Mirjam und Maya Unger – lean on me

Mirjam und Maya Unger – mehr als Mutter & Tochter

Filmemacherin Mirjam Unger und Schauspielerin Maya Unger im Interview.

9 Min.

Mirjam und Maya Unger © Vandehart Photography/Vanessa Hartmann

Ein böiger Frühlingswind kreiert wildeste Frisuren auf unseren Köpfen, irgendwann bemerken wir selbst das kaum. Die Antworten der beiden Frauen, ihre besondere Verbindung zueinander und die Aufmerksamkeit, mit der sie einander zuhören, auf die Gedanken der anderen eingehen, lassen rundherum alles vergessen. „Ich weiß, was du meinst“, sagt Mirjam Unger gerne zu Maya.

Das wusste sie auch, als ihre Tochter nach einer Rucksack-Weltreise ihre Pläne von einem Wirtschaftsstudium über Bord warf, um doch Schauspielerin zu werden. „Werde, was du bist“, sagte sie zu ihr. „Es hat mich auch nicht überrascht. Maya ist schon mit vier fast jeden Tag mit einem anderen Kostüm in den Kindergarten gegangen.“ Die Filmemacherin dreht gerade die zweite Staffel der ORF-Serie „Biester“; Maya spielte im preisgekrönten Kuba-Roadmovie „Vamos a la playa“ und ist aktuell in der packenden Netflix-Serie „Crooks“ zu sehen.

Der aufrüttelnde und bewegende Film „Persona Non Grata”, der vergangenen Winter im Kino präsentiert wurde, war in mehrfacher Sicht ein mutiges Projekt: Es war quasi das erste Mal, dass Maya eng mit ihren Eltern zusammenarbeitete. Ihr Vater Antonin Svoboda war Drehbuchautor, Regisseur und Produzent, ihre Mutter – die beiden sind seit vielen Jahren getrennt, aber freundschaftlich und kollegial verbunden – stand ausnahmsweise für eine kleine Rolle vor der Kamera, Maya in einer Hauptrolle.

„Ich musste vorher zu meiner eigenen Basis kommen: am Reinhardt-Seminar aufgenommen werden und viele Projekte gemacht haben, die nichts mit meinen Eltern zu tun haben“, beschreibt Maya. Bei „Persona Non Grata“ rückte ohnehin vieles in den Hintergrund, „wichtig war, wofür wir uns dabei alle committen“, sagt Mirjam. Antonin Swoboda schuf einen durchdringenden MeToo-Film, Gerti Drassl spielt eine Skifahrerin und Mutter, die zurecht die Vergangenheit nicht ruhen lassen will; angestoßen hatte das Projekt der Schritt der ehemaligen Skirennläuferin Nicola Werdeniggs an die Öffentlichkeit.

Mirjam und Maya Unger Close-up
© Vandehart Photography/Vanessa Hartmann

Maya Unger: Der Film ist wichtig und richtig. Bis heute machen viele – mich eingeschlossen – in unserer Branche Erfahrungen, die grenzüberschreitend sind. Ich habe das große Glück, dass mich meine Eltern vor gewissen Dingen gewarnt haben. Das haben nicht alle, der Film kann auch aufklären. Ich hoffe, dass ihn viele junge Menschen anschauen, um sich im richtigen Moment schützen zu können. Auch wenn es nicht unsere Aufgabe ist, dass wir uns schützen, sondern die Aufgabe sein muss, dass Täter abgehalten werden.

Übergriffe gibt es vermutlich leider in allen Branchen, oder?

Maya: Viele Bereiche sind strukturell so abgesteckt, dass es schneller auffällt. Drehen ist immer eine Ausnahmesituation, es ist schwierig zu sagen, wo die Grenze ist, die überschritten wurde.

Mirjam Unger: Ausnahmesituationen gibt es auch im Leistungssport, in der Gastronomie … Im Kunstbereich sind die Grenzen besonders fließend.

Maya: Ich bekomme oft rückgemeldet, dass das Drehen mit dir besonders schön und angenehm ist, dass du auf Augenhöhe arbeitest. Das zeichnet dich aus. Gut, dass du solche Projekte wie die „Biester“ machst, weil du auch mit den jungen Menschen gut umgehen kannst, weil du sie schützt.

