Siolence – Bilder der Befreiung
Sieben Frauen brachen ihr Schweigen und erzählten, wie sie Opfer von Gewalt wurden. Elfie Semotan fotografierte sie.
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Das Körperliche vergeht irgendwann, sagt Andreea. Und das, obwohl das Körperliche so schlimm war, dass die Ärztin im Spital sie gefragt hat: „Um Gottes Willen, ist der Mähdrescher über Sie drübergefahren?“
Sie ist der Ärztin dankbar. Sie hat sie gesehen, sie hat hin-gesehen, ihr Schweigen richtig gedeutet und Anzeige gegen ihren Partner erstattet. „Ohne sie hätte ich den Täter nicht preisgegeben. Ich hätte gesagt, dass ich die Stiegen runtergefallen bin.“ „Das Schlimmste ist, dass ich das Urvertrauen jedem Menschen gegenüber verloren habe. Es könnte kommen, wer will, er müsste bei null anfangen und sehr viel dafür tun, damit er irgendwie Teil meines Lebens werden kann.“ Einige Menschen aus ihrem alten Leben fehlen ihr. „Schmerzlich“, sagt Andreea. Ihre blauen Augen sind traurig und doch strahlen sie. Sie will nach vorne blicken, „nicht positiv und optimistisch, das wäre gelogen, aber ich versuche, sozial und beruflich mein Bestes zu tun“. Sie hat ein neues Leben begonnen. Zu diesem gehört ihre Beteiligung an „Siolence“, ein mutiger Schritt: Sie stellte sich dafür vor die Kamera der renommierten Fotografin Elfie Semotan, sie erzählte ihre Geschichte in ein Mikrofon, ließ sie aufzeichnen. Gemeinsam mit sechs weiteren Frauen, die ebenfalls Gewalt erlitten haben. In vielen Formen, in den eigenen vier Wänden. Sie brechen ihr Schweigen; ihre Bilder und Geschichten wandern im Rahmen der Ausstellung „Siolence“ durch Österreich – und sie können jederzeit online gesehen und gehört werden.
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Siolence – die Kampagne
Die Südburgenländerin Petra Werkovits ist vielseitige Kulturmanagerin; sie jongliert stets mehrere Projekte parallel. Mit nicht weniger Herzblut ist sie Soroptimistin. Als sie kürzlich Präsidentin von Soroptimist International Austria wurde, erklärte sie für ihre zweijährige Amtszeit den Gewaltschutz zum Hauptthema. „Nach den vielen Lockdowns, in denen die Menschen zusammengesperrt waren, hat die Gewalt zugenommen bzw. wurde sichtbarer. Das ist jetzt der richtige Moment, den Finger draufzuhalten.“
Möglichst echt sollten die Frauen und ihre Geschichten im Mittelpunkt einer noch nie dagewesenen Kampagne stehen. Es gelang ihr mit den Soroptimistinnen, Profis wie die Werbe- und Kreativagentur BBDO Wien, das Tonstudio Cosmix und die große Elfie Semotan ins Boot zu holen. Alle beteiligen sich ehrenamtlich und unentgeltlich.
Die Fotografin, die unter anderem eng mit Helmut Lang zusammenarbeitete, große Werbekampagnen fotografierte und viele Stars porträtierte, sagte sofort zu. Ohne zu zögern. Sie lebt heute in Jennersdorf, New York und Wien – dort durften wir sie gemeinsam mit Petra Werkovits zum Interview treffen.
© Ramona Hackl
© Ramona Hackl
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Wie haben Sie diese mutigen Frauen gefunden?
Petra Werkovits: Wir arbeiten mit unserem Club sehr aktiv im Gewaltschutz. Unter anderem finanzieren die Soroptimistinnen voll eingerichtete Übergangswohnungen für Frauen in Akutgewaltsituationen. Frauenberatungsstellen koordinieren, wer dort hinkommt, sie betreuen die Opfer auch professionell. Ich habe mich an sie gewendet und gefragt, ob es Frauen gibt, denen es ein Bedürfnis wäre, offen zu sprechen. Ja, es gibt sie. Ich durfte einige Frauen treffen und ihnen erklären, was wir vorhaben; sieben wollten dabei sein. Einige von ihnen haben das erste Mal ihr Schweigen gebrochen und ihre Geschichten erzählt.
Wie haben Sie die Frauen erlebt?
Elfie Semotan: Sie konnten erstaunlich gut darüber sprechen, was ihnen passiert ist. Ich hatte das Gefühl, dass diese Möglichkeit ihnen auch geholfen hat. Es verstärkt ihr Bewusstsein dafür: Diese Dinge sind mir passiert, das hat nichts mit meiner Person zu tun.
Man erwartet, ohne sich das bewusst zu machen, einen bestimmten Typ von Frau, vielleicht eine eher eingeschüchterte. Aber keine war das. Es ist verrückt, was alles passiert und welchen Frauen es passiert. Sie alle haben mich sehr berührt, jede einzelne ist großartig. Wir haben ein gewisses Image im Kopf, aber jede Frau kann betroffen sein.
