Vea Kaiser: Frau steht zwischen roten Samtvorhängen und blickt in die Kamera.

Vea Kaiser: Ihre Angelika lässt sich nicht weglegen

Kein Spoileralarm. Hier wird nicht zu viel über Vea Kaisers neuen feinfühligen, humorvollen, wendungsreichen Roman verraten. Das hier ist vielmehr eine Behind-the-Scenes-Geschichte.

7 Min.

© Ingo Pertramer

Vea Kaiser ist auch ein Bühnenprofi. Nach vier Tagen mit sechs Lesungen, und zwar in Österreich und in Deutschland, schmettert sie eine Lesung in das Literaturhaus Mattersburg, die andere als Show bezeichnen würden. Dabei bleibt sich die Schriftstellerin treu: Es braucht keine Lichteffekte, keinen Schnickschnack – sondern ausschließlich ihr neues Buch und die bei jeder gelesenen Zeile, bei jeder erzählten Anekdote spürbare Leidenschaft dafür.

„Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels“ lautet der Titel des Werkes, dessen erste Auflage nach nur einem Monat ausverkauft war. Die Autorin dieser Zeilen versteht das nur zu gut: Um bis zum Interview möglichst viel davon inhaliert zu haben, liest sie in jeder freien Minute – und versinkt in der (fiktiven) Biografie der Hotel-Buchhalterin Angelika Moser von Anfang an so intensiv, dass sie nicht hört, als ihr Name bei der Ärztin aufgerufen wird, und es nicht merkt, als sie mit dem Zug eine Station zu weit fährt.

Interview im Literaturhaus Mattersburg

Vea Kaisers Terminkalender ist zwischen der Frankfurter Buchmesse und der „Buch Wien“ üppig bestückt; wir verabreden uns für das Interview nach der Lesung im Literaturhaus Mattersburg (großes Danke an Barbara Mayer und ihr wunderbares Team, die das möglich machten).

Es folgt also ein großer Schlussapplaus, da gilt es nur noch das Signieren abzuwarten. Doch während die Autorin dieser Zeilen schon das Blatt mit den Interviewfragen zückt, drapiert sich vor der Schriftstellerin eine begeisterte wartende Schlange hinaus bis ins Foyer. Vea Kaiser fragt nach Namen, plaudert, bespricht mit Müttern Schreibabys und tauscht andere Erfahrungen aus. Bis zum letzten Gast strahlt sie und erzählt sie – bis nach 21 Uhr. Ein Snack zwischendurch? – Vea Kaiser winkt ab und ist sofort für die BURGENLÄNDERIN bereit.

Vea Kaiser: Frau sitzt elegant auf einem prunkvoll dekorierten Bett mit roten Vorhängen.
© Ingo Pertramer

Die Gesellschaft erträgt es nicht, wenn Frauen mal die Bösen sind, bei mächtigen Männern wird’s fast erwartet.

Nach sechs Jahren und den Geburten deiner Söhne bist du wieder da – wie erlebst du das, was hat sich verändert?

Vea Kaiser: Ich war nie weg! Ich habe durchgehend eine Kolumne geschrieben (KURIER freizeit, Anm.) – selbst im Kreißsaal, am Tag der Geburt meines ersten Sohnes, weil es früher losging. Und ich habe auch Literaturkritik gemacht. Ich hatte schon nach „Rückwärtswalzer“ einen satirischen Roman über eine Impfgegnerfamilie geschrieben, aber dann kam die Pandemie und ich konnte zusehen, wie meine Geschichte von der Realität sogar noch übertroffen wurde.

Der Roman ist dann in den Müll geglitten. – Aber sechs Jahre sind auch nicht viel. Ich habe für mich selber beschlossen: Ich werde mir wieder so viel Zeit lassen, wie es braucht. Die Menschen lesen noch, aber sie haben keine Geduld mehr für Bücher, die nicht ganz perfekt ausgearbeitet sind, weil die Zeit so kostbar ist.

Du hast vorhin bei der Lesung gesagt, deine Figur sollte bewusst keine verzweifelte Frau sein. Ich mag deine Angelika tatsächlich von der ersten Seite an …

Danke schön, ich auch! Sie ist eine Hauptfigur, mit der ich mich sehr gut identifizieren konnte. Es gibt so viele Frauen- und Mütterfiguren, die als Opfer dargestellt werden, ich wollte von einer aktiven Frau erzählen. Ich habe viele Freundinnen, die sich um jemanden kümmern müssen, während die Männer abposchen – und ich sehe nie tatenlose passive Frauen. Ich sehe vielmehr emotionale Männer, die in Kurzschlussreaktionen alles in Brand setzen, und ich sehe Frauen, die halten. Es war mir wichtig, das literarisch abzubilden, weil die Geschichten, die wir erzählen, auch unsere Welt formen. Es wird viel zu wenig beschrieben, was Frauen leisten, um diese Gesellschaft am Laufen zu halten.

Angelika, die Kavalierin?

Deine Angelika zimmert sich die Welt dann irgendwann so, wie sie es braucht. Woher kam das?

