Demenz: Nahaufnahme einer grauhaarigen Seniorin die nachdenklich ihren Kopf aufstützt

Demenz enttabuisieren

Für einen offenen Umgang mit Demenz plädiert die Mobile Demenzberaterin Marina Moyses aus Donnerskirchen

3 Min.

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Marina Moyses versteht die Ohnmacht und Erschöpfung, die oft für Angehörige von Demenz-Erkrankten entstehen kann.

Was sind Ihre Aufgaben als Mobile Demenzberaterin/DemenzDolmetscherin?

Alle Blickwinkel der betroffenen Familie zu erfassen – die Beschwerden, Gefühle, Ängste und Bedürfnisse der erkrankten Person und die Anliegen der Angehörigen. Anschließend sortiere ich strukturiert die herausfordernsten Schwierigkeiten und gebe fachliche Auskunft und Lösungsvorschläge dazu. Man kann mich in meinem Geschäftslokal in Donnerskirchen besuchen oder ich komme ins Haus und schaue mir spezielle Situationen an.

Was war Ihr erster Berührungspunkt mit dem Thema Demenz – und wie hat er Sie geprägt?

Das war vor mehr als 25 Jahren – als Schülerin der Gesundheits- und Krankenpflegeschule absolvierte ich ein Praktikum in einem Pflegeheim und diskutierte dort mit einem älteren Herrn sehr vehement über den aktuellen Wochentag. Es war Mittwoch, doch er meinte selbstbestimmt, es sei Sonntag. Kalender und Tageszeitung, die ich ihm zeigte, überzeugten ihn nicht. „Heute ist Sonntag. Ich bin gewaschen, habe neue Kleidung an und es gibt Schweinsbraten. Das gibt es nur am Sonntag!“ Ich gab mich geschlagen. Dieser Moment prägt mich bis heute.

Demenz: Portrait einer lachenden Dame mit blauer Brille und hellem Blazer
Marina Moises, Demenzberaterin © beigestellt

Wie verändert Demenz das Leben der Betroffenen – und das ihrer Angehörigen?

Den Betroffenen nimmt Demenz sehr rasch das Gefühl für Zeit, und weil sie nicht mehr auf all ihr Wissen zugreifen können, bekommen sie das Gefühl, sich nicht mehr auf sich selbst verlassen zu können. Angehörige wiederum finden sich in einem Dilemma zwischen Sorge und Unterstützung wieder. Und diese Unterstützung wird nicht immer wohlwollend von Erkrankten angenommen.

Dieser Spagat zwischen „Wie viel Sorge ist angebracht“ und „Wie weit darf/soll ich als Angehörige*r eingreifen?“ macht ohnmächtig und erschöpft. Hier schaffe ich mit meiner Dienstleistung Entlastung und Orientierung.

Was ist der häufigste Irrglaube, den Menschen über Demenz haben?

Dass die Demenz den Betroffenen das komplette Leben und Gedächtnis nimmt. Das muss nicht so sein, vor allem nicht so schnell. Je früher man sich Unterstützung holt, desto länger kann man selbstbestimmt leben. Je nach Form der Erkrankung können Persönlichkeit und Vorlieben lange erhalten bleiben.

Was raten Sie Angehörigen, die merken: „Ich schaffe das nicht mehr alleine“?

Eines der zahlreichen Unterstützungsangebote annehmen und sich einmal aussprechen. Es gibt öffentliche Beratungsstellen, digitale Apps, kostenlose Stammtische für pflegende Angehörige oder Beratungen, die man in Anspruch nehmen kann. Selbsthilfegruppen und Stammtische vermitteln zusätzlich das Gefühl: „Ich bin nicht allein. Anderen geht es auch so!“

Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft im Umgang mit Demenz – gesellschaftlich wie pflegerisch?

Die Gesellschaft ist gut beraten zu erkennen, dass es immer mehr Menschen mit Demenz geben wird – nicht nur, weil wir alle älter werden, sondern auch, weil die Menschen nicht mehr nur zu Hause sitzen, sondern sichtbarer werden. Ich wünsche mir einen offenen, enttabuisierten Umgang mit Demenz. Es muss selbstverständlich sein, dass man mit Eltern oder Großeltern mit der Erkrankung auch ins Restaurant oder in die Tanzschule geht.

Die Personen sind vielleicht ungeduldig, drängen sich vor oder sprechen laut aus, was sie vom Gegenüber halten. Dieses Verhalten muss zukünftig toleriert werden und soll nicht zu Isolation und Rückzug führen.
Pflegerisch wünsche ich mir eine personenzentrierte Ausbildung, also dass mehr Bedürfnispflege vermittelt wird. Die Grund­bedürfnisse nach Identität, Geborgenheit, Bindung, Einbeziehung und Betätigung bleiben bei Menschen auch mit einer demenziellen Veränderung erhalten.

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