
Die Stadtvilla – ein neues Museum in Eisenstadt
Zauberhafte Guides führen durch die Stadtvilla – und erzählen Geschichten, die es nirgendwo zu lesen gibt.
© Stephan Doleschal
Es war womöglich auch eine Fügung für die Stadtvilla. Die leerstehende Architektenvilla eines Arztes kam in den Besitz der Barmherzigen Brüder. Auf der Suche nach einer würdigen Nutzung wurde Bürgermeister Thomas Steiner kontaktiert, „und er wollte schon immer ein Stadtmuseum für Eisenstadt, das hat es ja bisher nicht gegeben“, weiß Heike Kroemer. Denn obwohl man eine Reihe von Museen in der Landeshauptstadt findet, angefangen vom Landesmuseum über das Haydn-Haus bis hin zum Jüdischen Museum, um nur einige aufzuzählen, die „eigene“ Geschichte war nirgendwo ausgiebig abgebildet.
Eine Machbarkeitsstudie, viele Gespräche und sehr viel Recherchearbeit später rollten die Bagger, und zwar sehr kleine, immerhin befinden wir uns in der Pfarrgasse, also mitten in der Stadt. 14 aufregende und intensive Monate Bau-, Renovierungs- und Einrichtungszeit wurden in die heutige Stadtvilla gesteckt, damit sie pünktlich zum 100. Geburtstag der Landeshauptstadt ihre Pforten öffnen konnte.

Uns war wichtig, dass wir die Geschichte aus Perspektive der Eisenstädter*innen erzählen.
Heike Kroemer, Projektleiterin Stadtvilla
Wir genossen einen Rundgang mit Projektleiterin Heike Kroemer – sie ist außerdem Chefin der Kultur- und Marketingabteilung im Rathaus – und kamen aus dem Staunen nicht heraus. Mit einem Team an unterschiedlichen Expert*innen – allen voran Museumdesigner Tom Koch –, vielen Leihgaben und zahlreichen wertvollen Sachspenden von Eisenstädter*innen gelang eine Zeitreise, die – bis aufs Schmecken, weil so viel museale Regeln dürfen sein – alle Sinne anspricht.
Die Dauerausstellung begleitet durch 100 Jahre Landeshauptstadt, der Fokus wurde auf die 1950er- und 1960er-Jahre gelegt: auf die erste Zeit in Frieden, den wirtschaftlichen Aufschwung, aber auch auf die Revolution in Ungarn 1956, als Eisenstadt Tausende Flüchtende aufnahm, und auf das Leben am Eisernen Vorhang.
„Wichtig war uns, dass wir die Geschichte aus der Perspektive der Bewohnerinnen und Bewohner erzählen. Sie waren es schließlich, die Eisenstadt aufgebaut haben“, betont Heike Kroemer, die gemeinsam mit Kulturmanager Wolfgang Kuzmits die Fäden in der Hand hiel



Charmante Begleitung in der Stadtvilla
Der Garten trägt die Handschrift von Kräuter-hexe und Naturflüsterin Uschi Zezelitsch und beherbergt auch ein entzückendes Salettl: einen kleinen multifunktionalen Veranstaltungsraum für Seminare, Lesungen und Workshops.
Die Stadtvilla selbst erkundet man in Gesellschaft von fünf fiktiven Protagonist*innen: den Audioguides namens Herr Doktor, Haushälterin, Wirtinnen, Reporter und Haushund liehen Persönlichkeiten wie Autorin Martina Parker, FM4-Radiomann Stuart Freeman und Schauspielerin Eva Maria Marold ihre Stimmen. Hält man die kleinen Geräte jeweils an die roten Punkte, erhält man die Basisführung durch das Haus, an den beigen Punkten gibt es pointierte Draufgaben.

Parallel dazu laden Museumsterminal mit digitalisierten Fotos und erklärenden Texten zum Vertiefen von Informationen ein. Ein Highlight im Vorraum: Mit einem Vierteltelefon lauscht man einem Gespräch von Haushälterin Mitzi, die ihren Onkel in den USA anruft – eingesprochen von einem tatsächlichen Auslandsburgenländer.
Im Erdgeschoß befinden sich außerdem das Arbeits- und das Kinderzimmer, in der Küche im ersten Stock stehen sogar einladende Speisen bereit. „Wir haben einen Bohnenstrudel gebacken und ihn fast noch warm nach Japan geflogen – zu Spezialisten, die Foodsamples produzieren. Sie haben ihn nachgebaut und zwei Stücke auf einen Teller gelegt“, bremst Heike Kroemer lachend den Gusto ein. Ein wertvolles Exponat erhielt einen Ehrenplatz hinter Glas: „Unser Schatz von Care Österreich: das letzte Paket aus der Ungarn-Revolution 1956. Mittels einer Projektion zeigen wir hier auch, was drinnen war.
Über den Vorraum, dessen spezieller Boden mit Büffelfett gerettet wurde, geht es in den Salon, das Herzstück des Hauses. Zwei fabelhafte Armsessel bieten Gelegenheit zum Verweilen, in einer Ecke flimmert ein „alter“ Fernseher mitsamt „Libelle“ (Antenne), an den Wänden hängen Werke der Scherenschnittkünstlerin Liana Presich-Petuelli. „Das sind jene Arbeiten, die 1954 bei der umstrittenen Ausstellung in der Orangerie ausgestellt wurden. Im Land selbst galt die Schau damals für viele als Schandfleck, während überall anderswo Eisenstadt für die revolutionäre Kunst gelobt wurde“, sagt Heike Kroemer.
Jede Menge zu entdecken gibt es auch im Schlafzimmer sowie in den Ordinationsräumen im Erdgeschoß, deren Geruch ihre einstige Bestimmung auch nach vielen Jahren verrät. Wie viel Herzblut in der Villa steckt, veranschaulicht noch einmal der letzte Blick aus dem Fenster: Anstatt von SUVs und E-Autos parken vorm Haus ein VW Käfer, ein Opel Kadett und ein Fiat 600. Welche Magie hier dahintersteckt, findet man am besten selber heraus.
www.stadtvilla.online
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