Tina Well

Tina Well: stark, ehrlich, unaufhaltsam

Tina Well über Musik, Mutterschaft und das Loslassen – und warum sie angeblich jedem nackt die Tür öffnet.

7 Min.

Tina Well © Reinhard Gombas

Ihr Studiokeller ist düster und romantisch zugleich. Ich sitze mit Tina Well auf einer gemütlichen Couch, die sicher schon die ein oder andere Kellerparty miterlebt hat. Rund um uns: Kerzen, Musikinstrumente und Plakate. Die Sängerin und Mutter sitzt mir gegenüber und gemeinsam gehen wir im Interview durch sämtliche Gefühlslagen: Wut, Freude, Angst, Hoffnung, Verzweiflung und Genugtuung. Tina ist eine Powerfrau, die aber auch weiß, wie es ist, wenn man glaubt, es geht nicht mehr weiter.

Doch eines tut sie nie: aufgeben. Sie spricht im Interview über den gesellschaftlichen Druck, die Herausforderungen des Showbusiness und das Finden der eigenen Balance. Auf ihre ehrliche, humorvolle und tiefgründige Art erzählt sie von Höhen und Tiefen und warum die besten Jahre einer Frau zwischen 40 und 60 stattfinden. Ihre Musik, ihre Familie, ihr Leben – alles fordert vollen Einsatz. Doch dieser Perfektionismus hat auch seine Schattenseiten.

„Ich leide seit meinem 14. Lebensjahr an einer Essstörung“, erzählt sie offen. Ihre Musik ist für sie eine Form der Therapie, ein Selbstheilungsprozess. Die Themen, die sie in ihren Liedern behandelt, sind tief persönlich, reflektieren aber auch universelle gesellschaftliche Erwartungen und Zwänge. Besonders seit ihrem 40. Geburtstag vor rund drei Jahren hat Tina einen neuen Zugang zum Leben gefunden: „Früher habe ich immer gesagt, ich bleibe ewig 39, aber dann kam der 40er und es wurde mir immer mehr egal. Natürlich nicht völlig wurscht – die bösen Falten lasse ich wegspritzen, aber die Lachfalten bleiben.“

Hater wird es immer geben. Die kannst du nicht ändern, aber du kannst deine Einstellung ändern.

Tina Well, Sängerin

Mit dieser neu gewonnenen Gelassenheit geht sie auch mit dem Druck der sozialen Medien um, den sie als Mutter besonders spürt. „Jemand hat mal unter meinem Video kommentiert, wie ich nur als Mutter so schrecklich tanzen könne in meinen Videos. Er wusste sogar, welchen Schulweg mein Kind geht! Ich bin damit zur Polizei und der Kanal wird immer noch beobachtet. Seither filtere ich die Kommentare, aber ich lasse auch Kritik zu. Doch wenn diese Kritik aus einem Kommentar besteht wie ‚Alle meine Entchen ist besser als deine Musik‘, dann kann ich nur drüber lachen, welche Mühe sich Leute machen und extra für so einen Kommentar einen eigenen Google-­Account anlegen.“

Tina Well
© Stefan Dokupil

Du hast gesagt, Musik ist für dich wie eine Therapie. Welche Rolle spielt sie in deinem Leben?

Tina Well: Musik ist mein Ventil, sie hilft mir, Dinge zu verarbeiten. Sie ist wie ein Spiegel meiner Seele. Seit meinem 14. Lebensjahr leide ich unter Essstörungen. In der Öffentlichkeit fühle ich mich – so wie fast alle Frauen – großem gesellschaftlichem Druck ausgesetzt, und das spiegelt sich auch in meiner Musik wider. Die Kontrolle, die ich in anderen Bereichen des Lebens nicht habe, übe ich über meinen Körper aus – und das ist gefährlich. Aber die Musik gibt mir die Möglichkeit, diesen Kreislauf zu durchbrechen.

Das klingt intensiv. Was hat sich für dich mit 40 verändert?

Oh, viel! Mit 40 kam diese unglaubliche Erleichterung. Früher wollte ich immer jung bleiben, aber dann kam ich zu dem Punkt, an dem ich mir dachte: „Was soll’s? Die Leute werden immer reden.“ Besonders Frauen setzen sich so oft unter Druck, perfekt zu sein. Aber warum? Ich denke oft an den Spruch von Karl Valentin: „Ich freue mich, wenns regnet, weil wenn ich mich nicht freue, regnet’s auch.“

Das Leben wird so viel entspannter, wenn man anfängt, Dinge zu akzeptieren. Und ich bin davon überzeugt, dass die besten Jahre einer Frau im Alter zwischen 40 und 60 passieren. Da findet auch der größte Umbruch in dir statt, du wirst gelassener – und willst im Bett nicht mehr den Bauch einziehen (lacht). In meinem neuen Song „Neu“ geht es viel um diese neue Einstellung und Gelassenheit.

Wie gehst du mit Vorurteilen und Kritik um?