Die Frage, wie man ihr Verhalten bewertet, muss sich jede*r Leser*in selber stellen. Es gibt keine allgemeine, überall und allzeit gültige Definition von Verbrechen.

Du hast vorhin die spannende Frage gestellt: Wieso gibt es kein Pendant zum Begriff Kavaliersdelikt? Was denkst du?

Man „übermenschelt“ Frauen. Es heißt, wir seien so emotional. Aber schau dich um: Die großen Katastrophen und Kriege liegen an stolzen und emotionalen Männern. Weltpolitisch gesehen handeln Frauen viel nüchterner. Wir als Gesellschaft „erziehen“ Frauen dazu, aufrecht, brav und lieb zu sein; wenn eine Frau einmal etwas verbockt, wird sie sofort verurteilt. Es wird nicht ertragen, wenn Frauen mal die Bösen sind, das finde ich schlimm. Im Gegensatz dazu erwarten wir es fast bei mächtigen Männern, dass sie irgendwann Dreck am Stecken haben, wir verzeihen’s ihnen sogar.

Die reale Buchhalterin, die im Hotel Sacher vier Millionen hinterzogen hat, ist „weg“ (sie war geständig, wurde verurteilt und ist Inspiration für die Figur Angelika, Anm.). Sie hat keine Interviews gegeben und versucht zu erklären, welcher Druck auf ihr als alleinerziehende Mutter gelastet hat, damit sie so etwas macht. Peter Hochegger tourt durch Talkshows und lässt sich als Erklärer der korrupten Elite hofieren.

Besuche im Gefängnis

Du erzählst im Buch von Besuchen einer Schriftstellerin im Gefängnis bei Angelika Moser. Was ist davon wahr?

Die Geschichte ist so natürlich nicht passiert, aber es steckt schon sehr viel von mir drinnen. Dass die beiden beginnen einander zu verstehen, dass sie sich solidarisieren, ist für mich die Antwort auf die Frage: Wie können wir als Frauen in eine bessere Zukunft kommen? – Indem wir uns bedingungslos füreinander interessieren und uns gegenseitig unterstützen.

Wir sind so darauf gedrillt, für uns zu kämpfen, dass wir zu wenig schauen, dass wir ohnehin viele sind, die in einem Boot sitzen. Die Männer gehen zu Netzwerktreffen, zu Vereinen und sind mit Arbeitskollegen unterwegs, die Frauen eilen nach Hause. So wurden wir erzogen, davon müssen wir uns lösen.

Wie blickst du der Entwicklung von KI entgegen?

Entspannt. Ich glaube, dass sich Qualität immer durchsetzen wird. Ich habe lange herumexperimentiert, die KI gebeten, in meinem Stil etwas zu schreiben – und festgestellt: Bei den Romanen kommt sie nicht in die Nähe. Meine Kolumne konnte sie stilistisch gut kopieren, da ist ja alles digital vorhanden, aber inhaltlich war sie trotzdem weit weg. Überraschungs­momente, dieses diffuse Kombinieren, kann sie halt nicht.

Mein Bruder, der gerade ein KI-Start-up verkauft hat, hat mir immer viel Angst genommen und gesagt: Du musst die Chancen sehen. Heute muss ich meine Kolumne beispielsweise nicht mehr früher schreiben, um nach drei Tagen mit einem frischen Blick Korrektur zu lesen, ich habe jetzt eine gute Korrekturlese-Software.

Wenn das Kind das Haus verlässt

Du hast dich lang mit Angelika Moser beschäftigt. Fällt es da schwer loszulassen?

Ich habe drei Jahre an dem Roman geschrieben, ein Jahr haben wir mit dem Verlag überarbeitet und die Publikation fertiggestellt. Nach diesem Prozess ist alles durchdiskutiert, alles überdacht, da kann man loslassen. Am Tag der Veröffentlichung war ich dann doch ein bisschen wehmütig. Es ist wie das Kind, von dem man gehofft hat, dass es irgendwann das Haus verlässt, aber wenn es dann raus ist, ist das Haus leer (lacht). Dann folgen Wellen zwischen Wehmut und Freude, bis die ganz große Wehmut kommt, weil man sich selbstzweiflerisch hinterfragt – so wie wir Frauen das gelernt haben –, ob man je wieder etwas Gutes schreiben wird. Gestern habe ich mich auf der „Buch Wien“ über viel Lob gefreut, danach war ich weinerlich, weil ich mir gedacht habe: Wie soll ich da jemals wieder anknüpfen?

Aber so habe ich bisher bei jedem Buch gedacht. Ich habe zuerst drei Familienromane geschrieben, das ist dieses Buch jetzt nicht mehr, das habe ich mich erst trauen müssen. Aber es war befreiend und super! Wie ich das beurteilen würde, wenn ich jetzt nicht so einen tollen Monat hinter mir hätte, weiß ich nicht. Das ist ja jetzt eine Happy-End-Story.

Buchcover des Romans „Fabula Rasa“ von Vea Kaiser mit großem Kronleuchter.
© Ingo Pertramer

HERZENSEMPFEHLUNG

Vea Kaiser: „Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels“, Verlag Kiepenheuer & Witsch, € 25,70.

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