Tom Neuwirth: Foto von Tom Neuwirth mit gelber Sonnenbrille und offenem weißen Hemd, Hände vor der Brust verschränkt

Tom Neuwirth: Beauty and the Bart

Tom Neuwirth – Weltstar, Kunstfigur, queeres Rolemodel – und trotzdem jemand, der sich lieber zu viel als zu wenig hinterfragt.

9 Min.

© Lukas Feix / WURSTTV.com

Wir besuchten Tom Neuwirth ohne Conchita Wurst und haben gestaunt: Hinter der glamourösen Fassade steckt ein tief reflektierter Mensch mit Humor, Haltung und Hang zum Spiegel.

Das Setting ist fast klischeehaft charmant: ein cooles Studio in Wien, gleichzeitig Toms Büro, mit Blick auf Outfits, Bühnenbilder und jede Menge Persönlichkeit. Wir sitzen zu zweit in einem Raum, der als Gemeinschafts- und Meetingraum dient, lachen viel, reden noch mehr.

Keine PR-Sperren, kein Star-Gehabe – eher wie ein Gespräch unter alten Bekannten, das so offenherzig und vertrauensvoll ist, dass man fast vergisst, dass einem eigentlich ein internationaler Star gegenübersitzt.

Einer, der gerade erstmals die Theaterbühne als „Luziwuzi – Ich bin die Kaiserin“ erobert und immer wieder neue kreative Wege sucht. Dabei schreckt Tom Neuwirth trotzdem nicht davor zurück, über Selbstzweifel, Eitelkeit und Patriarchats­frust zu sprechen. Willkommen im Kosmos von Tom und Conchita.

Tom Neuwirth: Fisheye-Foto von einem Mann mit großer Brille
© Lukas Feix / WURSTTV.com

Wir alle sind mehr als nur Mann oder Frau, wir sind in jeder Situation anders.

Tom Neuwirth

Tom, du bist Sänger, Entertainer, Moderator, Model, hast gerade dein Theaterdebüt gegeben – was kannst du eigentlich nicht?
Tom Neuwirth: Fußball spielen. (lacht) Und ich mein das ernst – das interessiert mich auch null. Aber danke für das liebe Kompliment. Ich habe oft das Gefühl, ich kann von allem ein bisschen, aber nichts so richtig. Ich kann mich gut in Szene setzen, das weiß ich. Und ich liebe das Showbusiness – aber wenn ich mit Leuten arbeite, die z. B. Schauspiel studiert haben, denke ich mir oft: „Oida, was erlaub ich mir eigentlich?!“ Diese Selbstzweifel sind leider Dauergäste.

Aber auf der Bühne scheinst du absolut sicher.
Total. Da bin ich „locked in“. Sobald das rote Licht angeht oder ich auf die Bühne muss, ist alles andere weg. Ich liebe dieses Gefühl. Ich weiß, was ich tue – da kenn ich mich aus.

Wie gehst du mit Kritik um – gerade im Social-Media-Zeitalter?
Kommt drauf an, von wem sie kommt. Wenn ich selber weiß, dass etwas nicht gut war, dann trifft mich Kritik mehr. Aber grundsätzlich bin ich da sehr bei meiner Oma: „Es is lieb, dass du a Meinung über mi host – aber i hab eh scho meine eigene.“ (lacht) Kommentare lese ich kaum, und wenn, dann von Menschen, die mir wirklich folgen und mir nicht einfach irgendwas hinhauen wollen.

Wie ist eigentlich Conchita entstanden?
2011, bei einer Burlesque-Revue. Ich war der Host, hatte Bart, wollte den nicht rasieren. Eine Freundin meinte: „Lass ihn stehen!“ Ich hab’s gemacht – der Rest ist Geschichte. Es war nie geplant, dass das so groß wird.
Wenn du heute Videos von Starmania 2006 siehst, als deine Karriere begann: Was denkst du?
Ich schau irre nervös aus, aber innerlich hab ich damals gedacht: „Jetzt räum ich alles ab.“ (lacht) Spannend, wie verzerrt die Eigenwahrnehmung sein kann.

Der Songcontest-Sieg 2014 war ein Durchbruch über Nacht. Was hat sich für dich verändert?
Alles – und doch nicht alles. Ich war Öffentlichkeit gewohnt, aber es war mein Kindheitstraum: vor vielen Menschen singen. Nach dem Sieg war ich extrem diszipliniert, bin kaum feiern gegangen, war fast jeden Tag in einem anderen Land. Ich bin sehr fokussiert, wenn ich etwas wirklich will.

