Petra Hartlieb: Sezierkurs in der Freunderlwirtschaft
Wie wir die Leseratten in uns und unseren Kindern reanimieren können.
Petra Hartlieb © Vanessa Hartmann
Alle lieben Max Langwieser. Aufgewachsen im Südburgenland, legt er eine steile Karriere aufs politische Parkett. Er ist noch keine 30, als er bereits Landwirtschafts- und Tourismusminister ist. Und dann wird er plötzlich tot in seiner Penthousewohnung aufgefunden …
Vor gut zehn Jahren überredete ein Verleger die Buchhandel-Quereinsteigerin Petra Hartlieb, selbst in die Tasten zu greifen. Ihr Roman „Meine wunderbare Buchhandlung“ wurde ein Bestseller und in acht Sprachen übersetzt. Der druckfrische Politkrimi „Freunderlwirtschaft“ ist bereits ihr zwölftes Buch, es erscheint pünktlich vor der Nationalratswahl.
„Das ist zwar perfektes Timing, aber Zufall“, lacht Petra Hartlieb, als wir sie auf der Terrasse oberhalb ihrer Buchhandlung in Wien treffen. Laut ihrem Vertrag sollte ihr Roman eher erscheinen, sie vergrub sich in akribische Recherchearbeit und brauchte schlichtweg mehr Zeit, gibt sie zu. „Mein Anspruch war, dass auch ein Armin Wolf Spaß daran hat, wenn er das liest.“
Ich lese sehr selten Krimis, durch deine mehr als 400 Seiten „Freunderlwirtschaft“ bin ich dennoch gierig durchgerauscht.
Petra Hartlieb: Sehr gut! Das ist meine Hoffnung: damit auch Menschen zu erreichen, die sonst keine Krimis lesen. Denn in dem Fall ist es fast wurscht, wer ihn umgebracht hat. Es geht vielmehr um die Hintergründe: um Netzwerke und wann und wie Menschen, die vielleicht mal ein hehres Ansinnen hatten, falsch abbiegen. Es geht um Mechanismen der Macht und der Politik.
Es ist ein fiktiver Politkrimi, vieles kommt einem aber bekannt vor. Wieso diese Geschichte?
Es lag irgendwie auf der Straße. Wenn ich unterwegs bin, werde ich oft gefragt, was in Österreich mit der Innenpolitik los ist, seit dem Ibiza-Video liest man auch im Ausland ständig etwas in der Zeitung. Mein Krimi spielt in einem Aufsteiger-Jungpolitiker-Milieu, diese Klientel finde ich sehr spannend, auch wie die Leute teilweise Politik für sich nutzen, um sich zu profilieren. Manche handeln im Glauben, etwas Gutes zu tun, manche wollen gar nichts Gutes tun.
Du bist in Oberösterreich aufgewachsen, wieso stammen zwei Protagonistinnen aus dem Burgenland?
Ich kenne viele Leute noch aus meiner Studienzeit aus dem Burgenland und finde das Land sehr spannend. Ich habe auch eine schöne Erinnerung: Als mein Mann und ich uns kennengelernt haben, hatte ich in Wien eine Liaison. Er kam extra von Hamburg, damit wir uns heimlich treffen konnten; das kann ich erzählen, das ist schon verjährt (lacht).
Wir fuhren also los und landeten in Podersdorf. Wir kannten uns kaum, es war ein erstes Annähern – da sind wir einmal um die Lange Lacke marschiert: Obwohl mein Mann das Wandern hasst, wie sich später herausstellte, und es mir zu heiß war, haben wir es geschafft – das ist 25 Jahre her und es hält!
Das war offenbar ein guter Grundstein für ein später größeres Wagnis …
Wir haben heuer Jubiläum: Wir führen unsere Buchhandlung seit 20 Jahren. Wir haben zuvor in Hamburg gelebt, mein Mann hatte einen super Job bei einem großen Verlag, ich war freie Journalistin. Bei einem Urlaub in Wien hat eine Buchhandlung sozusagen vor unserer Nase zugesperrt.
Wir haben uns mehr oder weniger als Gag einen Besichtigungstermin ausgemacht und ein Angebot gemacht. Wir waren uns sicher, dass es nichts wird – wir haben es aber gekriegt! Also zogen wir mit Sack und Pack nach Wien und haben mit vielen Freundinnen renoviert. Wir haben ein schönes Konzept vorgelegt und einen Kredit bekommen, obwohl es schon damals hieß, die Buchbranche sei tot.
Ein weiterer Zufall führte dazu, dass ich später Autorin wurde: Es begann mit „Meine wundervolle Buchhandlung“, worin ich die Geschichte einer verrückten Familie erzähle, die ohne Geld und ohne dass sie vorher in Wien gelebt hat, eine Buchhandlung übernimmt.
Bücher können nicht die Welt, aber die Sicht auf sie verändern. Sie eröffnen neue Perspektiven.
Petra Hartlieb, Autorin und Buchhändlerin
Die Kinder waren 16 und drei Jahre alt. Wie habt ihr das als Familie gemanagt?
Der 16-Jährige hat beschlossen, er kann allein in Hamburg überleben. Eine Wahnsinnsentscheidung! Er hat anfangs bei Freundinnen gewohnt, die letzte Schulklasse allein, das war eine mittlere Katastrophe. Aber: Er ist heute 36 und lustigerweise Lehrer.
