Wenn andere ihre Aussagen für frivol halten, amüsiert das Ilse Krüger.

Ilse Krüger: Lang lebe die Libido!

Wenn andere ihre Aussagen für frivol halten, amüsiert das die Autorin Ilse Krüger.

8 Min.

Ilse Krueger © Ramona Hackl

Blanche war inspirierend. Ihre Libido unterschied sich kaum von der einer Mittzwanzigerin, und das feierte sie genussvoll mit wechselnden Liebhabern. Aber auch die anderen „Golden Girls“ Rose, Dorothy und selbst ihr Mutter Sophia hatten Liebe und Sexualität keineswegs abgeschworen; sie waren vielleicht etwas „überlegter“ in ihrem Tun. Revolutionär war, mit welcher Selbstverständlichkeit ab Mitte der 1980er in der US-Sitcom die Liebesgeschichten (und Freundschaften) der 50-plus-Frauen präsentiert wurden.

Neu war die weitgehend positive, offene Darstellung der lebensfrohen Frauen im Fernsehen. Dass die Libido sich nicht mit den Wechseljahren verabschieden muss, ist Tatsache. Oder wie es Schauspielerin Ursula Strauss kürzlich im Interview mit unserem Schwesternmagazin Wienerin formulierte: „Das Leben ist nicht ab einer bestimmten Zahl von Jahresringen vorbei. Ein Baum hört auch nicht irgendwann auf, Blätter zu produzieren. Der Mensch kommt als sexuelles Wesen auf die Welt und geht als sexuelles Wesen. Heute hat man oft das Gefühl, einer Frau wird das ab 40 aberkannt, dabei ist Sexualität eine Antriebskraft, die uns alle sehr am Leben hält.“

Sexualität ist wie essen, trinken, sich bewegen – und eine lebensbejahende Kraft.

Ilse Krüger


Maria, 72, belehrte ihr Körper, „dass er zu Regungen fähig war, die sich für eine alleinstehende Witwe auf gar keinen Fall gehörten, in ihrem fortgeschrittenen Alter geradezu unanständig waren“, schreibt Ilse Krüger in ihren 1995 erschienenen „Faltenkatzen“ (Wiener Frauenverlag). Ein bisschen später in derselben Erzählung: „Einmal wenigstens wollte sie es noch erleben, einmal wollte sie noch berührt werden (…). Und vielleicht, wenn sie Glück hatte, erlebte sie auch noch einmal den erlösenden Kick.“

Die fabelhaften „Faltenkatzen“
Revolutionär. Wer die fabelhaften „Faltenkatzen“ lesen möchte, wird bis zum Remake in Bibliotheken fündig. Aktuell erschienen von
Ilse Krüger: „Das Rotzmensch“ (Sisyphus Verlag). © Ramona Hackl

84 Jahre ist die Autorin und ehemalige Unternehmerin heute und lebt in Wien und in Litzelsdorf. Als sie ihre „Faltenkatzen“ schrieb, war sie Mitte 50. „Geschichten über nicht mehr ganz junge Frauen“ lautet der Untertitel des Buches, das aktuell leider vergriffen ist. „Es verkaufte sich auch in Deutschland sehr gut, vielleicht sollte ich ein Remake machen“, überlegt Ilse Krüger beim Interview.

Sie trägt Jeans, das dunkelblaue Poloshirt hat sie eingestrickt, ihre Taille umfasst ein Ledergürtel. Ihre Haut ist von der Natur zart gebräunt, unter den kurzen Ärmeln blitzen elegante Muskeln hervor. Das Älterwerden bereitet ihr nur Kopfzerbrechen, wenn ihr Körper sie in die Schranken weist. Zwei Lungen­erkrankungen brachte sie sozusagen „zum Stillstand“, indem sie bis heute ihren Wald im Südburgenland selbst pflegt, ist sie überzeugt.