Die Musikbranche ist ein großartiger Job, aber auch ein harter. Je mehr Menschen dich kennen, desto mehr machst du dich zum Angriffspunkt. Aber mit der Zeit lernst du, drüberzustehen. Hater wird es immer geben. Du kannst diese Menschen nicht ändern, aber du kannst deine Einstellung zu ihnen ändern. Es gibt so viele Vorurteile, besonders wenn du Kinder hast. Manche Leute denken, ich wäre eine Rabenmutter, weil ich viel arbeite. Aber sie kennen mich nicht.

Meine Kinder sind glücklich, weil ich glücklich bin – und ich habe mich bewusst dafür entschieden, glücklich zu sein. In einem meiner neuen Songs – „Ich öffne jedem nackt die Tür“ – geht es um ein Vorurteil, denn genau dieser Satz wurde über mich gesagt. Darin räume ich damit auf – sollen die Leute doch die Blumen im Garten zählen, die ich nicht gieße, und die Kalorien vom Kuchen, den ich esse, und eben glauben, dass ich jedem nackt die Tür öffne.

Deine neue Musik geht in eine andere Richtung als dein erstes Album. Was dürfen deine Fans erwarten?

Es wird definitiv persönlicher und viel deutschsprachiger. Früher habe ich auf Englisch gesungen, aber jetzt geht es mehr in Richtung Neue Deutsche Welle – ein bisschen Nena, ein bisschen Wir sind Helden oder Rosenstolz. Es ist spannend, dass die Leute meine Songs oft schon beim zweiten Refrain mitsingen, obwohl sie die Nummer nicht kennen. Das gibt mir ein unglaublich gutes Gefühl.

Und weil ich alle meine Songs selbst produziere, bin ich einfach frei. Niemand kann mir etwas vorschreiben. Einer meiner neuen Songs wird heißen: „Ich lege den Schalter um“. Wenn ich auf der Bühne stehe, gebe ich alles, das ist eine Entscheidung. Du musst rausgehen, performen, egal wie es dir gerade geht. Diese Einstellung musste ich erst lernen. Meine Auftraggeber*innen haben mein Bestes verdient und das gebe ich ihnen auch.

Tina Well in Pose
Tina Well © Mike Picture/Michael Müller

Du stellst dich und deine Auftritte künftig auf neue Beine. Was ist das Besondere daran?

Wir haben ein neues Konzept, bei dem ich mit professionellen Tänzerinnen und DJs auftrete – da ist einfach ständig Power auf der Bühne. Das kommt super an, gerade bei geschlossenen Gesellschaften. Dabei arbeite ich seit Neuestem mit den Tänzerinnen der Stage Manufactory in Wien zusammen und mit renommierten DJs aus ganz Österreich. Wir stimmen das Konzept auf der Bühne komplett auf die Wünsche der Kund:innen ab – das Thema und die Richtung kann von den Auftraggeber:innen gewählt werden.

Hast du Ratschläge für junge Künstlerinnen?

Hör nicht auf die negativen Stimmen. Ich weiß, das sagt sich leicht, aber es stimmt. Du musst lernen, an dich selbst zu glauben und dich nicht unterkriegen zu lassen. Es gibt so viele sich selbst überschätzende Männer in dieser Branche – wir Frauen neigen eher dazu, uns zu unterschätzen. Aber wenn du dir jeden Tag sagst, dass du spitze bist, dann glaubst du das irgendwann auch. Das ist die beste Manipulation, die du deinem Gehirn antun kannst.

Was hat es mit dem Konzept „Well deserved“ auf sich, mit dem du jetzt im Herbst intensiv unterwegs bist?

Das ist ein sehr niederschwelliges Konzept, keine große Bühne, sondern die Leute sitzen alle ebenerdig – in einem Lokal zum Beispiel. Die Konzerte sind rein akustisch, die Stimme ist im Vordergrund. Bei „Well deserved“ singe ich bis auf ein paar Covers nur eigene Titel. Dabei geht es darum, dass ich lernen möchte, meine eigene Musik genauso zu bringen wie die Covers. Darauf hab ich mich bisher nicht so richtig einlassen können. Ich dachte immer, meine eigene Musik interessiert keinen.

Heute weiß ich, dass meine Musik sehr viel wert ist, weil sie großartig ist. Ich finde es leiwand, was ich auf meinem ersten Album gemacht habe, auch wenn ich es heute anders machen würde, aber das war richtig gute Musik. Vier Titel davon wurden österreichweit im Radio gespielt, obwohl mich keiner gekannt hat, obwohl sie auf Englisch waren und obwohl ich eine Frau bin. Und das ohne Agentur und Promotion – das soll mir mal jemand nachmachen.

www.tinawell.at

© Viktor Fertsak

MEHR ÜBER DIE AUTORIN DIESES BEITRAGS:

Mag. Nicole Schlaffer  ist Chefredakteurin der BURGENLÄNDERIN und liebt es, Menschen und Ereignisse in spannende schriftliche Storys zu verpacken. Sie behält gerne den Überblick und sucht nach Lösungen, nicht nach Problemen. Gutes Essen & Trinken, Bücher und das Kommunizieren mit Menschen sind ihre Leidenschaften. Sie ist zweifache Mutter und bevorzugt es, an Orte zu fahren, an denen sie davor noch nie war.

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