Vulva: Performancekostüm komplett sichtbar – Eine Frau lehnt an einer pinken Wand, sie trägt ein großes, pink-weißes Kostüm in ovaler Form, welches aussieht wie eine Vulva.

Wunderwerk Vulva

Über Mythen und Fakten rund um das schöne weibliche Genital.

8 Min.

Antonia Stadler © Jasmin Schuller

„Love your lips“, singt die Electronic-­Pop-Künstlerin Nina Braith, auch bekannt als INANA oder Miss Clit. Richtig kombiniert: Sie besingt hier nicht die Lippen im Gesicht. In der pulsierenden Hymne schwingt auch fundierte Gesellschaftskritik: Vulva-Lippen gehören mittlerweile zu den häufigsten Schönheitskorrekturen, schickt sie voraus. Dabei stellt sich die Frage: Wie soll denn eine „ideale“ Vulva überhaupt aussehen? Und viel wichtiger: Was kann die Vulva – und was wissen wir alles nicht über sie? Nachfolgend rücken wir sie mit drei Frauen ins Rampenlicht, die sich der Vulva sozusagen beruflich widmen.

Das da unten

Wir treffen Antonia Stabinger, die demnächst für ihre Performance als – bitte laut lesen – „Clit Doris“ mit dem Österreichischen Kabarettpreis 2025 ausgezeichnet wird. Mit ihrem Programm „Angenehm“ leistet sie köstliche feministische Aufklärungsarbeit. „Ältere Generationen kennen mich als ,Das da unten‘“, flüstert sie verkleidet als Vulva auf der Bühne, „oder als (laut) ,Pfui, da greifst jetzt aber nicht hin!‘.“ Sie selbst habe im Zuge der Recherche viel Neues gelernt, sagt sie. Schließlich sei die Klitoris bis vor wenigen Jahren sogar in Schulbüchern nicht vollständig abgebildet worden. „Gezeigt wurde nur die Spitze. Dabei haben wir eh alles, aber halt gut aufgeräumt innen.“

Ihr Aufklärungsengagement startete sie via Social Media, „da brauchen die Leute in der ersten Sekunde etwas Packendes“. Ein Kostüm musste her, „Penisse findet man sehr viele, aber ein Vulva-Kostüm habe ich lang gesucht und dabei seltsame Sachen entdeckt. Man lernt viel, wenn man Vulva-Kostüm ins Suchfeld eingibt.“
Ihre Plüsch-Vulva sollte ursprünglich eine Übergangslösung sein, sie wollte sich später ein multifunktionales Geschlechtsteil nähen lassen.

Die Schneiderin war begeistert: „,Das wäre mein Traum‘, hat sie gesagt. ,Was soll sie können: Menstruieren? Squirten? (weibliche Ejakulation, Anm.) – Ich habe aber gemerkt, dass ich die Funktionen zunächst gar nicht brauche, vielleicht in einem nächsten Programm“, lacht Antonia Stabinger. Vor gut zwei Jahren wagte sie mit „Clit Doris“ den ersten Zehnminüter auf der Bühne. Das TikTok-Video daraus erreichte eine Million Views – und war der Grundstein für ihre Solokarriere mit „Angenehm“.

Vulva: Performancekostüm rosa – Eine Frau steht hinter einer pinken Säule, sie trägt ein großes, ovales Kostüm in Rosa und Pink, dass aussieht wie eine Vulva
Antonia Stabinger, Kabarettistin © Jasmin Schuller

Die Klitoris ist das einzige Organ des menschlichen Körpers, das ausschließlich für die Lust da ist.

Antonia Stabinger, Kabarettistin (das Zitat ist aber kein Schmäh!)

Wir dürfen ein bisschen spoilern: Zu ihren Lieblingsfakten gehört etwa, „dass die Klitoris in der ganzen Menschheit das einzige Organ ist, das ausschließlich für die Lust da ist“. Oder dass man seit 2.000 Jahren weiß, dass es sie gibt, und schon vor 400 Jahren wusste, wie sie als Ganzes aussieht, und das bis zuletzt quasi unterschlug. Auch fesselnd: „Die Klitoris besteht aus den gleichen Teilen wie der Penis, die Schwellkörper liegen zum Großteil eben innen – und eine Morgenerektion und Erektionen in der Nacht gibt es auch bei Frauen.“

