
Die vielen Leben der Patricia Aulitzky
Was die Schauspielerin Patricia Aulitzky ins Burgenland bringt, erzählt sie im Interview.
© Vanessa Hartmann
Im Tiroler Landkrimi ist sie Ermittlerin Lisa Kuen, auf die Bühne bringt sie gerne Themen, die bewegen. Abseits davon ist Patricia Aulitzky Mama und Wildcamperin.
Aus ihren Kopfhörern kommt Entspannungsmusik, verrät sie später, und auf den Kuchen freut sie sich schon den ganzen Tag, lacht Patricia Aulitzky, während sie vor der Vitrine des Cafés gustiert. Sie kommt gerade aus Deutschland, hat vor dem Interview ihre Tasche daheim abgestellt, die Woche hat noch viel zu bieten: Vorbereitung auf eine neue TV-Hauptrolle und eine große Premiere mit dem Trio Frühstück im Wiener Musikverein.
„The Rise and Fall of a Wild Flower“ ist weit mehr als ein Konzert mit Lesung: Der Abend bietet überraschende Performance, in die sich die Schauspielerin voller Hingabe hineinwirft. „Lieben denkt die andere Person in Freiheit“, zitiert sie etwa Marlene Streeruwitz. Das Publikum ist begeistert.
Sie war 2008 Jacky an Falcos Seite (mit Manuel Rubey), eine lange Liste an Film- und TV-Rollen folgte, die Hebamme „Lena Lorenz“, die sie trotz großen Erfolgs nach Jahren hinter sich ließ, um Neues zu wagen, war eine davon. Sie mag Projekte, die ordentlich aufwühlen, die etwas bewegen. Wie zuletzt der preisgekrönte Film „Wir haben einen Deal“, in dem es um Missbrauch im Sport geht.

Mit Clara Frühstück, der herausragenden Pianistin und Performancekünstlerin aus Horitschon, kommt Patricia Aulitzky im Mai nach Eisenstadt: mit einem Stück über den Holocaust, dessen Er- und Aufarbeitung sie viel Substanz kostete und „das auch alle Schulklassen ab 14 sehen sollten“, sagt sie.
Ich habe „Nachschrift“ im Wiener Theater Nestroyhof Hamakom erlebt, es ließ mich lange nicht los. Ihr habt das Stück mehrmals erfolgreich gespielt und bringt es erstmals ins Burgenland. Wie beschreibst du es?
Patricia Aulitzky: Heimrad Bäcker fand, dass man das Grauen und Schrecken der Nazis nicht interpretieren kann, dass man einfach ihre Listen, Schriften, Aufzählungen, Sprache stehen lassen muss. Der Autor verarbeitete das in konkreter Poesie und Regisseur Bernd Liepold-Mosser schafft uns einen Rahmen, in dem wir gemeinsam ein Stück kreieren.
Ich nehme an die sieben verschiedene Figuren ein: Täter, Opfer, Mitläufer … Man kann sich nicht genug mit dem Holocaust beschäftigen, weil es erschreckend ist, wie nahe wir heute an dieser grauenhaften Zeit sind. Worte, die teilweise die Nazis verwendeten, werden wieder salonfähig.
Wie ging es dir mit dem Inhalt?
Ich spiele es gerne, weil es wichtig ist. Aber ich habe nach den ersten Vorstellungen lange gebraucht, um mich zu erholen. Wenn man viel recherchiert und sich acht Stunden am Tag im Probenkeller mit Massenmorden beschäftigt, geht das nicht spurlos an einem vorbei. Die Bilder und Geschichten haben sich in mir eingebrannt. Ich wollte den Menschen eine Stimme verleihen, aber es kam auch irgendwann das Gefühl: Seelen, ihr könnt mich jetzt wieder verlassen.
Normalerweise gehe ich in die Natur, um meine Batterien wieder zu laden, diesmal konnte ich nicht irgendwo allein sein. Aber zu Hause mit der Familie so zu tun, als wäre nichts, ging auch nicht. Ich bin nach London gefahren, weil ich gerne in einer Stadt bin, wo es so viele multikulturelle Geschichten und Menschen gibt. Ich war in Galerien, im Theater, in einem Jazzclub und hatte das Gefühl, in der Kunst dort den Gegenpol zum „Bösen“ zu finden, den „Beweis“, dass der Mensch auch viel Schönes und Gutes schaffen kann.

Es kann auch mal krachen, wichtig ist mir als Mutter ein geborgener Umgang.
Patricia Aulitzky, Schauspielerin
Das Reisen ist ein wichtiges Thema in deinem Leben …
Ich bezeichne mich als moderne Nomadin, auch meine Familie ist international verstreut: in Australien, Venezuela und Afrika. Andere haben sich irgendwann ein Auto gekauft, ich bin immer lieber verreist. Darum habe ich auch leider nichts gespart (lacht).
So bist du reich an Eindrücken. Wo ist aktuell dein Lebensmittelpunkt?
Lange waren es Berlin und Wien, jetzt wird es mehr Wien. Mein Sohn kommt in die Schule, ich mache mir ein bisschen Sorgen, wie wir alles organisieren werden. Letztes Jahr habe ich beispielsweise an 21 Tagen den Tiroler Landkrimi gedreht, zu seinem Geburtstag habe ich ihn zu mir geholt, so etwas wird in Zukunft schwieriger.
Wie vereinbarst du Beruf und Muttersein? – Die Frage ist oft verpönt, ich finde, wichtig wäre es nur, sie auch Männern zu stellen.
Ja! Männern sollte man sie allein schon stellen, um das Bewusstsein dafür zu schärfen – und am besten mit Kamera, damit man sieht, wie sie reagieren. Wie ich es vereinbare? Manchmal leichter, manchmal weniger leicht. Recht viel Geld, das ich verdiene, geht in die Kinderbetreuung. Nichtsdestotrotz sollte es der Frau überlassen sein, wie sehr sie sich der beruflichen Herausforderung stellen will oder nicht. Es darf nicht heißen, „die kriegt ein Kind, die fragen wir jetzt nicht mehr“.
Wie geht es dir mit dem Thema emotional?
Das schlechte Gewissen kommt ein bisschen mit den Phasen des Kindes. Wenn ich länger als eine Woche am Stück weg bin, nimmt er mir das übel. Ich fühle mich manchmal schlecht, denke mir aber trotzdem: Wie viele Väter sind wochenlang nicht da oder kommen nur zum Wochenende? Wichtig ist auch: Wie „verkauft“ das der Partner? Ist es ganz normal, dass die Mami arbeiten ist – oder heißt es: „Du Armer, jetzt ist die Mami wieder nicht da.“



