Alzheimer: Hände halten ein Gehirn mit Puzzle-Papierschnitt, Autismus-, Demenz-, Epilepsie- und Alzheimer-Bewusstsein, Anfallsleiden, Welt-Mentalgesundheitstag-Konzept

Alzheimer: Liebe bleibt, auch wenn der Mensch geht

Ella Brötzmann pflegt seit Jahren ihren an Alzheimer erkrankten Mann.

5 Min.

© Shutterstock

Alzheimer – zwischen Abschied in Zeitlupe, tiefem Schmerz und kleinen Lichtblicken kämpft Ella Brötzmann um Würde, Nähe – und Hoffnung.

Alzheimer: Selfie von einem älteren Ehepaar
Er ist die Liebe ihres Lebens, umso schwerer fällt es, zu akzeptieren, dass die Demenz ihn von ihr fortträgt. © beigestellt

Als bei Tom mit 60 die Diagnose Alzheimer gestellt wurde, ahnte seine Frau Ella Brötzmann, was auf sie zukommen würde. Sie hatte beruflich bereits mit Demenzkranken ge­arbeitet. Doch die Realität, den eigenen ­Lebensmenschen Stück für Stück zu verlieren, traf sie unvorbereitet. „Ich wusste, dass dieser Tag kommen kann. Aber wenn der Moment da ist, fühlt es sich an, als würde dir der Boden unter den Füßen weggezogen.“

Zwischen Lachen und Abschied

Tom, einst leitender Beamter, belesen, eloquent, Mittelpunkt jeder Gesellschaft, wollte nach seiner Pensionierung mit Ella in ihre Heimat ins Burgenland ziehen. Die Frühpensionierung mit 60 traf ihn zwar, aber dennoch blieb ihm so ein Absägen seines Postens und die Verfrachtung in ein Hinterzimmer mit weniger bedeutender Arbeit erspart.

Anfangs sah es nach einem unbeschwerten Ruhestand aus, Ella und Tom reisten viel, erkundeten ihre neue Heimat, doch nach ein paar Jahren begann ein Kampf gegen das Vergessen. Die Krankheit nahm ihm Schritt für Schritt Fähigkeiten, Sprache, Orientierung – und schließlich auch die Erinnerung an seine Frau.

Der Verlust begann in vielen winzigen Momenten. Als Tom sie eines Tages ansah und fragte: „Wer bist du überhaupt?“, musste Ella den Raum verlassen. „Ich konnte nur noch weinen.“ Später kam der Humor dazu, um die Härte abzufedern. Wenn er fragte: „Wo ist meine Frau?“, winkte sie lachend: „Hier bin ich, stets zu Diensten.“ Doch zwischen diesen Lachern liegen tiefe Täler der Einsamkeit.

Heute kann Tom kaum noch sprechen, obwohl er sich manchmal an Tischgesprächen mit anderen beteiligen möchte und etwas zum Ausdruck bringen will, doch die Frustration darüber, dass er von anderen nicht verstanden wird, lässt ihn wieder in sich zusammenfallen.

Alzheimer: Eine weißhaarige Dame sitzt gestikulierend in einem Garten an einem Tisch
Ella Broetzmann © Viktor Fertsak

Demenz braucht mehr Öffentlichkeit. Dann verliert die Krankheit ihren Schrecken.

Ella Brötzmann

Die körperliche Pflege ist belastend, doch was viele nicht sehen, ist die emotionale Wucht. „Tom ist die größte Liebe meines Lebens. Und jetzt pflege ich ihn, kümmere mich um alles und muss parallel Abschied nehmen – von ihm als Person, von unserer Beziehung. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin schon verwitwet.“ Seit drei Monaten hilft eine 24-Stunden-Pflege, doch Entscheidungen, Verantwortung und die ständige Sorge bleiben bei Ella.

Es gibt Momente, die Hoffnung bringen – ein Aufblitzen in seinen Augen, das zeigt, dass Tom etwas versteht. Da sind einerseits Geburtstage, deren Bedeutung er nicht mehr einordnen kann, Kerzen, die ihn ängstigen – und andererseits das Stück Torte, das er genüsslich isst. Und über allem schwebt die Aussage der Ärzt*innen damals, als es hieß, die Lebenserwartung mit dieser Form von Demenz seien rund zehn Jahre. Und das ist nun zehn Jahre her.

Alzheimer – das neue Krebs

Schmerzhaft sind nicht nur die Fortschritte der Krankheit, sondern auch der Rückzug anderer. Freunde, die sich abwenden, Familienmitglieder, die sich nicht mehr melden, Nachbarn, die stumm bleiben oder aus sicherer Entfernung den Verfall betrachten und darüber tuscheln.

„Demenz ist das neue Krebs – man spricht nicht darüber“, sagt Ella. Dabei wäre Sichtbarkeit so wichtig, ebenso wie Begegnung – das erzeugt Normalität. „Je mehr an Demenz erkrankte Personen man in der Öffentlichkeit sieht, desto mehr verliert die Krankheit an Schrecken.“

Ihre Botschaft an andere Pflegende: Hilfe annehmen, laut sagen, was man braucht, sich Auszeiten nehmen. Und: nichts vertuschen. „Tom entwickelte eine Hinlauftendenz. Viele glauben ja, demente Menschen wollen weglaufen, das stimmt nicht. Sie wollen immer irgendwo hin: nach Hause, zur Arbeit etc.

Ich habe damals, als er noch selbstständig gehen konnte und diese Tendenz entwickelte, allen in der Nachbarschaft meine Nummer gegeben. Wenn sie Tom alleine sehen, sollen sie mich anrufen. Öffentlichkeit ist wichtig.“

Loslassen

Trotz allem hat Ella gelernt, Momente zu genießen, loszulassen, wenn das Haus nicht perfekt aufgeräumt ist, und sich kleine Freiräume zu schaffen. Die Theologin ohne Kirchenbindung findet Trost in der Vorstellung, dass die Beziehung zu Tom auf einer anderen Ebene weitergeht.

„Für mich ist er hier nicht mehr da, aber er ist nicht weg. Manchmal höre ich seine Stimme sagen: ‚Schau, was alles gut ist. Wo wäre ich, wenn du nicht da wärst?‘“
Die Krankheit zwingt sie, an eine Zukunft ohne ihn zu denken. Das ist schwer – manchmal schwerer als der Blick in die Vergangenheit. Doch aus den Brüchen ihres Lebens hat sie die Gewissheit gewonnen, dass nach jedem Tief ein Auf kommt.

Ella weiß: Sie und Tom haben sich damals vor 24 Jahren nicht zufällig getroffen. „Das ist unsere Aufgabe. Und die nehme ich an.“ Zwischen Abschiedsschmerz und Alltagskämpfen bleibt ihre Liebe – und die Hoffnung, dass die Gesellschaft lernt, Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen nicht alleinzu­lassen.

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