
Clara Heinrich: Wie sie abbog, Autorin und Gärtnerin wurde
Clara Heinrich schrieb ein bemerkenswertes Buch namens „Pusztagold“, pflegt ihre Golser Marktgärtnerei – und ihren schwer erkrankten Freund.
© Benjamin Helm
Noch nie zuvor habe ich jemanden mit so viel Liebe und Demut über Kohl reden gehört wie Clara Heinrich.
Magst kosten?“, fragt Clara Heinrich und hält mir mit strahlenden Augen ein grünes Blatt entgegen, das sie soeben von einem der üppigen Kohlköpfe vor unseren Füßen gepflückt hat. Es flattert ein bisschen im Wind, umso überraschender ist die knackige Konsistenz, als ich hineinbeiße und das mild würzige Blatt hasenlike verputze. „Ich habe das Saatgut von einer Freundin geschenkt bekommen, das ist vorerst ein Versuch und noch nicht zum Verkauf gedacht“, verrät sie.
Verkommen wird die besondere Kohlsorte aber nicht, oft kocht Clara drei Mal am Tag aus den Köstlichkeiten, die ihre Golser Marktgärtnerei namens „Clarence Gärten“ hergibt.
Landwirtin und Gärtnerin – das ist eine der Rollen, in die die junge Frau seit gut vier Jahren schlüpft. Und zwar so erfolgreich, dass sie nicht nur Privatpersonen mit ihren Gemüsekisterln versorgt, sondern ebenso arrivierte Gastronomen wie Max Stiegl und sein „Gut Purbach“. Clara Heinrich arbeitet auch im Familienbetrieb Weingut Heinrich mit – und sie ist Autorin, die diesen September mit „Pusztagold“ (AKI Verlag) ein besonderes Werk vorlegt.
Dabei verwebt sie durchdacht elegant ihre Geschichten und Dialoge mit Stimmen internationaler Autorenkolleg*innen – aus (Natur-)Wissenschaft, Philosophie und Literatur. Und nicht zuletzt ist Clara Heinrich umsorgende Partnerin und Pflegende eines jungen Mannes, der mit 26 an einer folgenschweren Krankheit erkrankte.

Sprachkunst entdeckt
Du hast Politikwissenschaft studiert und wolltest Journalistin werden, wie bist du abgebogen?
Clara Heinrich: Ich war unter anderem Praktikantin bei der TAZ in Berlin – und sobald die Zeitung in Druck war, habe ich Gedichte und Kurzgeschichten geschrieben. Ich dachte lang, die Literatur ist nichts für mich, dass mir diese Ästhetik nicht liegt, weil ich gern faktenbasiert schreibe. Tatsächlich habe ich dort aber das Schema der Berichte gesprengt, weil ich immer etwas Spielerisches reingebracht habe (lacht). Ein Kollege hat mir dann erzählt, dass es Sprachkunst als Studium gibt.
… und es ging eine neue Tür auf.
Ja, das perfekte Studium für mich. Mein Freund, mit dem ich in Berlin gewohnt habe, und ich kamen während Covid nach Österreich zurück, und ich habe an die Politikwissenschaft noch Sprachkunst an der „Angewandten“ angehängt. Das war ein Traum!
Dein literarisches Debüt „Pusztagold“ wird gerade gedruckt, ich durfte vorab einen genussvollen Blick hineinwerfen. Worum geht es für dich?
Im Herzen von „Pusztagold“ ist der Begriff Care: Was bedeutet er und wie wird Sorge praktiziert? Das übersetzt sich in verschiedene Bereiche: den Garten, die Landschaft, den Klimawandel, das private Leben, den Körper – und den Partner, der erkrankt ist. Die Sorge ist für mich zentral, mein Ankerpunkt, der für mich immer alles zusammengehalten hat. Das ist mein Blickwinkel, der Rahmen, mit dem ich mir die Dinge anschaue und erforsche.