Wieso schrieben Sie die „Faltenkatzen“?
Ilse Krüger: Mich störte das beige Unsichtbarwerden von Frauen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt verwenden sie keine Farben mehr und erfüllen Rollen, die die Gesellschaft für sie vorgesehen hat. Sie verbergen ihre Weiblichkeit, sie geben nur einen Teil von sich preis.

Wenn andere ihre Aussagen für frivol halten, amüsiert das Ilse Krüger.
Ilse Krueger mit Redakteurin Viktória Kery-Erdélyi © Ramona Hackl

Macht Sie das wütend?
Natürlich. Aber es wird besser. Ich komme aus einer Familie, in der das anders war. Meine Mutter machte mit ungefähr 50 noch ein Zweitstudium, Archäologie, und arbeitete noch lang wissenschaftlich. Sie ist in Australien gestorben, wo sie die Winter verbracht hat – und war bis zuletzt aktiv und lebendig. Vielleicht ist es mir deswegen nicht schwergefallen, das genauso zu machen.

Hat Ihre Mutter mit Ihnen auch über Liebe und Sexualität gesprochen?
Nein, das war für sie eine Schmuddel­ecke. Ich hatte anfangs ziemlich darunter zu leiden, weil sie dachte, ich ticke nicht ganz richtig, dabei war ich nur ein normales junges Mädchen. Als sie später begonnen hat, dazu amerikanische Literatur zu lesen, hat sie ihre Meinung ein bisschen revidiert.

Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der man nicht aufgeklärt wurde. Ich beschreibe in „Das Rotzmensch“ (neu im Verlag Sisyphus, Anm.), wie es war, als ich meine erste Regel bekam und nach Aufklärung suchte. Ich bin mit Büchern aufgewachsen, aber davon wusste ich nichts. Ich habe hinter einem Regal ein Buch gefunden, das meine Mutter versteckt hatte: über das Eheleben der deutschen Frau. Darin habe ich gelesen, wie sie sich appetitlich herzurichten hat, damit sie sich dem Mann darbietet. Ich war empört. Ich habe diese Rolle so erbärmlich gefunden.

Haben Sie Ihre Kinder aufgeklärt?
So halbwegs, es hätte noch besser sein können (lacht).

Wieso findet die Gesellschaft sexuell aktive ältere Männer toll, Frauen aber noch immer weniger?
Dabei sind Frauen eigentlich in der besseren Position, weil sie keine Hilfsmittel brauchen. Ich habe das für mein Leben immer für selbstverständlich gehalten. Die breite Gesellschaft sieht das offenbar anders. Eine Bekannte hat mir erzählt, dass die Frau, die sie im Altersheim betreut, „männernarrisch“ geworden ist. Ich habe nüchtern entgegnet: Vielleicht ist sie in ihrer Ehe zu kurz gekommen. Die Antwort war blankes Entsetzen, dass ich so frivol bin (lacht).

Was schon verblüffend ist: Wenn Frauen und Männer in die Demenz rutschen, können beide Geschlechter ihre Sexualität relativ ohne schlechtes Gewissen ausleben. Das bedeutet: Im Weg ist nur die gesellschaftliche Hemmschwelle.

Sollte Sexualität für reifere Frauen einfach zum Leben dazugehören?
Es sollte nie ein Muss sein. Aber ich sage: Sexualität ist wie essen, trinken, sich bewegen – und eine lebensbejahende Kraft.

Warum wird Frauen oft ab dem Wechsel die sexuelle Lust aberkannt?
Viele haben selbst auf einmal das Gefühl, sie seien keine richtigen Frauen mehr, weil sie nicht mehr gebärfähig sind. Aber dass wir Sexualität intensiver erleben als Tiere, hat sicher nicht nur einen biologischen Grund. Wenn es da nicht das Begehren gibt, wäre es ja nur eine Gymnastikübung (lacht). Vielleicht sollte man die Erotik mehr in den Mittelpunkt rücken als rein die körperliche Sache. Viele Frauen meiner Generation können Sexualität nicht gut finden, weil man ihnen schon als junger Mensch ein Korsett auferlegt hat.

