
Sieglinde Pfänder: Portrait einer Pfarrerin
Eine Pfarrerin, die ihren Beruf liebt und ihr eigenes Menschsein nicht vergisst.
Sieglinde Pfänder evangelische Pfarrerin © Hanna Sagmeister/Bildschön
Im Landessüden hörte ich oft: „Haben S’ schon Sieglinde Pfänder interviewt?“ – Jetzt weiß ich warum.
Es duftet verführerisch nach Curry. Ich schummle mich an den plaudernden Frauen vorbei, strahlende Konfirmandinnen nehmen Gratulationen für ihre bunte Performance entgegen. Soeben ist der Gottesdienst zum ökumenischen Weltgebetstag der Frauen in der Evangelischen Kirche A. B. Oberwart zu Ende gegangen. Eine Stunde voller Musik, Tänze und bewegender Texte. Jedes Jahr unterstützt die solidarische Initiative weltweit Projekte für Frauen, heuer rückte sie die Cookinseln in den Mittelpunkt.

„Ich fahre noch weit“, sage ich und strecke Pfarrerin Sieglinde Pfänder dankend zum Abschied die Hand entgegen. In genau die gibt sie mir eine dampfende Schüssel mit einem Löffel. „Du hast sicher seit Stunden nichts gegessen“, sagt sie und lächelt ihr bestechendes Lächeln.
„Es ist wichtig, dass die Menschen nicht aufhören, an das Gute in sich selber und in der Welt zu glauben“, betonte sie davor im Interview. „Wir müssen hoffen, wagen, mutig sein, damit Kasperln, wie sie gerade in der Welt herumturnen und glauben, dass sie uns alle kaufen oder hin- und herschieben können wie hirnlose Schachfiguren, sich schwerer tun. Wie können wir Menschen wieder sehend und hörend machen? – Diese Metapher lässt mich spätestens seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine nicht los.“
Sieglinde Pfänder hat schon vieles in ihrem Leben gewagt. Wenngleich es in der Evangelischen Kirche seit Jahrzehnten auch Pfarrerinnen gibt, so sind sie bis heute in der Minderheit. Sie musste oft die Frage, die Männer praktisch nie kriegen, beantworten, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut kriegt. „Ich hab’ geantwortet: Indem ich abwäge. Einmal ist die Gemeinde wichtiger, ein anderes Mal muss sie warten, wenn gerade die Kinder wichtiger sind.“
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Mehr InformationenGestärkt hatte Sieglinde Pfänder ein Elternhaus, in dem der Vater von außen bedauert wurde, dass er drei „Mädln“ hat, aber die Eltern immer betonten: „,Ihr seid genauso stark und intelligent wie Buben.‘ – Wir wurden sehr wertschätzend darauf vorbereitet, unsere Frauen zu stehen.“ Die Mutter war Schneidermeisterin, der Vater Religionslehrer und Presbyter. „Das Haus meiner Großeltern in Bernstein, wo wir heute wohnen, steht neben der Evangelischen Kirche. Sie war meine Heimat und meine Übungswiese“, schwärmt sie.
Schon mit 14 liebäugelt sie mit dem Gedanken, Theologie zu studieren. Später packt sie das Fernweh, ihr Traumziel Australien ist den Eltern zu weit weg, „dafür ließen sie mich mit den Lkw-Chauffeuren meines Onkels nach Deutschland fahren“, lacht sie. „Ich durfte dabei unglaubliche Menschen kennenlernen, eine schräge Freiheit mit 18. Ich habe ihre Biografien gehört und erlebt, wie sie ihre Herausforderungen meistern.“


In Deutschland absolviert sie ein Sozialpraktikum in einer Einrichtung der Lebenshilfe und begleitet Reisen für Menschen mit Behinderung. „Das war wie ein Lottosechser. Ich hab’ gespürt, dass ich gebraucht werde, und hab’ viele coole Menschen, die gegen den Trend schwimmen, kennengelernt. Da waren Aussteiger dabei, die unter Brücken geschlafen und Zivildienst gemacht haben.“
Als sie im zweiten Sommer erneut Begleiterin einer Reise nach Sylt ist, begegnet sie Andreas. „Wir haben schnell gewusst, dass es gut wäre, zusammenzubleiben“, schmunzelt sie. Die Lebenshilfe bietet ihr einen fixen Job an, sie nimmt an, studiert nebenbei weiter und heiratet bald den späteren Tischlermeister, der bis heute der Mann an ihrer Seite ist.
