Judith Anger: Mobile Home aus Holz – auf den Treppen sitzt eine Frau in Vordergrund läuft ein kleiner Hund auf einen zu.

Warum Wasser für Judith Anger alles verändert

Mit 66 betreibt Judith Anger in Oberhenndorf eine alternative Landwirtschaft nach ihrer eigenen Form von Permakultur.

8 Min.

Judith Anger © LuefLight – Thomas Luef

Zuerst laufen sie enthusiastisch aus ihrem kühlen Erdstall, dann bleiben sie abrupt stehen. Sie mustern die unbekannte Besucherin aus der Ferne. „Zwei von ihnen haben wir mit der Flasche aufgezogen“, sagt Judith Anger liebevoll.

Die schwarzköpfigen Shrobshire-Schafe sind sozusagen Familien­mitglieder – und fixe Mitarbeiter. Offenbar sehr gute noch dazu. Würden sich weißbeschuhte Golfer*innen nicht an den dunklen Kügelchen stören, die sie konfettigleich verteilen, könnten sie ihre Schläger über adrett gekürzte Wiesen schwingen.

Judith Angers Mission ist aber freilich eine ganz andere. Sie kam vor mehr als zwölf Jahren nach Jennersdorf, um wahrwerden zu lassen, was sie sich wortwörtlich als Kind ausgemalt hatte: „Ich habe immer Bauernhöfe gezeichnet“, sagt sie. Mit ähnlichen Träumen zieht es einige in den Landessüden. Judith Angers Weg weicht aber in vielen Punkten von den Plänen der meisten ab. Sie suchte nicht bloß Ruhe, kein Refugium, sondern tatsächlich Arbeit, die sie in der Pension erfüllt.

Ausgeklügeltes Terrassen- und Wassersystem

Dort, wo die Schafe heute grasen, befanden sich einmal ziemlich unspektakuläre Äcker und Wiesen. Heute ist es eine Oase mit einer Vielzahl an Kräutern, Gemüse- und Obstsorten. Eine essenzielle Basis dafür ist ein ausgeklügeltes Terrassen- und Wassersystem. Für ihr Tun nominierte die Landwirtschaftskammer Judith Anger kürzlich für einen europäischen Award für Bäuerinnen mit nachhaltigen Bewässerungskonzepten. Doch in all den Jahren, während die alternative Landwirtin ihr Projekt Stück für Stück vorantrieb, gab es nicht nur Beifall für sie. Wie konnte die 66-Jährige dennoch scheinbar unbeirrt ihre Ziele verfolgen? Wir suchten gemeinsam mit ihr nach Antworten in ihrer Biografie.

Klingende Namen

Judith Anger wuchs als Tochter einer Unternehmerfamilie in Oberösterreich auf. Bei dem Begriff „Work-Life-Balance“ verdreht sie die Augen, als Erfolgsrezept galt in ihrer Familie stets harte Arbeit. „Meine Eltern waren Flüchtlinge aus dem Sudetenland und haben aus dem Nichts ein Unternehmen mit 3.000 Mitarbeiter:innen aufgebaut: Carrera Brillen“, erzählt sie. Sie selbst absolvierte die Salzburger Tourismusschule Klessheim, „weil ich immer ins Ausland wollte“. Sie arbeitete in Frankreich und Irland, lebte ein Jahr in Amerika. Ihre Liebe zum Kochen führte sie an renommierte Adressen wie das „Demel“ und in die „Fromme Helene“. Zu den Fans ihrer kulinarischen Künste zählten Persönlichkeiten wie Karlheinz Hackl, erinnert sie sich gern.

Die ursprüngliche Idee vom Auswandern verwirft sie, schließlich gründet sie in Wien eine erfolgreiche Event- und Promotion-Agentur. Judith Angers Interesse für qualitativ hochwertige Zutaten inspirieren ihre Freund:innen zu einem Geschenk zu ihrem 50er, das den Anfang ihres neuen Lebenskapitels markiert: eine Ausbildung bei Sepp Holzer, der mit seiner Version der sogenannten Permakultur bis heute ganz schön viel Staub in der Landwirtschaft aufwirbelt. Der komprimierte Kern der Sache: nachhaltiger Anbau im Einklang mit der Natur, beispielsweise Vielfalt statt Monokultur.

Sie fängt Feuer und wird Schülerin des „Agrarrebellen“. „Ich war mit ihm auf Reisen und konnte zum Beispiel in Russland, Amerika, Portugal, Spanien und Südafrika Projekte miterleben und mitbetreuen“, beschreibt sie. Als Sepp Holzer ins Südburgenland zieht, ist sie bereits selbst auf der Suche nach einem Flecken Erde, den sie nach ihren Vorstellungen gestalten will. In Jennersdorf, genauer gesagt in Oberhenndorf, wird sie fündig, wo heute ihr WildnisKulturHof beheimatet ist.

Wasser ist der Schlüssel: Von Oberhenndorf bis Malibu

Im Laufe der Jahre spezialisiert sie sich auf den achtsamen Umgang mit Wasser; bis heute berät sie gleichgesinnte Landwirt*innen. „Ich habe von Sepp Holzer gelernt: 70 Prozent unserer Probleme weltweit hängen mit dem Wasser zusammen“, erklärt sie. „Wenn das Wasser Platz hat, wenn es kommt, haben wir auch Wasser, wenn es nicht da ist.“ Sie ist überzeugt: Es braucht Möglichkeiten, Regenwasser aufzufangen, damit es keine Zerstörungen anrichten und es später genutzt werden kann.

