifache Mama.