Mirjam: Wie schön, wenn das so erlebt wird. Ich denke, the first cut is the deepest. Gerade die ersten Erfahrungen sollen nicht weh tun. Ich versuche, bei Kostümproben dabei zu sein, auch bei kleineren Rollen Proben einzurichten, vor allem bei jungen Schauspieler*innen. Maya ist eine große Inspiration für mich. Ich kriege mit, was es beispielsweise bedeutet, ein E-Casting zu machen. Viele meinen, die Handy-Generation macht das in einer halben Stunde. Nein, das ist tagelanges Nachdenken, vorbereiten, mehrmals filmen – und all das unbezahlt.

Wie seid ihr als Mama und Tochter – ein bisschen „Gilmore Girls“?

(beide nicken lachend)

Maya: Jaaa! Wir haben sie viel gemeinsam geschaut.

Mirjam: Ich fühle mich Maya sehr nahe. Wir sind Mutter und Tochter, aber nicht nur. Da ist viel Vertrauen, ich schätze es sehr, mit ihr auf ganz vielen Ebenen in Austausch zu sein. Als Maya kam, war ich 24 und mitten im Studium. Wir sind durch viel durchgegangen, sie war ein bisschen ein Zirkuskind.

Maya: … aufgewachsen auf der Krabbeldecke im ORF-Studio, während du moderiert hast (lacht).

Mirjam: Ich bin dankbar, dass sie mir nichts nachträgt, dass wir über alles reden können.

Maya: Vieles ist heute verständlicher für mich, weil ich einen ähnlichen Berufsweg eingeschlagen habe. Das wollte ich lange nicht. Ich habe mir früher gedacht: Geldsorgen, Chaos, was ist das für ein Leben?! (lacht) Meine Freundinnen hatten „normale“ Eltern mit „normalen“ Berufen, sie standen gemeinsam auf, machten Frühstück und ich bin manchmal allein dagesessen, weil meine Eltern vielleicht einen Nachtdreh hatten. Heute sehe ich das anders: Ihr habt das alles sehr gut gemacht.

Die „Gilmore Girls“ haben uns inspiriert: Sie brechen das gesellschaftliche Bild, wie Eltern mit Kindern sein müssen. Sie sind ehrlich miteinander, besprechen alles. Sie leben zu zweit ohne Männer – und sie sind trotzdem nicht die Weirdos im Dorf, sondern voll integriert und cool.

Maya, du bist selbst Mama, was ist euch wichtig beim Muttersein?

Mirjam: Die Nähe. Man muss sich nicht alles sagen, aber sich gegenseitig spüren und mitkriegen, dafür muss man auch nicht an einem Ort leben. Maya lebt heute in Berlin, ihr Bruder studiert in Holland (gemeinsamer Sohn mit Gerald Votava, Anm.), trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich ihnen nahe bin.

Maya: Mir ist es als Mutter wichtig, im Jetzt zu sein. Kinder leben nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft, sie haben immer nur den Moment. Ich habe von Mirjam gelernt, dass ich nichts vorspielen muss, sondern wahrnehmen, dass mein Sohn ein anderer Mensch ist, mit dem ich gemeinsam auf der Erde bin. Wir lernen uns gegenseitig kennen, das finde ich sehr schön und spannend, weil das den Aspekt der Neugierde reinbringt.

Mutter zu werden, hat mir auch sehr viel über meinen Beruf klar gemacht. Auch im Schauspiel musst du im Moment sein, dich darauf einlassen, dass vieles nicht vorhersehbar ist. Außerdem habe ich in der Sprachausbildung genau die Dinge gelernt, die Babys machen (lacht).

Mirjam und Maya Unger – Mutter & Tochter
Mirjam Unger mit Tochter Maya © Vandehart Photography/Vanessa Hartmann

Mirjam: Was zum Beispiel?

Maya: Um alle Atemwege freizumachen, gibt es den Baby-Urrotzer, Babys schnäuzen sich ja nicht – das kann ich hier (im Lokal, Anm.) aber nicht vorführen! (beide lachen) Ich sehe das Zungendehnen bei ihm, das „brrrrrrrr“ – und viele andere Übungen, die ich vor einer Theatervorstellung mache.