Arbeit und Privatleben trennst du aber nicht streng, oder?
Gar nicht. Mein bester Freund Martin ist auch mein kreativer Partner bei unserem gemeinsamen Projekt „Frau Thomas und Herr Martin“, wo wir mit einer Mischung aus Musik und Kabarett auf der Bühne stehen. Auch mein restliches Team – wir fahren gemeinsam auf Urlaub, verbringen wahnsinnig viel Zeit miteinander. Es ist ein großes Geschenk, mit Menschen zu arbeiten, die ich gern habe.

Tom Neuwirth: Fofot von unten von einem Mann auf rotem Hintergrund
© Lukas Feix / WURSTTV.com


Wie würden dich deine Freund*innen beschreiben?
Wahrscheinlich: loyal, gechillt, lustig. Und man muss mir alles aus der Nase ziehen – ich rede nicht ständig über mich, auch wenn man das bei meinem Job denken würde. (lacht)

Erkennst du eigentlich, wenn dich Leute auf der Straße anstarren?
Sofort. Ich hab da einen Röntgenblick. Und ich bin heute viel entspannter. Früher wär ich nicht mal ungeschminkt zur Probe gegangen – der Mythos, wie Conchita „wirklich“ aussieht, hat mich da blockiert. Heute denk ich mir: Foto? Na sicher. Alles gut.

Du sprichst auch oft über die Privilegien von Männern – würdest du dich als Feminist bezeichnen?
Natürlich. Ich finde, jeder Mann sollte das sein. Klar, ich bin schwul, also kein hetero Cis-Mann, aber trotzdem hab ich als Mann Privilegien. Es ist unsere Verantwortung, das zu checken. Das Patriarchat ist zum Kotzen, und es hilft, wenn wir offen drüber reden. Ohne Vorwurf – einfach mal hinsehen.

Wie erklärst du dir, dass Männer oft in dieser bequemen Opferrolle landen?
Weil sie’s nicht gewohnt sind, hinterfragt zu werden. Und es ist auch leicht für Männer, über den Gesellschaftsdruck, den Frauen spüren, zu sagen: „Stellt euch nicht so an, lasst euch halt einfach nicht bewerten.“ Sie verstehen das nicht. Wie auch?

Bis vor Kurzem hatten weiße heterosexuelle Cis-Männer nicht viele Konsequenzen zu erwarten auf allen Ebenen. Es wird betrogen, egoistisch und machtversessen gehandelt, es gibt noch immer Kavaliersdelikte. Das System funktionierte viele Jahrhunderte so.

Und jetzt plötzlich werden Männer verlassen, weil die wirtschaftliche Notwendigkeit einer Beziehung nicht mehr derart gegeben ist wie früher, plötzlich werden sie bewertet – und dann heißt’s: „Warum bashen alle die armen Männer?“ Maybe it’s you!

Du bist sehr politisch, aber nie belehrend. Wie wählst du deine Themen?
Ich konzentriere mich auf das, was ich lebe: Queerness, Vielfalt, Sichtbarkeit. Und ich will immer, dass die Leute eine gute Zeit haben. Liebe ist stärker als Hass – und Humor hilft. Ich hab eine extreme Gaudi dabei, das ist mein Weg.

CR Nicole Schlaffer mit Tom Neuwirth
CR Nicole Schlaffer mit Tom Neuwirth alias Conchita Wurst © Selfie
BURGENLÄNDERIN digital TV – unser Wordrap-Video mit TOM NEUWIRTH


Wie bist du aufgewachsen – deine Eltern hatten bis vor Kurzem ja ein Gasthaus im Salzkammergut. Warst du ein klassisches Wirtshauskind?
Nein, ich fühlte mich dort nicht besonders wohl. Ich wurde ständig von allen beobachtet und es wurde gerätselt, ob ich ein Bub oder ein Mädchen bin und warum ich so komisch herumlaufe. Dieses Gefühl, dass alle auf mich schauen und urteilen, das steckt tief. Heute weiß ich, wie sehr mich das geprägt hat.