Petra Werkovits: Kürzlich wurden Femizide der letzten Jahre in einer Studie analysiert, das Ergebnis: Erstens sitzen die Täter zum Großteil zu Hause, zweitens sind Femizide zumeist die Spitze des Eisbergs, oft gehen dem lange Gewaltgeschichten voraus. Vielfach haben die Frauen geschwiegen.
Nicht die Opfer, die Täter müssen sich schämen.
Petra Werkovits
Elfie Semotan: Ich glaube, die Gewalt gegen Frauen ist nur ein Aspekt der Situation, in der sich Frauen noch immer befinden. Wir müssten uns endlich entschließen zu sagen: Frauen sind gleich viel wert wie Männer; sie verdienen genauso viel, werden genauso respektiert. Das wäre der erste Schritt, der getan werden muss. Wer verhindert das?
Es gibt in Österreich die Initiative, dass Männer ihre Pension teilen können, wenn sie höher ist als die der Frau (Pensionssplitting, Anm.). Das ist eine großartige Idee, aber die Frauen müssen dafür sozusagen die Männer bitten: Geh Mausi, teilst du mit mir? – Viele Männer tun das nicht. Das kann doch nicht sein, dass man Dinge macht, die weiterhin die Position der Frauen schwächen. Entweder es wird verordnet oder nicht.
Petra Werkovits: Frauen verdienen weniger, haben weniger Pension, sie werden kleingehalten. Es muss sich strukturell etwas ändern, da ist die Politik gefragt. Aber auch wir Frauen müssen uns an der Nase nehmen. Wir erziehen die Kinder – auch Söhne, die etwas verändern können.
Was denken Sie, was brauchen Frauen, damit sie den Schritt aus Gewaltbeziehungen machen können?
Elfie Semotan: Ein Netz. Sie gehen mit äußerster Anstrengung weg, sie müssen wissen, dass sie nicht ins Bodenlose fallen, sondern Hilfe kriegen.
Petra Werkovits: Wenn Frauen in dieser Situation nicht von Fachleuten betreut werden, gehen sie oft zurück, dann wird es schlimmer. Viele Frauen sind überwältigt, welche Hilfsbereitschaft ihnen entgegengebracht wird, und überrascht, welche Möglichkeiten es gibt. Es ist wichtig, dass wir weiter informieren.
Sie alle sind großartige Frauen. Sie entsprechen nicht dem Bild, das man sich macht.
Elfie Semotan
Haben Sie mit den Frauen besprochen, wie die Bilder aussehen sollen?
Elfie Semotan: Nicht wirklich. Wichtig sind die Beziehung und das Gespräch. Ich beschäftige mich mit den Menschen und respektiere sie, das ist die Basis. Die Frauen haben verstanden, dass nichts passiert, was sie nicht möchten. Ich wollte sie authentisch in ihrer Verletzlichkeit zeigen.
Petra Werkovits: Es sind keine Wunden und blauen Flecken zu sehen, sondern die emotionale Ebene.
Elfie Semotan: Blut zu zeigen, ist eine sehr männliche Sicht. Wir thematisieren Gewalt anders, weil wir wissen, dass es nicht immer das Blut ist. Es ist auch die tägliche Demütigung, die allem vorausgeht.
Petra Werkovits: Und das Nicht-darüber-Sprechen. Die Stille, die innere Anspannung. Wir haben für die Kampagne einen neuen Begriff als Titel gewählt. Er setzt sich aus silence und violence zusammen: „Siolence“ steht für das Schweigen der Gesellschaft zu Gewalt an Frauen. Sie macht sich mitschuldig, indem sie schweigt. Wenn der Nachbar die Frau schlägt, geht uns das was an. Das ist eine Menschenrechtsverletzung, es ist unsere Pflicht, uns einzumischen.
Wie hat Sie diese Zusammenarbeit geprägt?
Petra Werkovits: Ich bin beeindruckt, welchen Mut die Frauen bewiesen haben. Uns wurde einmal mehr bewusst, wie vielfältig Gewalt sein kann und dass es oftmals schleichende Prozesse sind, die bewirken, dass Gewalt als „normal“ hingenommen wird. Das ganze Spektrum ist vorhanden: körperliche, sexualisierte, psychische Gewalt, jede Geschichte ist einzigartig und sollte gehört werden.
Frauen schämen sich für die Gewalt, die ihnen passiert. Männer reißen bis heute rustikale Witze darüber: „Die hat ein blaues Auge, weil die Suppe nicht warm genug war.“
Umso klarer sage ich: Hören wir zu, brechen wir das Schweigen. Nicht die Opfer, die Täter müssen sich schämen.
Atmen Sie durch und nehmen Sie sich Zeit dafür:
(Auf der Website finden Sie auch Ausstellungstermine)