Aufwachsen
Wir stehen inmitten deines Reiches aus Gemüse, Kräutern, Obst und Blüten. Welcher Weg führte zu „Clarence Gärten“?
Meine Geschwister und ich waren als Kinder natürlich viel im Weingarten, meine Oma sagt, dass ich schon damals sehr gartenbegeistert war. Meine Eltern haben Anfang der 2000er begonnen, auf biodynamischen Anbau umzustellen; wir haben später Schafe, Hühner, Gänse dazubekommen. All das und auch Fragen des Klimawandels, der hier immer deutlicher spürbar wurde, haben mein Aufwachsen geprägt. Wie will man weitermachen? Was kann man positiv beitragen? – Diese Dinge wurden bei uns viel diskutiert.
In der Pubertät habe ich mich für eine Zeit von all dem entfernt. Aber als mein Freund erkrankt ist, sind wir 2021 gemeinsam nach Gols gezogen.
Darf ich fragen: Wie lautet seine Diagnose?
Er hat ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis, Anm.), also das Chronische Fatigue-Syndrom. Er wurde zuerst arbeitsunfähig und später pflegebedürftig (weitere wertvolle Informationen unter: mecfs.at, Anm.).
Hängt die Krankheit mit Covid zusammen? Wie zeigt sie sich?
Zeitlich ja, aber es dürfte schon früher von einem anderen Virus ausgelöst worden sein. Er kann seit zwei Jahren das Bett nicht verlassen, hat Schmerzen, jede Belastung macht es schlimmer. Wir haben nach einer Möglichkeit gesucht, damit ich trotzdem eine gewisse Bewegungsfreiheit habe und einen Job machen kann.
Mit der Krankheit sind viele Nahrungsunverträglichkeiten aufgetreten; wir haben uns viele Permakultur-Videos angeschaut und direkt begonnen, im Hausgarten Gemüse anzubauen. Wir haben uns für Wintergemüse begeistert und noch im ersten Sommer angefangen, da konnte er auch noch rausgehen.
Gute Überraschungen
Learning by Doing?
Ja, ich hatte kaum praktisches Wissen, trotzdem ist zu meiner Überraschung gleich viel gelungen. Dabei bin ich ein Schreibtischmensch und lese gerne auf der Couch ein Buch (lacht). – Die guten Produkte liegen an einer Kombination aus mehreren Faktoren: Ich bekomme guten Kompost vom Weingut, ich wähle das Saatgut sorgfältig aus und die Jungpflanzen werden bei mir großgezogen.

Ich glaube, es gibt viel altes Wissen und viele alte Sorten, die uns für die Zukunft wappnen können.
Clara Heinrich,
Autorin und Landwirtin
Ihr habt viele Kohlsorten – von lilafarbenen bis hin zu Flower Sprouts. Warum diese Begeisterung?
Wir haben mit Kohl begonnen – und zwar mit vielen, von denen ich recherchieren konnte, dass sie mit Hitze und Trockenheit umgehen können. Er ist ein Ganzjahresgemüse, ich finde es toll, immer Frisches ernten zu können; wir haben im Winter auch Lauch, Karotten, Rucola, Rettich.
Ich experimentiere gerne mit Neuem, gleichzeitig interessieren mich altes Wissen und Sorten, die teilweise schon verloren gegangen sind. Ich glaube, es gibt einige Sachen, die uns für die Zukunft mit extremen Wetterbedingungen wappnen können.
Du belieferst Lokale, wie kommt man privat zu deinem Gemüse?
Ich biete eine feine kleine Anzahl an Gemüsekisterln an, die sich die Menschen direkt bei mir abholen. Ich finde es schön, dass sie sehen, wie alles wächst, und auf diese Weise bin ich auch in der Nähe von meinem Freund.



Mutig gegen Stigmata
Wie geht es ihm?
Minimal besser, er kann sich selber Zähne putzen und sich die Kraft so einteilen, dass er selbst auf die Toilette gehen kann, das ist eine Erleichterung.
Wäre es dir lieber, wenn ich nicht so viele Fragen dazu stelle?
Nein, es ist okay, wir wollen auch Aufklärung leisten, weil ME/CFS eine extrem stigmatisierte Erkrankung ist. Das war auch mit ein Grund, warum ich „Pusztagold“ geschrieben habe. Wir haben auch Dinge erlebt, Begegnungen mit Ärzt*innen, die nicht sein hätten müssen.
Die Krankheit ist noch immer nicht entsprechend anerkannt. Leider gab es lange einen Trend, ME/CFS zu „psychologisieren“; manche sagten: „Du musst nur joggen gehen.“ – Mein Freund kann nicht einmal stehen, das zweite Stockwerk konnte er seit zwei Jahren nicht verlassen. Wir hoffen sehr, dass sich jetzt mehr in der Forschung tut, weil es durch Covid viele Betroffene gibt.
Wie lebt ihr mit der Krankheit?
Wir haben mit der Zeit Strategien gefunden, damit umzugehen. Man kann sich an schönen Dingen festhalten. Wir freuen uns über ein frisches Brot, das uns zum Beispiel heute meine Eltern mitgebracht haben. Es gibt die Freude bei Filmen, bei Büchern – und wenn man räumlich so eingeschränkt ist, bekommen Details wie ein schöner Pyjama mehr Gewicht. Eine Vielfalt gibt es in dem, was ich anbaue und was wir essen. Wenn man den ganzen Tag nichts tun kann, wird ein gutes Mittagessen, das wir uns teilen, ungleich wichtiger.

BUCHTIPP.
Clara Heinrichs „Pusztagold“ erscheint am 16. September im AKI Verlag.
Mit Raoul Eisele und Konstantin Schmidtbauer kuratiert sie die Lesereihe „Am Satzberg“ in „Clarence Gärten“ in Gols.
Die nächsten Termine: 23. August, 17 Uhr und 5. Oktober, 11 Uhr.
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