Sieglinde Pfänder’s Glück und Trauma
Sie ist 24, als ihre erste Tochter auf die Welt kommt. Plötzlich packt sie das Heimweh. „Heute sage ich: Ich war überfordert. Ich habe studiert, gearbeitet und hatte ein Baby.“ Die junge Familie übersiedelt schließlich nach Österreich, in das Haus in Bernstein neben der Kirche. Wenig später kommt die zweite Tochter, ihre Taufpatin schaut mit Freuden auf die Mädchen, damit Sieglinde ihre Ausbildung als Pfarrerin in Oberwart machen kann. „Ich war im Lehrvikariat, das hat mir sehr gut gefallen!“ Dann wird sie erneut schwanger. Ungeplant.
In der Mitte der Schwangerschaft verliert sie das Baby, sie muss eine stille Geburt durchmachen und rutscht in eine Depression. „Ich hatte massive Schuldgefühle, weil ich mich davor nicht über das Kind gefreut habe.“ Das war vor gut 30 Jahren, damals habe sie ertragen müssen, dass ihr totes Baby „als Sondermüll“ entsorgt wurde und dass man ihr sagte, „ich soll nicht so ein Theater machen, es ist noch nicht mal getauft“.

Weltoffen. Dass das Tabu bröckelt, dass Eltern auch ein winziges Embryo in Würde verabschieden können, dafür hat sich Sieglinde Pfänder auch eingesetzt. Auf Initiative ihrer Schwester, der Gynäkologin Michaela Klein, und mit Unterstützung der damaligen Frauenlandesrätin Verena Dunst wurde 2006 in Oberwart eine Grabstätte für Fehl- und Totgeburten eingerichtet, „wo bis heute in weltoffener und ökumenischer Haltung Beerdigungen gemacht werden“, beschreibt sie.
Doch zunächst musste Sieglinde den eigenen Schmerz verarbeiten. „Ich hatte das Gefühl, ich sitze in einem tiefen Brunnen“, erinnert sie sich und eine Träne bahnt sich ihren Weg. Auch die kleinen Geschwister brauchten eine Erklärung, „sie haben das Baby gesucht und unters Bett geschaut“.
Sie machte gerade zu dieser Zeit einen Seelsorge-Kurs, der Vortragende wurde eine wichtige Stütze. „Er hat geholfen, Strategien zu entwickeln, um mit dem Verlust umgehen zu können, Rituale zu feiern, dem Kind einen Namen zu geben.“
Töchter-Trio
Wenige Jahre später wird das Paar noch einmal Eltern einer Tochter, „das war fast wie ein Wunder“. Heute sind die Kinder erwachsen und Sieglinde muss schmunzeln, wenn sie zurückdenkt. „Ich habe ihnen in der Pubertät einen Kaktus geschenkt: einen Christusdorn, der viele Stacheln hat, aber wenn er blüht, ist er unschlagbar schön.“ Umgekehrt hatten es auch ihre Töchter mit ihr nicht leicht, merkt sie selbstkritisch an. „Ich hab’ ihnen manchmal viel zugemutet. Ich hab’ auch Flüchtlinge mit heimgebracht, die dann jahrelang bei uns gewohnt haben, aber es haben auch beide Seiten viel gelernt.“
Damals gab es durchaus auch kritische Stimmen in der Community, aber Sieglinde Pfänder findet, so wie Eltern Reibebaum und Leuchtturm für ihre Kinder sein sollten, müssen auch Pfarrer*innen an diesem Spagat arbeiten. Das zehrt und mitunter verschwimmen auch Grenzen.