Ein Projekt, auf das sie besonders stolz ist, realisierte sie mit Sepp Holzer in Malibu, Kalifornien: auf der Ranch des Ex-Skirennläufers Klaus Heidegger, der sich auch mit der Gründung des Kosmetikunternehmen Kiehl’s einen Namen machte. „Durch die Brände wurde der Boden in der Region lose, Starkregen führte zu Überschwemmungen und Murenabgängen“, schildert sie. „Wir haben dort eine riesige Anlage installiert: einen Damm gebaut, terrassiert und Teiche gegraben, die das Wasser auffangen.

Zwischen Widerstand und Anerkennung

Als es dort 2018 wieder brannte und danach der Schlamm kam, ging auf der Ranch nichts mehr kaputt. Alles konnte aufgefangen werden.“
Diesem Konzept folgt auch das System auf ihrem eigenen Grund; das Wasser aus fünf kleinen (Auffang-)Becken und aus drei Quellen wird nunmehr so geleitet, dass Gemüse, Obst und Kräuter prachtvoll gedeihen, aber selbst bei starkem Regen nichts „daneben“ geht.

Wenngleich sie sich von den Menschen rundherum von Beginn an willkommen geheißen fühlt, gab es auch Widerstand während der Realisierung. Der Großteil der Probleme habe sich aber im Laufe der Zeit gut lösen lassen, sagt sie und scheint keinen Groll mehr zu hegen. „Einige haben sogar später zu mir gesagt: ,Wenn wir gewusst hätten, was das wird, hätten wir Sie nicht so viel schikaniert.‘ – Natürlich hätte auch Fantasie dazugehört. Jetzt, da es fertig ist, ist es leichter zu sagen: Schaut, das hätte ich gemeint“, lacht sie.

Alles bio

Mächtige Rhododen­dren – „in Erinnerung an meine Mutter“, sagt sie – und Rosensträucher zieren die ersten Schritte in ihrem WildnisKultur­Hof; sie pflanzte dort mehr als 200 Bäume, darunter viele alte Obstsorten, Beerensträucher, viel Gemüse und auch Exoten wie Kiwi und Khaki – alles frei von jeglichem Gift, alles bio, betont sie.

Gute Strategien gegen Schädlinge seien etwa die Abwechslung unter den Kulturen und die Tatsache, dass sie sämtliche Jungpflanzen bei sich selber zieht. „Und um die Wühlmäuse kümmern sich meine drei Hunde.“ Ein Herzstück sind ihre Kräuter; rund 300 Kilo Kräuter hatte sie allein im Vorjahr angesetzt, die wertvolle „Würze“ verkauft sie an ein Unternehmen, das Nahrungsergänzungsmittel vertreibt.

Vor Kurzem manövrierte ein Traktor ein zauberhaftes Tiny House auf Rädern in Judith Angers Paradies, das sie womöglich auch Gäst:innen zur Verfügung stellen wird. Sie selbst hat sich im idyllischen Hof der Familie Bücsek in Oberhenndorf eingemietet, wo sie mit der Hausherrin auch kooperiert:

Im Teamwork stellen die Frauen die Kräuteressenzen her; gemeinsam mit ihren Mitarbeiter:innen machen sie außerdem Tomatenketchup, Chili­soße, eingelegtes Gemüse, Sauerkraut, Kimchi und mehr. Ein Teil wird direkt vor Ort – mit anderen Köstlichkeiten aus der Region – im Hofladen verkauft, ein Teil auf Märkten und über Bestellungen.

Judith Anger: GRauhaarige Frau mit schwarzer Brille in einem Gewächshaus mit rotenZwiebeln in ihren Händen
Judith Anger © LuefLight – Thomas Luef

Wenn das Wasser Platz hat, wenn es kommt, haben wir auch Wasser, wenn es nicht regnet.

Judith Anger, Landwirtin

Kaiserschmarren mit 30 Eiern

Sie weiß, sie hätte es gemütlicher in ihrer Pension haben können. Aber diese Sehnsucht scheint Judith Anger nicht zu haben, schließlich engagiert sie sich auch seit Jahren mit Leidenschaft für den Kulturverein „HennSchui“ (siehe Info unten).

Energie schöpft sie gerne aus dem Austausch mit Gleichgesinnten, nicht zuletzt bei einem guten Essen, das die Autorin des Kochbuches „Leb wohl, Supermarkt(Kneipp Verlag) sehr gerne selber kocht. Sie schwingt den Kochlöffel im Alltag und verarbeitet eigene Zutaten, wenn sich an ihrem Ess­tisch je nach Saison eine unterschiedliche Zahl an Mitarbeiter:innen und Freund:innen einfindet. Aber ebenso, wenn sie alle ein, zwei Jahre Klaus Heid­egger auf seiner Ranch in Kalifornien besucht, um ihren berühmten Tiroler Kaiserschmarren auch mal namhaften Schauspieler*innen zu servieren. Das Geheimnis? „Doppelt so viele Eier als normal, aber ohne Schnee zu schlagen. Manchmal verarbeite ich gleich 30 Eier“, schmunzelt sie.

Kultur trifft Dorf: HennSchui

Die Oberhenndorfer Hofladen-Frauen Julia Bücsek und Judith Anger sind ebenso treibende Kräfte von „HennSchui“: Der rührige Verein verwandelt die ehemalige Volksschule in einen kulturellen Nahversorger.
Zur Tradition wurde bereits das Comedy-Open-Air-Festival im Sommer: Heuer am 25. Juli gastierte der deutsche Entertainer Willy Astor sowie die Jazzbanditen am Henndorfer Dorfplatz; am 26. Juli gehörte die Bühne der mehrfachen Österreichischen Kabarettpreis-Trägerin Sonja Pikart und der Formation Candlelight Ficus.

Tickets & Infos:

jbuecsek@gmx.at oder

Tel.: 0699/10 09 17 04

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