
Wie Maria Radutu Musik denkt
Maria Radutu's Klavierfestival „KEYS TO HEAVEN“ findet von 23. bis 25. Mai im Schloss Esterházy statt.
Maria Radutu © Phoebe Violet
Maria Radutu schenkt mit „KEYS TO HEAVEN“ von 23. bis 25. Mai Musikfans aller Generationen im und um das Schloss Esterházy ein Klavierfestival voller Überraschungen.
Ein Zuckerl daraus: Lylit kommt mit bisher unveröffentlichten Songs.
Sie war sechs Jahre alt, als sie der Lehrerin in der musikalischen Vorschulgruppe auffiel. „Kaufen Sie ihr ein Klavier“, empfahl sie. „Meine Mutter war alleinerziehend, sie fragte: Geht nicht auch eine Flöte?“, erinnert sich Maria Radutu schmunzelnd.
Im kommunistischen Rumänien, wo sie aufwuchs, suchte man sich nicht einfach eine Wohnung aus, erzählt sie im Interview weiter. „Uns wurde eine Wohnung in einem Plattenbau zugeteilt.“
Das Universum hatte ein Auge auf die kleine Maria: Im selben Haus wohnten viele Musiker*innen des Rundfunkorchesters – und so trugen die Stiegenhausgespräche bald Früchte: „Es wurde für mich ein Pianino und eine sehr gute Lehrerin organisiert.“
Einige Jahre und Wettbewerbe später wurde ein angesehener Kulturredakteur auf sie aufmerksam. Auch er hatte einen guten Rat parat: Sie sollte ins Ausland. Maria Radutu war erst 14, als sie mit einem Stipendium für das Klavierstudium nach Wien kam, parallel besuchte sie ein Musikgymnasium. Nach einem Jahr musste ihre Mama in die Heimat zurück, mit 15 war die junge Musikerin auf sich gestellt.

Wie hast du das erlebt?
Maria Radutu: Am Anfang furchtbar. Ich würde sagen: Sechs Jahre lang habe ich in Wien nur übernachtet. Das änderte sich nach der Matura, da wuchs der Freundeskreis. In den ersten Jahren war der Druck groß. Ich wusste, wenn ich es nicht schaffe und zurückmuss, zeigt man mit dem Finger auf mich. Aber im Endeffekt sind wir alle die Summe unserer Erfahrungen. Wer weiß, zu welchem Menschen ich geworden wäre, wenn es anders gekommen wäre.
Das klingt nach einem fordernden Start. Wenn ich deine CDs und dich über Musik sprechen höre, spüre ich die große Liebe zur Musik. Ab wann konntest du sie wirklich genießen?
Viele Kinder, die so viel machen, die man auch Wunderkinder nennt, verlieren sich oft in der Pubertät oder entwickeln sich nicht zu ausgeglichenen Menschen. Ich konnte mir die Musik zu eigen machen. Nach dem Studium bekam ich von einem guten Label ein Angebot für ein Album. Ich hatte Angst vor Mikros, aber ich konnte nicht Nein sagen.
Da musste ich mich intensiv mit der Frage „Warum?“ beschäftigen. Entstanden ist die CD „JouJoux“ – das war sozusagen mein erstes Programm mit einer dramaturgischen Geschichte. Daraufhin habe ich begonnen, Konzertreihen zu programmieren; das ist das, was ich seither neben meinen Auftritten mache und mag und was man heute Konzertdesign nennt. Die Musik kann trotzdem alt und klassisch sein, aber in der modernen Aufführungspraxis geht es auch darum, wie sich ein Konzert anfühlt.
Also wie Künstler*innen mit dem Publikum in Beziehung gehen?
Absolut. Ich bin selbst begeisterte Konzertgeherin, es geht um die Übertragung von Emotionen.
Du hast im Vorjahr erstmals das Klavierfestival „KEYS TO HEAVEN“ in Eisenstadt programmiert. Wie war die Premiere, wie geht es heuer weiter?