Was liegt dir bei der Erziehung deines Sohnes am Herzen?
Puh, große Frage. – Teilweise sind es traditionelle Werte, wie Höflichkeit und Hilfsbereitschaft, dass man keine Gewalt anwendet und Grenzen respektiert. Dass es ein Miteinander geben muss und nicht nur ein Ich, aber dass man auch ein Recht auf ein Ich hat, und zwar unabhängig vom Alter. Es kann auch mal krachen, aber wichtig ist mir vor allem ein liebevoller, geborgener, respektvoller Umgang.
… und offenbar Weltoffenheit – ihr seid auch zusammen gerne unterwegs.
Ja, am liebsten irgendwo mit unserem alten VW-Syncro-Pritschenwagen, da haben wir ein Dachzelt drauf.
Fürs Wildcampen bin ich leider zu feig. Bist du da angstfrei?
Ja, ich war schon mit 16 Horse Wrangler in Kanada und habe monatelang ohne Strom und fließendes Wasser mit Pferden in der Natur gearbeitet.
Meine Große wird 16, das ist für mich gerade unvorstellbar.
Meine Mutter ist im Kongo aufgewachsen, sie hat solche Dinge ganz anders erlebt. Als ich das erste Mal nach Kanada bin, habe ich lange vergessen, mich zu melden, dass ich gut angekommen bin. Wenn ich daran denke, dass sich mein Sohn am anderen Ende der Welt zwei Wochen nicht meldet, bekomme ich Panikattacken (lacht). Meine Mutter hat früher gesagt: „No news is good news.“
Du hast kürzlich den dritten Tiroler Landkrimi mit Mirjam Unger gedreht, den zweiten – „Der Tote in der Schlucht“ – gibt’s noch auf ORF ON. Wie kam Ermittlerin Lisa zu dir?
Ich bin halb in Salzburg, halb in Tirol aufgewachsen. Eva Testor ist selbst Tirolerin, eine tolle Kamerafrau – und Drehbuchautorin. Sie hatte mich schon beim Schreiben ein bisschen im Kopf. Die Rolle Lisa Kuen ist etwas schroff, wie die Berge, aber sie hat einen weichen Kern. Ich mag sie, weil sie so unkonventionell ist – und sportlich. Sie ist Bergläuferin und – so viel darf ich spoilern – sie geht im nächsten Teil als Boxerin undercover.

Ein spannendes Serienprojekt, das im Herbst 2025 kommen soll, ist „Hundertdreizehn“. Worum geht’s?
Laut einer Untersuchung sind es statistisch jeweils 113 Menschen, deren Leben sich nach einem Verkehrsunfall mit einem Toten nachhaltig verändert.
In dieser Story kommt es zu einem Busunfall mit vielen Verletzten, der Fahrer stirbt. Als es um dessen Identifikation geht, melden sich zwei Frauen, die sagen, „das ist mein Mann“ – die eine spiele ich. In jeder Folge wird der Fokus auf jeweils andere Personen gelegt und die Geschichten verweben sich immer mehr – sehr spannend.

Du machst gerne Musik, aber ich hab keine Veröffentlichung gefunden. Habe ich etwas übersehen?
Nein, es muss noch reifen. Ich suche auch nach den Menschen, die mit mir auf einer Wellenlänge das machen, wohin ich gerne möchte: elektronische Musik mit deutschen und englischen Texten. Aber ich stresse mich nicht mehr. Ich bin Mama und drehe viel, ich will Musik machen und schreibe auch an einem Filmprojekt. Ich bräuchte drei Leben für all das, was ich machen möchte. Aber ich habe gelernt: Der Weg ist auch das Ziel.
Nachschrift
Heimrad Bäckers „Nachschrift“ gilt als eine der radikalsten Auseinandersetzungen mit dem Holocaust in der Literatur. Pianistin und Performancekünstlerin Clara Frühstück und Schauspielerin Patricia Aulitzky machten unter der Regie von Bernd Liepold-Mosser ein Bühnenstück daraus, das nach erfolgreichen Aufführungen erstmals ins Burgenland kommt (27. Mai, 19.30 Uhr, Kultur Kongress Zentrum Eisenstadt). Im Rahmen der Reihe „Positionen. Theater der Gegenwart“, eine Veranstaltung der Kultur Betriebe Burgenland, ist der Eintritt unter 27 Jahren frei.
Anmeldung erforderlich:
Tel.: 02682/719-1000 oder
eisenstadt@kulturzentren.at
(Erwachsene: € 20,–)