Wenn andere ihre Aussagen für frivol halten, amüsiert das Ilse Krüger.
Ilse Krueger © Ramona Hackl

Das Gefühl, die perfekte Geliebte sein zu müssen, ist ebenso verkehrt wie die frühere Prüderie.

Ilse Krüger

Wie lange waren Sie verheiratet?
Zwei Mal 25 Jahre mit demselben Mann – zum größten Spaß der Familie (lacht).

Wie war die Zeit nach der zweiten Hochzeit?
Ich war 51 – und es war großartig! Wir waren viel auf Reisen und es war auch eine lebhaftere sexuelle Angelegenheit. (Ilse Krüger ist heute Witwe, Anm.)

Ticken reife Frauen in Bezug auf Sexualität anders als junge?
Das Verlieben ist ein bisschen komplizierter, weil der Verstand stärker eingreift. Aber ich habe noch immer einen Verehrer, einen Freund, der mich hin und wieder besucht und dafür 300 Kilometer fährt.
Ich glaube, die Vorstellungen junger Menschen sind heute oft anders. Manchmal wird mir bange, wenn ich an die Generation denke, die so früh in den sozialen Medien mit Pornografie konfrontiert ist und eine falsche Vorstellung von Liebe, Erotik und Sexualität hat. Auch dass viele das Gefühl haben, der oder die perfekte Geliebte sein zu müssen, ist verkehrt. Das ist genauso verkehrt wie die Prüderie von damals. Es scheint, dass das ein Pendel ist, das nie ins Gleichgewicht kommt.

Mühsam ist der Druck, jung bleiben zu wollen. Wie geht’s Ihnen damit?
Gut! Wenn man keine Lachfalten hat, hat man nicht ordentlich gelebt. Ein fröhliches Gesicht ist auch noch mit 100 ein hübsches Gesicht. Die Welt geht nicht unter, wenn man älter wird. Ich habe mit 54 angefangen zu studieren und gemerkt, dass die jungen Leute gerne mit mir geredet haben. Dass ich eine ältere Frau bin, ist doch auch eine Ressource, das kann man als Plus sehen.

Wenn andere ihre Aussagen für frivol halten, amüsiert das Ilse Krüger.
Die Autorin. Ilse Krüger betrieb mit ihrem Mann ein Textilunternehmen, heute schreibt die vierfache Mutter und mehrfache Großmutter. © Ramona Hackl

Es gibt Frauen, für die Attraktivität immer das Wichtigste ist. Wenn das ganze Leben am Label hängt, dass ich die schöne verführerische Frau bin, wird es tragisch, wenn man alt wird.

In der Vorbereitung auf unser Gespräch haben Sie mir einen Auszug aus einem Roman geschickt, an dem Sie arbeiten: Eine Witwe verliebt sich in eine junge Frau. Ist es wichtig, in welches Geschlecht man sich verliebt?
Das ist unwichtig. Das Geschlecht ist ja nie so eindeutig; wir alle haben weibliche und männliche Anteile in uns. Abgesehen davon, dass die Natur manchmal nicht perfekt ist und Menschen auf die Welt kommen, die nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind.

Wie geht es Ihnen insgesamt mit dem Älterwerden?
Ich habe das Glück, einen Körper zu haben, der zwar sehr viele Defizite hat, die ich aber gut im Griff habe. Ich arbeite im Wald, schreibe – und lese hauptsächlich Literatur auf Französisch oder Englisch, damit ich nicht verblöde (lacht).
Ein angeheirateter Enkelsohn hat zu meiner Enkelin mal gesagt: „Deine Oma ist ja verrückt.“ – Das ist ein großes Kompliment: nicht der Norm zu entsprechen und die Kraft zu haben, so zu leben, wie man will.

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