Ein frisches, lebendiges und genreübergreifendes Festival sollte es werden – das hatte sich Stefan Ottrubay (Vorstandsvorsitzender Esterhazy Privatstiftung, Anm.) gewünscht, als er mich nach einem meiner Konzerte kontaktiert hat. Im ersten Jahr war es ein Risiko: Wie reagiert das Publikum? Ist so etwas überhaupt erwünscht? Es hat aber gleich fantastisch geklappt, viele, die zunächst eine Karte hatten, kauften sich während des Festivals weitere. Das wünsche ich mir langfristig: dass die Menschen das ganze Wochenende erleben möchten. Es wird nicht jedes Stück den Geschmack jeder Person treffen, aber innerhalb jedes Konzerts wird etwas für jeden Geschmack dabei sein.
Weil viele Genres vorkommen?
Genau. Ich kann eine Emotion beispielsweise klassisch oder jazzig ausdrücken. Unser Motto ist heuer „kompromisslos miteinander“. Kompromissbereitschaft ist sonst fantastisch, aber hier ist es wichtig, dass alle Künstler*innen authentisch das tun, wovon sie jeweils überzeugt sind. So gelangt man in die Tiefe, wo das Miteinander beginnen kann. Nehmen wir beispielsweise den Eröffnungsabend mit Lylit: Hätte ich Werke aus der Klassik gesucht, die Jazz und World Music streifen, wäre das ein Einheitsbrei geworden. Wir haben überlegt: Worum geht es in dem Song? Welche Emotion steckt dahinter? Daraufhin habe ich in der Klassik Werke mit gleicher Stärke gesucht: etwa von Ligeti, Schostakowitsch, Rachmaninow, Pärt.
Wie setzt ihr das auf der Bühne um?
Wir sitzen beide an unserem Flügel, Lylit spielt und singt Songs aus ihrem neuen Album, das sie im Herbst veröffentlicht, ich trete mit ihr mit klassischen Werken in den Dialog. Wir wechseln uns ab. Und wenn wir emotional am tiefsten Punkt sind, taucht die Musikerin Phoebe Violet mit ihrem Stück „Noches de insomnio“ auf.
Wow, spannend. Können wir noch ein Beispiel herauspicken?
Das Klangkollektiv Wien hat sich die Wiener Klassik in die DNA geschrieben. Es spielt ein Streichquartett von Beethoven in der Orchesterfassung. Die Emotion bei Beethoven ist das Kühne, Durchdringende – der Dialog wird mit zwei Klavierkonzerten aus dem 20. Jahrhundert stattfinden: mit einem Werk von Galina Ustvolskaja, einer Schülerin von Schostakowitsch, und einem des polnischen Komponisten Górecki.
Ihr wechselt auch die Locations, sogar ein Spaziergang im Schlosspark steht auf dem Programm …
Der Gitarrist Bryan Benner wird uns am Sonntag als Troubadour durch den Schlosspark begleiten. Zur Musik spätabends in der Bar hat mich das erste Jahr inspiriert: Ich habe gesehen, dass sich Gruppen von Festivalgästen gebildet haben.
Nach einem Konzert, das dich energetisiert, kann man nicht schlafen gehen, da braucht man ein Runterkommen. Am Freitag wird Phoebe Violet einige 20-Minuten-Sets bringen, dazwischen kann man plaudern, am Samstag haben wir „Crashkurs Filmmusik“ mit Pianist Florian C. Reithner. Er wird Stummfilme auf eine Leinwand projizieren und das Publikum kann auch mitmachen.