Ihr habt jüdische Vorfahren. Welche Rolle spielt das in eurem Leben – und aktuell?

Mirjam: Die Menschen begegnen uns mit Respekt und Interesse, weil die meisten nicht viele mit jüdischem Hintergrund kennen. Wir leben nicht religiös. Mein Vater kam aus Israel und war ein passionierter Jude; er hat meine Mutter geheiratet, eine Österreicherin, die Katholikin war und dann übergetreten ist. In meiner Familie war der Aufklärungsgedanke immer sehr stark: dass Kulturen sich miteinander austauschen müssen, damit sie sich verstehen. Meine Eltern waren Bridge-Spieler, also Brückenbauer, hatten arabische Freunde, und der kosmopolitische Gedanke war immer präsent.

Ich habe mich auch in meinen Filmen sehr damit auseinandergesetzt: in „Vienna‘s Lost Daughters“ mit der jüdischen Vertreibung in der Nazizeit und in „Maikäfer, flieg!“ mit der Geschichte meiner Mutter, die 1940 als Kriegskind geboren wurde. Wir sind ein Kulturengemisch.

Maya: Ich denke heute immer wieder daran, wenn ich durch die Straßen in Berlin gehe: Meine Urgroßmutter wuchs dort auf, sie kam mit dem Kindertransport nach Israel.

Mirjam: … und konnte sich so retten, der andere Teil der Familie starb im Konzentrationslager.

Seid ihr durch eure Geschichte feinfühliger, wenn ihr Ungerechtigkeit seht?

Mirjam: Ja, auf jeden Fall. Maya hat zudem eine ausgeprägte Zivilcourage. Als wir kürzlich unterwegs waren, ging sie sofort dazwischen, als ein Mann eine Frau rassistisch angesprochen hat: „So reden Sie nicht mit der Frau.“

Maya: Wir haben seit meiner frühen Kindheit über das Schicksal unserer Familie gesprochen. Als in meiner Schule ausschließlich christliche Lieder gesungen wurden, haben eine jüdische Kollegin und ich provokativ nicht mitgesungen. Meine Generation muss das nicht mehr zurückhalten, wir können einfordern, dass wir gesehen werden. Unser Konsens ist: Wir leben in Strukturen, die Menschen zur Orientierung geschaffen haben. Allem liegt aber das Menschliche zugrunde und da sind wir alle gleich.

Wie definiert ihr Glück?

Mirjam: Ich spüre das große Glück im Herzen, wenn ich meinen kleinen Enkel sehe, wenn ich mit meinen Kindern zusammen sein kann. Ich liebe meine Mutter- und Großmutterrolle. Gleichzeitig bin ich ein sehr arbeitender Mensch, ich bin glücklich, wenn ich Filme mache, am Set inszeniere und dass ich an einem Punkt in meinem Leben angekommen bin, an dem ich meine Entscheidungen unabhängig treffen kann.

Maya: Glück empfinde ich, wenn ich das Gefühl habe, es ist kohärent mit meinem Inneren. Wir treffen jeden Tag viele Entscheidungen. Manchmal spüre ich Widerstand und manchmal eben ein Gefühl von Glück. Es ist eine tagtägliche Suche, Glück ist ein Wegweiser und es ist auch nicht immer das gleiche: Manchmal ist Glück, wenn ich auf eine Demo mitgehe, manchmal ist es Zeit mit meinem Sohn im Park oder ein Gespräch mit meiner Mutter. Glück empfinde ich, wenn es sich richtig anfühlt.

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MEHR ÜBER DIE AUTORIN DIESES BEITRAGS:

Viktoria Kery-Erdelyi BURGENLÄNDERIN
© Vanessa Hartmann

Viktória Kery-Erdélyi ist Redakteurin bei der Burgenländerin, hört und schreibt sehr gerne Lebensgeschichten von Jung und Alt, bemüht sich, Menschen, die sich gegen Ungerechtigkeiten engagieren und die Welt zu einer besseren machen wollen, eine Stimme zu geben. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft und ist zweifache Mama.

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