Der Kleine ist einfach mitgelaufen; wir haben in Wien zuerst bei Freunden gewohnt, die selbst Kinder hatten und als Ärztinnen voll beschäftigt waren. Wir haben uns eine riesige Patchworkfamilie gebastelt. Ihre Kinder waren wie meine und umgekehrt. Als wir später die Wohnung über der Buchhandlung hatten, war es einfacher. Nach Geschäftsschluss haben wir zu Abend gegessen, Kind gebadet, vorgelesen und sind mit dem Babyphon wieder runter. Die Kinder haben keine schlechten Erinnerungen an die Zeit, ich glaube, inzwischen sind beide recht stolz.
Wie erlebst du es heute, Buchhändlerin zu sein?
Die Zeiten sind herausfordernder: Die Kosten steigen, die Leute kaufen weniger. Vor 20 Jahren genügte es, über die Bücher erzählen zu können und sie als Geschenk zu verpacken. Heute musst du auch Eventmanagerin und auf Social Media firm sein. Gleichzeitig liebe ich es, mir neue Sachen auszudenken. Die Gebärdensprachdolmetscherin Marietta Gravogl – sie lebt übrigens im Burgenland – war einmal mit ihren Kindern bei einer Lesung, die ich veranstaltet habe, seither sind wir befreundet und wir machen mittlerweile jede Veranstaltung auch in Gebärdensprache.
Deine Gedanken zu Amazon …
(Petra Hartlieb seufzt tief und runzelt die Stirn.) Ich bin davon überzeugt, dass wenn alle Bücher im stationären Handel gekauft werden würden, und da meine ich unsere Großen und den Online-Verkauf unserer Händlerinnen mit, hätten wir alle kein Problem. Es bestellen leider viele Bücher über Amazon, weil sie es nicht besser wissen oder sich keine Gedanken darüber machen.
Die schlimmste Kombination für uns ist, wenn jemand sich von uns eine halbe Stunde beraten lässt, um der Erbtante das richtige Geschenk machen zu können, aber wenn dieselbe Person dann eine Woche später ein anderes Buch, für das sie gar keine Beratung braucht, unbedacht über Amazon bestellt. Wir lieben es, das richtige Buch für unsere Kundinnen zu finden, aber wir brauchen auch jene Käufe, die nebenbei passieren, sonst geht es sich nicht aus.
Was macht dich im Job glücklich?
Dass immer mehr junge Kundinnen ganz bewusst in der Buchhandlung einkaufen. Eines erfreut mein Herz außerdem immer sehr: Zwei Mal im Jahr machen wir eine große Mitarbeiterinnenbesprechung in einem Lokal in der Nähe. Dafür sperren wir aber nicht zu, fünf Stunden lang führen den Laden Stammkundinnen für uns. Noch dazu laden sie nach dem Motto „Ich spiele Buchhändlerin“ ihre Freundinnen ein und kaufen auch selber ein.
Wie bringt man die Kids zum Lesen?
Es ist gut, Vorbilder zu haben, aber ich kenne viele leseaffine Eltern, deren Kinder nicht lesen. Das Handy ist eine Katastrophe, für uns alle. Ich werde auch von Erwachsenen angesprochen, denen es schwerfällt, sich aufs Lesen zu konzentrieren. Ich empfehle dann: Setz dich einen Abend in der Woche hin, gib das Handy in ein anderes Zimmer und nimm dir vor, nichts anderes zu tun, als zu lesen.
Gib dem Buch mindestens 30 Seiten, wenn du es nicht magst, gibst du es weg. Wenn es gut ist, wirst du wahrscheinlich auch am nächsten Abend lesen. Es ist wie eine langjährige Beziehung, die man immer wieder mal ein bisschen inszenieren muss. Und wenn ich nun die Kaiserin von Österreich oder Bildungsministerin wäre, würde ich sehr viel Geld in die Hand nehmen und eine Leseförderungsoffensive starten. Es gibt in den Schulen zu wenig Leseunterstützung; Schulbibliotheken werden ausgedünnt, es finden dort keine Klassenstunden statt und sie haben keine Kohle, um Autorinnen einzuladen. Kids brauchen coole Testimonials, die sie aus Film und Fernsehen kennen.
Super für Erwachsene und Kinder ist „Silent Reading“: Man trifft sich zum Lesen, setzt sich in ein Lokal oder in einen Park. Jeder kann lesen, was er oder sie möchte; es geht darum, dass du anders liest, sobald jemand neben dir liest. Das unterstützt beim Lesen.
Können Bücher die Welt verändern?
Ich fürchte nicht. Aber ich glaube, dass Bücher die Sicht auf die Welt verändern können. Ein guter Roman kann die schwierigsten Themen nahebringen, weil es die Leute emotional erwischt. Du erlebst den Nahostkonflikt anders, wenn du Amos Oz liest. Ich habe Geschichte studiert und mich mit viel Zeitgeschichte beschäftigt. Ich habe es aber ganz anders gespürt, als ich „Abschied von Sidonie“ von Erich Hackl gelesen habe (über das Schicksal eines Romamädchens während der Nazizeit, Anm.). Gute Autorinnen können dich dazu bewegen, dass du dich mit einer anderen Perspektive auseinandersetzt.
Wordrap mit petra Hartlieb
Ein gutes Buch ist, …
… wenn ich die Welt rundherum vergesse.
Ein schlechtes Buch ist, …
… wenn mir nach 20 Seiten egal ist, ob der Hauptdarsteller stirbt oder nicht.
Kindle oder gedrucktes Buch?
Gedrucktes Buch!!!
Wann liest du?
Immer.
Wie viel?
Circa ein Buch pro Woche.
Gendern?
Unbedingt.
Die Welt ohne Bücher?
UNVORSTELLBAR – und meine Wände würden zusammenbrechen.