Ob sie je Scheu davor hatte, im Vulva-Kostüm auf die Bühne zu gehen? „Nein, sobald ich es anhabe, ist es nur Freude.“ Und die Zeit ist offenbar reif, um damit Generationen zu verbinden. „Selbst Leute mit 70 oder 80 finden es lustig.“ Dass sie nicht nur einen Unterhaltungs-, sondern auch ihren Bildungsauftrag erfüllt, stellte Antonia Stabinger freudig beim eigenen Papa fest. „Wir waren nicht gerade die Familie, bei der sexuelle Aufklärung Mittagstischthema war. Aber als vor ein paar Monaten jemand bei einer Familienfeier meinem Papa am Handy ,gestrickte Vaginas‘ gezeigt hat, hat mein Vater stolz gesagt: ,Nein, das sind Vulven.‘“

Apropos Bildung

Michaela Fassl aus Oberwart arbeitet sowohl mit Kindern und Jugendlichen als auch mit Erwachsenen in der Sexualbildung. Gemeinsam mit Kolleg*innen lädt sie zu Workshops, in deren Fokus häufig die Aufklärung von zahlreichen Mythen betreffend die Genitalien steht – und erraten: Bei Frauenkörpern gibt es mehr Aufholbedarf. „Wir versuchen immer, die Vulva detaillierter zu erklären, die Anatomie des Penisses ist in der Gesellschaft viel besser bekannt“, weiß die Sexualpädagogin.

Ein Symptom des Ungleichgewichts und der mangelhaften Kenntnis der weiblichen Anatomie ist der Orgasm-­Gap. „95 Prozent der Männer in heterosexuellen Konstellationen geben an, regelmäßig zum Orgasmus zu kommen, aber nur 65 Prozent der Frauen. Dass Frauen schwieriger kommen, stimmt aber nicht“, betont Michaela Fassl. „In lesbischen Konstellationen kommen fast 90 Prozent regelmäßig zum Orgasmus, das spricht Bände.“
Was über Jahrhunderte an falschen Informationen verbreitet wurde, wirkt negativ nach. Ein Beispiel: Der Gynäkologe Isaac Baker Brown forcierte im 19. Jahrhundert die Klitoris-­Entfernung, weil er glaubte, damit Hysterie, Kopfschmerzen und Depressionen entgegenzukommen.

Porträt Frau mit Brille – Frau mit lockigen Haaren, Brille und gestreiftem Oberteil lächelt in die Kamera vor dunklem Hintergrund.
Michaela Fassl © Marc Greber
Schamlippen verbannen. Sexualpädagogin Michaela Fassl animiert zu treffenderen Begriffen wie Vulva-Lippen.

Eine höchst erschreckende Zahl der Gegenwart: Laut WHO (Weltgesundheitsorganisation) leben derzeit rund 230 Millionen Mädchen und Frauen, die von einer Genitalverstümmelung betroffen sind.

Workshops mit Jugendlichen

Tut das erste Mal weh? – Die Frage hört Michaela Fassl häufig. „Das schockiert mich, weil das auch ein Mythos ist. Abgesehen von einem vereinbarten lustvollen Schmerz, von dem wir aber beim ersten Mal meistens nicht sprechen, sollte Sex nie wehtun. Schließlich praktizieren die meisten Menschen Sex, weil sie Lust darauf haben, weil es Spaß macht, das gilt für Mädchen und für Jungs.“

Blutet das Mädchen beim ersten Mal (oder auch später), liegt das nicht immer unbedingt daran, weil „das Jungfernhäutchen durchstoßen“ wurde, betont sie. Selbst der Begriff gehört schon in die Kiste mit Erinnerungen, heute spricht man tendenziell vom Hymen oder der „vaginalen Corona“, „denn es ist mehr ein Schleimhautkranz und sicher keine Klarsichthülle über der Vaginalöffnung“.

Das Hymen kann beim Geschlechtsverkehr bluten, aber häufig bluten feine Haarrisse in der Vaginalschleimhaut, „wenn das Mädchen in der Situation eigentlich noch nicht bereit ist. Die Vagina ist ein Muskelschlauch, ist man angespannt, kann Geschlechtsverkehr schmerzen – und eben bluten.“

Obgleich heute Bücher schon die Kleinsten über Ei- und Samenzellen aufklären, „darüber, wie sich was anfühlt, über Masturbation, was viele Kids lange vor Sexualität mit jemand anderem erleben, spricht man kaum“, gibt Michaela Fassl zu bedenken. Dabei wäre gerade das Lernen und Wahrnehmen davon, was man mag oder nicht, die Basis, um über Konsens mit jemandem anderen reden zu können.