„Ich war sieben Jahre in Supervision, um meine vielen Rollen zu reflektieren: Ich bin Ehefrau, Mutter, Pfarrerin, Seelsorgerin, Vorgesetzte (sie ist auch Rektorin der Diakonie Burgenland, Anm.) und war viele Jahre lang Lehrerin.“ Sie musste auch lernen, nicht auf sich selbst zu vergessen, „sonst kann ich meine Arbeit nicht machen. Ich nehme mir auch mal frei, hab’ seit Kurzem viel Spaß mit meinem Enkelkind oder fahre mit meinem Mann ans Meer. Auch Jesus ist auf den Berg gegangen, wenns ihm zu viel war.“

Sieglinde Pfänder über Ostern
Das wichtigste Fest im Kirchenjahr steht vor der Tür. „Ostern ist für mich das uneingeschränkte Bekenntnis zum Leben“, sagt sie. Der Mensch sei immer wieder in Dingen gefangen, die ihn für eine Zeit lahmlegen, so wie sie damals, als sie ihr Baby verlor. „Aber dann schöpft man wieder Kraft, um sich auf das Licht zuzubewegen.“ Dass ihr das gelang, habe auch mit Urvertrauen zu tun.
„Meine gesamte Kindheit habe ich Geborgenheit erlebt. Bis ich 18 war, war meine dramatischste Erfahrung, dass ich mal unglücklich verliebt war“, lacht sie. „Wenn ich heute 13-Jährige begleite, haben sie manchmal schon so viel ausgehalten, wie ich mir das mit 58 nicht vorstellen kann. Jugendliche haben es heute schwer.“
Der Wert der Individualität sei aktuell so hoch, dass es Menschen schwerfalle, Verbindlichkeit zu wagen. „Ich würde mir wünschen, dass Eltern gegenüber ihrem Kind die Verbindlichkeit halten, das geht auch, wenn sie sich trennen. Wie sollen Kinder sonst Vertrauen ins Leben haben?“
In manchen Biografien muss man das Gute intensiver suchen. Ostern ist ein guter Zeitpunkt dafür, „dass man darauf schaut: Was ist gut in meinem Leben? Beziehungen können gut sein – sogar wenn jemand stirbt. Ich kann mit der Kraft der Erinnerung wieder zum Leben aufstehen, das schmerzlich verändert ist, aber ich kann neue Schritte setzen.“
Aufhören, ans Gute zu glauben, ist für sie keine Option. Sie erinnert an das biblische Bild vom Hirten, der ein verirrtes Schaf sucht. „Kürzlich hat jemand zu mir gesagt: Warum kümmerst du dich um ,solche‘ Leute? Das ist nicht deine Aufgabe. – Doch, ist es. Von 100 Menschen wissen 99, wo sie hingehören. Wir müssen die Kraft aufbringen, für diesen einen da zu sein, damit er lernen kann, dass wir auch in schwierigen Situationen verbindlich bleiben. Mit diesem Ansatz arbeiten wir auch in der Diakonie, das ist in der Jugendfürsorge genauso wichtig wie in der Pflege.“
Darin, so findet Pfarrerin Sieglinde Pfänder, liegt auch der Schlüssel für Integration. Und in der Offenheit, aufeinander zuzugehen, einander zuzuhören. „Wir kümmern uns heute viel um uns selber und vergessen die Ausgewogenheit. Wir müssen vom Ich und Du zum Wir kommen. Dann erleben wir, dass Gemeinschaft Kraft gibt, Sinn macht, auch herausfordert, aber vor allem trägt, anfeuert, weiterbringt.“