Konzerttickets unter 27 Jahren kosten 15 Euro, das finde ich toll …
Es gibt eine aktuelle Umfrage: Es haben noch nie so viele junge Leute klassische Musik konsumiert wie heute, aber sie gehen kaum ins Konzert. Also müssen wir dafür sorgen, dass die jungen Leute offene Türen vorfinden. Das sind oft Kleinigkeiten, wie etwa, dass man keine Angst haben muss, weil man nicht weiß, was man anziehen soll. Wir haben „KEYS TO HEAVEN-Socken! (lacht triumphierend) Wenn man die anhat, ist man schon dabei. Auf einem steht „kompromisslos“, auf dem anderen „miteinander“ drauf. Lange war Crossover in der klassischen Musik verpönt …




Keys To Heaven – piano Festival Schloss Esterházy
- 23. Mai,
19.30 Uhr, Haydnsaal: Lylit (1), Maria Radutu, Phoebe Violet (2)
22 Uhr, The Top, Hotel Galántha: Suspiros mit Phoebe Violet und Ignacio Giovanetti - 24. Mai
11 Uhr, Empiresaal: Abracadabra mit Beatrice Berrut
15 Uhr: Next Generation Project mit jungen Musiker*innen aus dem Burgenland
19.30 Uhr, Haydnsaal: Frank Dupree Trio (3)
22 Uhr, The Top, Hotel Galántha: Crashkurs Filmmusik - 25. Mai
11 Uhr, Haydnsaal: Klangkollektiv Wien (4) & Maria Radutu
15 Uhr, Schlosspark: Walk in the Park
18 Uhr, Haydnsaal: Haydn: Vom Trio zu den Erlkings
Tickets und Infos: www.pianofestival.at
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So habe ich es auch gelernt, aber irgendwann lehnt man sich dagegen auf. Viele wollen auch den „Frontalunterricht“ nicht mehr, seit Corona brodelt die Szene. Das „alte“ Konzept wird auch bleiben, aber es ist nicht alles, was man mit klassischer Musik machen kann. In München gibt es sogar einen eigenen Studiengang für Konzertdesign. Ich hatte den Vorteil, dass ich in meinen Soloformaten früh anfing, auf der Bühne über die Werke zu sprechen (auch im Podcast pianobox.online, Anm.). Auch bei „KEYS TO HEAVEN“ kann man sich darauf verlassen, dass man im Saal immer erfährt, was passieren wird.
Ich muss hoffentlich irgendwann nicht mehr fragen, aber bis heute ist eine künstlerische Leiterin nicht alltäglich. Wie empfindest du das?
Bei meinem Studium hieß es noch: Das Klavier ist ein zu großes Instrument für eine Frau. Es hat sich viel verändert, aber es gibt nach wie vor beispielsweise sehr wenige Chefdirigentinnen und Festivalleiterinnen.
Kürzlich hat jemand zu mir gesagt: „Tolles Programm, so frauenlastig!“ – Wir haben nicht einmal mehr als die Hälfte Frauen und trotzdem fällt es auf. Daran sieht man, wie ungleichberechtigt wir sozialisiert sind, dass man den Eindruck hat, es wären mehr Frauen, obwohl es nicht stimmt.
Okay, es eröffnen am Freitag drei Musikerinnen mit ziemlich markanten Locken (sie meint sich selbst, Lylit und Phoebe Violet, Anm.), aber am Samstag sind viele Männer auf der Bühne. Aber ich denke, dass die nächste Generation schon anders aufwächst und den Weg hoffentlich weitergeht.
Noch eine private Frage: Du hast kunstvolle schöne Tattoos, das erlebt man sehr selten bei klassischen Pianistinnen. Was steckt dahinter?
Ich habe die ersten vor fast 20 Jahren machen lassen, damals noch klein, versteckt auf der linken Seite, damit das Publikum es nicht sieht. Man hat mir auch gesagt, Pianist*innen dürfen nicht tätowiert sein. Mein Zugang ist: Der Körper verändert sich und ich habe ein Mitentscheidungsrecht, wie er sich verändern soll. Mittlerweile habe ich auch auf der rechten Seite Tattoos, jedes einzelne hat eine persönliche Bedeutung für mich.
Tickets und Infos: www.pianofestival.at
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