Ein Thema, das sie zunehmend beschäftigt, sind sogenannte Labien­korrekturen – besser bekannt als „Schamlippenkorrekturen“. „Wir müssen schon bei der Sprache ansetzen und kritisch hinterfragen: Bis heute existieren Begriffe wie ,das beste Stück des Mannes‘ und ,Schamlippen‘ nebeneinander.“ Sie verwende ausschließlich das Wort Vulva-Lippen, „und ich spreche auch nicht von großen und kleinen Vulva-Lippen, weil bei sehr vielen Frauen die inneren Lippen größer sind als die äußeren, das ist völlig normal“, betont Michaela Fassl.

Es gibt medizinische Indikationen für Korrekturen, etwa bei anhaltenden Schmerzen, „aber leider hat die Anzahl jener zugenommen, die es aus ästhetischen Gründen machen lassen, weil beispielsweise die Idee entstanden ist, dass die inneren Vulva-Lippen nicht sichtbar sein sollen“, bedauert sie. „Wir wissen: Schönheitsoperationen sind insgesamt gestiegen, aber Frauenkörper sind bis heute stärker betroffen.“

Vulva goes Bierflasche

Vulva: Person mit Bierflasche – Eine Frau in rotem gemusterten Outfit hält eine Flasche „Muschicraft“-Bier an die Schulter.
Sophie Tschannett von Muschikraft © Lorena Sendic

Ein wichtiges Schlüsselwort in der Sexualbildung lautet: Enttabuisieren. Sophie Tschannett, im Erstberuf diplomierte Sozialarbeiterin, verwirklichte dazu vor gut drei Jahren eine lang gehegte Vision. Sie gründete das Wiener Unternehmen Muschikraft, „mit dem ich das erste inklusive und feministische Craft-Bier herausgebracht habe“.

Das Etikett ziert eine Vulva, „Das Bier ist die Antwort auf meine feministische Reise“, sagt Sophie Tschannett. „Ich stehe damit für mehr Geschlechter­gerechtigkeit ein – mit einem Produkt, das sonst automatisch mit Männlichkeit assoziiert ist.“ Mit Muschicraft will sie ohne Zeigefinger, dafür mit Humor dem Patriarchat an den Kragen, „mit dem Produkt Bier erreiche ich auch Männer und wenn sie sich auch lustig machen: Ich habe ihre Aufmerksamkeit.“ Mit Name und Etikett will sie parallel auch „das starke und tolle Organ Vulva feiern und sie aus dem komplett sexualisierten Kontext holen“, beschreibt sie.

Zwei Bierflaschen – Zwei braune Flaschen mit bunten Etiketten der Marke „Muschicraft“, eine Original, eine alkoholfrei.
Muschicraft Bier © Isabella Simon
Schäumendes Duo. Muschicraft und Muschicraft alkoholfrei.

Als sie ihrer Mama den Namen präsentierte, sei sie aus allen Wolken gefallen, „ich bin aber ein überzeugter Fan vom Reframen und die Vulva verdient es, positiv aufgeladen zu werden“. Das gelingt ihr sogar über Österreich hinaus: Ihre Kampagne (mit der Berliner Werbeagentur HeimatTBWA) wurde für die Cannes Lions nominiert, bei „New York Festivals“ hat der Werbespot Bronze gewonnen; internationale Medien berichten über Sophie Tschanetts Muschicraft. Außerdem toll: pro verkaufte Flasche gehen zehn Cent an den Verein der Autonomen Frauenhäuser Österreichs.

Herzensempfehlungen zum Thema „Vulva“ der Redakteurin

  • „Angenehm“ erleben. Live-Termine von Antonia Stabinger unter www.antoniastabinger.com
  • Workshops buchen. Individuell für jedes Alter mit Sexualpädagogin Michaela Fassl (www.lust-­faktor.at) und ihren Kolleg*innen: www.verein-sebi.at
  • Muschicraft trinken. Es ist das perfekte Mitbringsel und ein genialer Icebreaker für jede Party: ein Sechser-Tragerl Muschicraft (auch alkoholfrei erhältlich). Darüber wird garantiert geredet, das Bier schmeckt köstlich – und man spendet mit jeder Flasche dem Verein der Autonomen Frauenhäuser Österreichs. www.muschikraft.at
  • „Sex Education“ schauen. Die Netflix-Serie mit der herausragenden Gillian Anderson ist grandios unterhaltsam und klärt fantastisch auf: Jugendliche – und Erwachsene!

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