Wann wusstest du, dass du homosexuell bist?
Lange bevor ich ein Wort dafür kannte. Als Kind merkt man, dass man anders ist – und irgendwann erkennt man: „Ah, dafür gibt’s ein Label.“ Aber es geht nicht um Labels. Wir alle sind mehr als nur Mann oder Frau, wir sind in so vielen Situationen unterschiedlich.

Heute haben Kinder und Jugendliche viel leichteren Zugang zu all diesem Wissen. Dass manche damit überfordert sind, dass sie mehr als Mann oder Frau sein können, verstehe ich. Freedom is scary, nicht jeder kann damit umgehen. Aber das macht nichts, du darfst ruhig ein paar Jährchen brauchen, um das herauszufinden. Das Patriarchat will es einfacher haben, aber die Realität ist komplex. Und das ist doch geil, oder?

Was ist für dich Schönheit?
Confidence. Wenn jemand im Reinen mit sich ist. Ich kann schiach sein – und wunderschön. Wie wir alle. Ein guter Freund sagte mir einmal, er findet es oag, dass ich hier ungewaschen und ungeduscht vor ihm sitze und drei Tage später auf der Bühne nicht wiederzuerkennen bin. (lacht)

Und was würdest du an dir ändern, wenn du könntest?
Gerade nix. Vielleicht irgendwann mal, wenn mich was stört. Dann bin ich halt auch mal sechs Wochen in Nizza und schlürfe mit Sonnenbrille und Kopftuch Cocktails, während ich mich von einer Schönheits-OP erhole (lacht) – why not?

Du wirkst sehr reflektiert – hast du viel an dir gearbeitet?
Oh ja. Ich hab so viel gelesen, so viel hinterfragt. Ich finde die Psyche der Menschen extrem spannend. Wenn wir uns das Weltgeschehen anschauen, denke ich mir, so richtig reich zu sein, ist für einen Menschen nicht gesund. Die verlieren den Bezug zur Realität. Ich hab meinen Traum mit dem Songcontest relativ früh erfüllt. Danach war die Frage: Und jetzt? Worauf arbeite ich jetzt noch hin? Da gehört viel Hinterfragen dazu. Ego beiseite, Trigger anschauen. Ich habe nie gute Erfahrungen damit gemacht, mein Ego zu groß werden zu lassen.

Wenn du jungen, queeren Menschen etwas mitgeben könntest …
Seid, wie ihr seid. Sucht euch Menschen, die euch lieben. Wenn’s die leibliche Familie nicht ist, dann findet eure „Chosen Family“. Und wenn ihr euch allein fühlt – beschäftigt euch mit euch selbst. Es wird besser.

Wenn du auf deine Laufbahn am Ende deines Lebens zurückblickst, was wäre dir wichtig, was über dich gesagt werden soll?
Ich finde es jetzt schon oag, dass „Rise like a Phoenix“ in einem Schulbuch steht. Ich werde immer ein Teil der queeren Geschichte dieses Planeten sein – und durch den Songcontest-Sieg auch der österreichischen Geschichte. Das ist crazy!

Auszüge der kommenden Auftritte

  • Vienna Pride, 14. Juni
  • Donauinselfest, 21. Juni
  • Diversity Ball, 6. September, Rathaus Wien, Tickets: www.diversityball.at
  • „LUZIWUZI – Ich bin die Kaiserin“, diverse Termine, Rabenhof Theater, Wien
  • „Frau Thomas & Herr Martin“, ab September in Wien und Deutschland

Facts Thomas „Tom“ Neuwirth

  • geb. am 6. November 1988 in Gmunden (OÖ)
  • mit 4 Jahren zog er mit seinen Eltern nach Bad Mitterndorf
  • Helga und Siegfried Neuwirth führten dort bis
    zur Pensionierung vor Kurzem ein Gasthaus
  • 2006 nahm er an der Casting-Show Starmania teil und wurde Zweitplatzierter
  • 2011 erschuf er die Kunstfigur Conchita Wurst
  • 2014 gewann Conchita den Eurovision Songcontest
  • 2015: erstes Album „Conchita“
  • 2018: zweites Album „From Vienna with Love“, aufgenommen mit den Wiener Symphonikern
  • 2019: drittes Album „T.O.M. – Truth Over Magnitude“
  • seither ist Tom Neuwirth bekannt als Entertainer im TV, durch seinen eigenen Streaming-Kanal wursttv.com, mit der Formation „Frau Thomas und Herr Martin“ und spielte 2025 sein Theaterdebüt

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